Betriebssystem mit Vorschußlorbeeren und Grabgesang:

Unix-Software auf dem Weg zum Produkt

12.10.1984

Ein Ding, das es eigentlich gar nicht geben kann, ist dabei, die DV-Welt zu erobern. Sicher passiert dies nicht mit Pauken und Trompeten, aber mit viel Vorschußlorbeeren - zum Kontrast auch mit Grabgesang: Unix wird sich gleichwohl durchsetzen.

Dies ist ein Phänomen, das die "blaue" Welt nur ungläubig zur Kenntnis nimmt - und auch das noch ungern. Es paßt nicht in dieses Weltbild, daß es zwei Mann geschafft haben, ein komplettes Betriebssystem - oder besser noch ein neues Betriebssystemkonzept - zu entwickeln, das zudem noch gut funktioniert. Daneben wurde in kürzester Zeit auch die Sprache "C" entwickelt, in der sich Programme und Betriebssysteme schreiben lassen, während gleichzeitig für PL/1 Hunderte von Mannjahren in allen möglichen Gremien aufgewendet wurden.

Es hat zwar fast zehn Jahre gedauert, bis die beiden Unix-Väter, Ken Thomson und Dennis Ritchie, den (...)CM AM Turing Award" erhielten. Doch mit dieser Auszeichnung hat die Assoziation for Computing Machinery als wichtigste Berufsvereinigung der Computerfachleute Unix als zukunftsweisende Entwicklung anerkannt.

Unix wurde von Praktikern für Praktiker geschaffen. Dies wird dem System in der kommerziellen DV-Welt gerne zum Vorwurf gemacht. Sicher ist der Einstieg in Unix für den unbedarften Anwender (in bezug auf Betriebssysteme soll er es auch bleiben) nicht sehr einladend. Dieser Anblick wird sich aber in Kürze unter einer Benutzerschale verbergen eine der leichteren Übungen für den professionellen Softwarevertieb. Die ersten leistungsfähigen Menü-Systeme sind schon in Sicht. Die Mikrocomputerwelt wird dazu noch weitere Anregungen bringen.

Der Erfolg zeigt sich auch darin, daß praktisch kein namhafter Hersteller auf dem Gebiet der mehrplatzfähigen 16/32-Bit-Supermikros seine Anlagen ohne Unix anbietet. Auch wenn die Auswahl an kommerzieller Software noch nicht die Bandbreite des Mikromarktes erreicht hat (und hoffentlich auch nie ganz erreichen wird), so kann der Anwender doch schon wählen.

Entschieden wird der Erfolg von Unix über das Software-Angebot. Die ersten kompletten, kommerziellen Softwarepakete mit horizontalen und vertikalen Programmen aus einem Guß sind auf dem Markt.

Es lohnt sich einfach, Software für das Produkt Unix zu entwickeln, auch wenn heute noch über volle Kompatibilität viel gelernt werden muß. Aber es ist machbar, 100prozentig kompatible Software zu entwickeln und letztlich erfolgreich zu vermerkten. Für den zukünftigen Erfolg sprechen auch die bereits vorhandenen Mechanismen zur Rechnerkopplung und zur Rechnervernetzung - Themen, denen in den nächsten Jahren viel Bedeutung zukommt. Hier ist noch einiges an Fortschritt zu erwarten.

In die Beurteilung der Durchsetzbarkeit von Unix auf dem internationalen Markt wird auch immer wieder die Konkurrenzsituation mit der IBM herangezogen. Wir halten dies aus der Sicht des professionellen Software-Entwicklers und auch des Anwenders für nebensächlich. Wie auch immer ein Betriebssystem der IBM für Rechner vergleichbarer Größenordnung heißen wird - es wird die Unix-Philosophie dahinterstecken. Die Praxis auf dem Sektor der Einplatzmikros beweist dies.

Entwicklungen lohnen

Kompatibilität zwischen den beiden Welten (Unix und "IBM-Nix") herzustellen wird wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Investitionen kosten, die heute, für ein gutes Programmsystem anzusetzen sind. Damit bleibt die Entwicklung lohnend: für das Softwarehaus und damit auch für den Anwender. Wichtig ist nur, daß sich die Rechner in Zukunft an der Software orientieren - und nicht umgekehrt. Der technische Fortschritt macht dies möglich.

Seien wir froh, daß es heute noch in dieser Welt der Großen einzelnen oder kleinen Gruppen gelingt, den Fortschritt mitzubestimmen. Auch wenn dann die Großen aus der Idee erst das Produkt machen.

* Hans-Jürgen Hänler ist Geschäftsführer der Orga-Soft GmbH, Fichtenstr. 2, Neuried bei München