MEHRPLATZSYSTEME

Unix-Systeme unterminieren traditionelle DV-Landschaft

09.02.1990

Für viele Anwender ist Unix noch immer ein Synonym für DV-Anarchie.

Kommerzielle Datenverarbeitung hat in der IBM Welt, technische DV in einer DEC-Umgebung stattzufinden. Während die Anwender-Mehrheit nach idealen Integrationsmöglichkeiten dieser beiden Welten sucht, beginnen einzelne Unternehmen zaghaft mit der Installierung preisgünstiger Unix-Mehrplatzsysteme. Auf denen laufen sowohl technische als auch kaufmännische Anwendungen.

Unix oder die DV-Sackgasse

"Mit IBM stirbt's sich am leichtesten", so der lakonische Kommentar eines Datenverarbeiters. Frust und Verärgerung über die sture Proprietary-Politik seiner und anderer DV-Abteilungen haben diesen Unix-Fan nach mehr als zwanzigjährigem Engagement schließlich das Handtuch werfen lassen. "Alle Welt bekämpft Monopole, nur in der Datenverarbeitung werden sie akzeptiert" klagt unser Anonymus.

Eine nicht-repräsentative CW-Umfrage macht seine Unmutsäußerungen begreiflich: Nach wie vor sucht der deutsche Durchschnitts-DV-Leiter in der Welt der IBM-Mainframes und der VAX-Rechner Geborgenheit. Unix erscheint ihm nicht als moderne Alternative sondern als potentieller Störenfried in seiner vielleicht nicht ganz bequemen, aber doch wohlgeordneten DV-ldylle. Da stört es ihn auch nicht, wenn er seine Magnetbänder unter den Arm klemmen und zwischen den beiden Welten hin und her schleppen muß.

Doch bleiben wir gerecht - natürlich haben die meisten Anwender längst erkannt, wie unzeitgemäß die strikte Trennung der technischen von der kommerziellen Datenverarbeitung ist. Trotzdem setzen noch viele auf veraltete, unkomfortable und zum Teil sehr kostspielige Vernetzungsstrategien.

Aufgeschlossenere Unternehmen sehen dagegen die Datenverarbeitung als dynamischen Prozeß und planen permanent ihre schrittweise Modernisierung. Sie entlasten die betriebseigenen Großrechner, indem sie eine Unix-Systemumgebung installieren, in der sowohl kaufmännische als auch technische Anwendungen laufen können.

Argumente wie Softwaremangel, ungenügende Datensicherheit und vor allem Inkompatibilitäten werden von ihnen ernst genommen. Dennoch erkennen diese Anwender, daß die ausschließliche Orientierung an proprietären Systemen unweigerlich in die Sackgasse führt und irreparable Schäden hervorrufen muß. hv

Neue Perspektiven durch neue Architekturen und Unix

Die Ausgaben für mittlere Mehrplatzsysteme bleiben in etwa konstant. Unter anderem werden neue Architekturen wie RISC und Parallelverarbeitung dafür sorgen, daß diese Systemkategorie ihren festen Platz in den DV-Budgets behält. In kleine Mehrplatzsysteme wird in Zukunft verstärkt investiert werden. Das liegt nicht nur daran, daß eine Ablösung durch Personal Computer vielfach wegen des Fehlens vergleichbarer PC-Software nicht in Frage kommt, sondern auch daran, daß sich in dieser Rechnerklasse durch die Verbreitung von Unix neue Perspektiven ergeben.

"In der technischen Welt werden wir mit Sicherheit auf Unix setzen, im kommerziellen Bereich haben wir uns noch nicht entschieden. Allerdings laufen hier Versuche in die gleiche Richtung", so Wilhelm German, Leiter des Bereichs Informatik/Technologie bei der Düsseldorfer Henkel KG. Unix Workstations wird Henkel auf jeden Fall dort einsetzen, wo hochauflösende Grafiken benötigt werden. Hier stehen dem Unternehmen neben DEC-Rechnern auch Unix-Systeme von Prime zur Verfügung.

