Universitäten sollten bürokratisches Korsett ablegen

27.02.1987

Professor Dr. Klaus Landfried Vizepräsident der Universität Kaiserslautern

Es ist inzwischen eine Binsenweisheit: Immer kürzer werdende Innovationszyklen auf dem Hintergrund eines sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs machen die wirksame Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die industrielle Anwendung zu einer Voraussetzung (unter anderem) für die Erhaltung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.

Diese Erkenntnis ist in Japan und in den Vereinigten Staaten, aber auch in Kanada von den Betroffenen in Wirtschaft und Hochschule früher erkannt worden als in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft in den USA und Kanada wird wesentlich durch die schon seit langem bestehende Offenheit der Hochschulen gegenüber wirtschaftlichen Belangen und Fragestellungen der Praxis gefördert. Das Klima für Zusammenarbeit und Innovation ist weniger als bei uns noch durch Vorurteile und Bürokratismen beeinträchtigt. In der Bundesrepublik kämpfen wir noch immer an vielen Universitäten mit der Folge der vom mißverstandenen deutschen Idealismus geprägten Elfenbeinturm-Mentalität, mit einer aus Berührungsängsten gespeisten Abneigung gegen wirtschaftliches Denken und mit den Folgen sich immer weiter spezialisierender Fachsprachen, die manchen Wissenschaftler gegenüber der Praxis sozusagen mundtot machen. Die Flexibilität der amerikanischen Hochschulen hängt mit ihrem beträchtlichen finanziellen Eigenrisiko zusammen. In gewisser Weise werden sie im Unterschied zu den unsrigen als Unternehmungen aufgefaßt und geführt, nicht als Dienststellen des Staates.

Sie sind nicht jenem geistiges Asthma verursachenden Korsett aus bundes- und landesgesetzlichen und in fast unendliche Verordnungen ausufernden Bürokratismen ausgesetzt, die ebensoviel Rechtssicherheit verheißen, wie sie antizipative Demutshaltung gegenüber der Obrigkeit hervorbringen.

Die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft (und zur Wirtschaft gehören auch die Arbeitnehmer und ihre Organisationen) erfolgt in Amerika wie auch in der Bundesrepublik über vier Kanäle:

- den Informationstransfer vor allem über Datenbanken,

- den Technologietransfer über gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte,

- die wissenschaftliche Weiterbildung

- die Unternehmensneugründungen und Forschungs- oder Technologieparks.

Amerika, du hast es besser... ? - Können wir für Deutschland lernen?

Zunächst dies, daß auch in Amerika mit Wasser gekocht wird; daß der Anteil der direkten Zuwendungen der Wirtschaft für die Forschungsaufwendungen der Hochschule nur unwesentlich höher liegt als in der Bundesrepublik; daß es darauf ankommt, die langfristig unterschiedliche Zielsetzung von Wissenschaft und Industriebetrieb zu begreifen und als fruchtbaren Dialog zu organisieren. Die Unabhängigkeit und Freiheit wissenschaftlicher Forschung und vor allem der Entscheidung, in praxisnahe Entwicklungsvorhaben einzusteigen, muß den Hochschulen um der Gesamtheit willen vom Staat garantiert werden. Nur die Grundlagenforschung kann das Wurzelwerk bieten für einen Baum, an dem auch Früchte marktfähiger Produkt-Entwicklung wachsen können.

Die besten Beispiele für erfolgreiche Zusammenarbeit von Hochschule und Wirtschaft kommen in Amerika von den nicht sehr zahlreichen renommierten Universitäten. Im Bereich des Informationstransfers können wir lernen vom "Industrial Liaison Program" des MIT in Cambridge Massachusetts. Seit 1948 hat das MIT Programme entwickelt, mit denen es Kontakte zu Industriefirmen hält. Gegen Mitgliedsbeitrag können sie Teilnehmer an besonderen Informationsprogrammen, zum Beispiel in Mikroelektronik oder Biochemie, werden.

Fast 300 Mitgliedsfirmen aus vier Kontinenten erbringen der Hochschule dabei jährlich einen Beitrag von zirka sechs Millionen US-Dollar. Ein jährlich erscheinender "Leitfaden gegenwärtiger Forschung", in dem die rund 2700 Forschungsvorhaben des MIT beschrieben werden, bilden den Mittelpunkt des Programms. Unternehmungen und Hochschule profitieren gleichermaßen. Die Hochschule erhält bessere Kenntnisse über die Ausbildungsbedürfnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses aus der Sicht der Betriebe, lernt technische Problemfalle der Wirtschaftsunternehmen kennen, um in akuten Bereichen neue Forschungen initiieren zu können. Aber sie muß nicht.