Für den Einsatz im kommerziellen Bereich ist bei Henkel noch keine Entscheidung zwischen Unix- und IBMs OS/2-Lösungen gefallen Tests und Pilotprojekte sollen hier für Klarheit sorgen.

Trotz des verstärkten Unix-Einsatzes will Henkel-Informatiker German bei der Steuerung von Maschinen und Spezialgeräten sowie im CIM-Bereich nicht vollständig auf den Einsatz von DEC-Rechnern verzichten. "Wir stellen uns künftig auf die drei Welten Unix, DEC und IBM ein", so das Fazit des DV-SpeziaIisten.

Monopolsituation wird durch Unix entschärft

"Unix ist ein System, das Anwender mündig macht", meint Herbert Fuchs, ein DV-erfahrener Fachbereichscontroller bei den GEW Werken in Köln. In seinem Unternehmen werden mittlere Unix-Systeme sowohl im kommerziellen als auch im technischen Bereich eingesetzt - allerdings bisher nur am Rande. Seiner Einschätzung nach steht einem verstärkten Unix-Interesse nicht mangelndes technisches Know-how, sondern das eingleisige Ausbildungsniveau heutiger DV-Fachleute im Weg.

Gewisse Aufgaben sollten seiner Ansicht nach zwar auch in Zukunft unter Großrechner-Betriebssystemen abgewickelt werden - doch wo intelligente Lösungen gebraucht werden, möchte er Unix-Systeme im Einsatz sehen. "Eine Kostenrechnung ist nun einmal eine Kostenrechnung - man kann sie standardisieren und am Großrechner ablaufen lassen. Dagegen wäre zum Beispiel in den Bereichen Controlling oder Unternehmensplanung, wo unter anderem viele Ad-hoc-Ergebnisse gefragt sind, der Einsatz einer dezentralen Unix-Umgebung sehr interessant", so der Controller.

Fuchs ist davon überzeugt, daß auf diese Weise Kommunikations-fähigkeiten und Multitaskingeigenschaften für eine arbeitsplatzübergreifende, ganzheitliche Vorgangsbearbeitung voll genutzt werden könnten. Die Realisierung eines solchen Konzeptes erwartet der GEW-Mitarbeiter von einer zukünftige Anwendergeneration; junge Informatiker, so hofft er, werden die eingefahrene "Monopolsituation" aufreißen und neue Wege mit Unix-Systemen gehen.

Während German und Fuchs sich eine herstellerunabhängige Umgebung wünschen, zeigen sich andere Anwender mißtrauisch: "Bei CAD ist man sehr Bildschirm-abhängig; eine entsprechende Hardware-unabhängige Schnittstelle wird noch nicht angeboten" meint Ulrich Bosch, Sachgebietsleiter der technischen Datenverarbeitung bei der Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH in Ulm.

Trotz dieser Vorbehalte setzt auch der Fahrzeug-Hersteller auf Unix-Systeme. Neben Siemens-Rechnern für die kommerzielle Datenverarbeitung und einer DEC-Umgebung für den technischen Bereich hat Kässbohrer für den CAD-Bereich komplette Unix-Systeme von Intergraph im Einsatz. Wie der Henkel-Mitarbeiter will auch Sachgebietsleiter Bosch die Unix-Vorteile nutzen, die hochauflösende Grafiken bieten. Mit einem kommerziellen Einsatz von Unix-Systemen sei in den nächsten beiden Jahren aber noch nicht zu rechnen.

Gegen Unix spricht für viele Anwender ein ungenügendes Softwareangebot sowie die oft gerügte Kinderkrankheit einer ungenügenden Datensicherheit. Sein Unternehmen, so Bernhard Ribbrock, Leiter im Bereich Hardwareplanung und Kommunikationssysteme bei der Bertelsmann AG in Gütersloh, könne sich den Einsatz von Unix-Systemen nur als integrierte Lösung zusammen mit den vorhandenen IBM- und DEC-Systemen vorstellen.

Hoher Sicherheitslevel ist keine Zukunftsmusik

"Bei einem solchen Systemverbund sind aber noch längst nicht alle Probleme - zum Beispiel im Bereich der Datensicherheit und der sinnvollen

Datenverteilung - gelöst", so der Hardware-Experte. In seinem Unternehmen gebe es derzeit keinen wirtschaftlichen Anreiz, um Unix-Systeme einzusetzen. "Der Einsatz von Unix ist heute durchaus betrieblich zu verantworten", betont dagegen der DV-Leiter eines großen deutschen Chemie-Konzerns - er zieht es vor, ungenannt zu bleiben. Seiner Ansicht nach gehört vor allem im technischen Bereich Unix-Systemen die Zukunft. Obwohl die Sicherheitsmechanismen auch heute noch nicht die besten seien, könne man mit entsprechenden Vorkehrungen bereits einen sehr hohen Sicherheitslevel erzielen.

Trotz eines regen Interesses an Unix-Lösungen verlassen sich viele DV/Org.-Leiter noch immer lieber auf eine integrierte IBM-DEC-Umgebung. Dabei wird die traditionelle Trennung zwischen kommerzieller und technischer Welt nicht unbedingt aufrecht erhalten. "In IBM-Umgebung laufen bei uns zwar Standardprogramme wie Finanzbuchhaltung oder Kostenrechnung, doch mit dem gleichen Rechner machen wir in einem anderen Werk auch Fertigungsplanung und -steuerung", erläutert Udo Höhner, Leiter der technischen DV bei den Vereinigten Aluminiumwerken (VAW) in Bonn.

Wichtig, so der VAW-Mitarbeiter, sei nicht die Trennung von kaufmännischen und technischen Daten, sondern ein durchgängiger Informationsfluß über alle Kommunikationsebenen, vom Host bis zu den Leitrechnern und den freiprogrammierbaren Steuerungen. Im kaufmännischen Bereich setzt sein Unternehmen zusätzlich PCs für Aufgaben wie Textverarbeitung, Multiplan oder Grafiklösungen ein.

IBM-DEC-Lösung benötigt lange Realisierungsphase

Eine CIM-Architektur, in der die IBM- und die DEC-Rechnerwelt mehrstufig einbezogen sind, installiert derzeit europaweit die Ulmer Iveco Magirus AG. "Den oberen konzernweiten Teil der DV, der sich aus Planungs- und Verwaltungsaufgaben zusammensetzt, wickeln wir in einer IBM-Umgebung ab. Auf der technischen Ebene gibt es noch einen schmalen IBM-Bereich und dann erfolgt die Übergabe an die DEC-Welt", erläutert Ulrich Riemann, Leiter Systeme und Ablauforganisation. Materialfluß, Fertigungsfeinsteuerung und die Verarbeitung der Wareneingänge fallen in der integrierten Umgebung den DEC-Rechnern zu.

"Was wir uns da vorgenommen haben, wird uns die nächsten zehn Jahre beschäftigen", meint Riemann, der sich des enormen Risikos durchaus bewußt ist. Da die Architektur aber klar definiert sei, sehe er der Zukunft dennoch gelassen entgegen. Der Datenaustausch findet in dieser Architektur, ebenso wie bei vielen anderen integrierten IBM-DEC-Lösungen noch per Filetransfer oder durch den Austausch von Magnetbändern statt.

DEC-SNA-Gateway für reibungslosen Datenfluß

Während der Iveco-Mitarbeiter trotz einer gegenläufigen Unternehmensplanung viel von Unix-Systemen hält, sieht Franz Spindler, zuständig für technische DV-Anwendungen bei der Loewe Opta GmbH in Kronach/ Oberfranken, darin keine Vorteile.

Mit seiner integrierten IBM-DEC-Umgebung sei er zufrieden, zumal er demnächst durch ein neues DEC-SNA-Gateway auch einen reibungslosen

Datenaustausch erwarte. "Wir werden unsere Daten per Remote Job Entry (RJE) hin- und herschicken. Als nächster Schritt ist eine Kommunikation zwischen den Programmen auf LU6.2-Basis geplant." +