Lernen können wir auch von einem Beispiel aus Kanada. An der Waterloo-Universität ön der Nähe von Toronto) gibt es so etwas wie ein duales System der Hochschulausbildung. Mit 20 000 Studenten und mehr als 2500 Mitarbeitern in Forschung, Lehre und Technischen Diensten ist Waterloo die größte wissenschaftliche Ausbildungseinrichtung für Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften in Kanada. Das Programm zur kooperativen Ausbildung mit Industrieunternehmen gehört zu den größten der Welt. Mehr als 8000 Studenten werden jährlich fur den Zeitraum von vier Monaten an mehr als 1500 Unternehmen vermittelt.

Keineswegs umsonst. Das Niveau der wissenschaftlichen Ausbildung bleibt durch die ständige Kontrolle der Hochschule gewahrt. Beide Seiten beurteilen das Programm positiv. Die.Universität erhält neue Impulse für die Praxisorientierung ihrer Ausbildungsgänge. Zugleich kann sie in den Bereichen, in denen sie es selbst will, ihre Forschung im Auftrag und mit Mitteln Dritter erheblich ausweiten. Mancher iunge Forscher schafft sich durch die Beteiligung an einem Kooperationsprojekt seinen künftigen Arbeitsplak im Unternehmen selbst. Vielleicht sollte man bei uns bald einmal mit einem Modellversuch in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach an einer Technischen Hochschule ein ähnliches Programm erproben.

Lernen könnten wir auch vom Weiterbildungsprogramm zum Beispiel der Stanford-University in Kalifornien. Das dortige Universitätsfernsehen bietet den ohnehin für die berufliche Weiterbildung sehr aufgeschlossenen Akademikern über Kabel ("pay TV") rund 170 Kurse aus den Ingenieurwissenschaften, Informatik, Mathematik, Physik, Statistik und daneben Berichte aus der Forschung an. Es werden inzwischen sogar Vorlesungen über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Expertensysteme und der "Künstlichen Intelligenz" direkt über Bildschirm in firmeneigene Hörsäle von IBM und HP in das einst von "Garagenunternehmen" beherrschte Silicon-Valley übertragen.

Und noch etwas können wir in Amerika lernen: Forschungs- und Technologieparks lohnen sich nur in unmittelbarer Nähe leistungsfähiger Hochschulen. Das beste Beispiel hierfür ist der "Triangle Research Park" in North Carolina, der gegenwärtig weltweit größte Forschungs- und Technologiepark. Fast ohne Zuschüsse der Öffentlichen Hand 1959 gegründet, hat er inzwischen eine Größe von 22 Quadratkilometern. In der Nähe von drei renommierten Hochschulen hat er inzwischen rund 40 Unternehmen mit 20 000 Mitarbeitern angezogen.

Namen wie Battelle, Data Service, General Corporation, General Electric, Northern Telecom unterstreichen das Gewicht des "Dreiecks". Die drei genannten Hochschulen bieten den angesiedelten Firmen relativ freien Zugang zu ihrer Infrastruktur, wie zum Beispiel DV-Anlagen und wissenschaftlichen Großgeräten. Wissenschaftler beraten die Unternehmen und Institutionen des Parks. Und umgekehrt sind Wissenschaftler der Unternehmungen häufig Honorarprofessoren an den Hochschulen.

Der Park hat bis heute entscheidende Impulse für die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung der Region gegeben. Die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte konnte gestoppt werden. Im Umkreis des Parks haben sich zahlreiche neue Firmen mit Zuliefererfunktionen angesiedelt. Und andererseits sind Forschung, Entwicklung und Lehre der drei Hochschulen durch den Park aufgewertet worden. Auch hier können wir lernen. Aber lernen heißt: überlegen und behutsam vorgehen. Offenheit gegenüber der Wirtschaft und ihren Fragen ist ebenso notwendig wie Nachdenklichkeit. Blinde Nachahmung würde niemandem nutzen. Nur ein Geist, der wirklich frei ist von Zumutungen in wirtschaftlicher wie in zeitlicher Hinsicht, kann schöpferische und in die Zukunft weisende Erkenntnisse gewinnen und öffentlich formulieren:

"Die Einen, so scheint mir, haben viele Werkzeuge und wenige Ideen. Die Anderen haben viele Ideen und keine Werkzeuge. Das Interesse der Wahrheit würde verlangen, daß die Denkenden sich endlich herablassen, sich mit den Schaffenden einzulassen." - Eine Erkenntnis des Enzyklopädisten Diderot aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert.