IBM baut für Lufthansa und andere europäische Carrier das Buchungsnetz "Amadeus" auf:

Unisys verliert wichtige Bastion bei Airlines

03.07.1987

CW-Bericht, Ulf J. Froitzheim

FRANKFURT/MÜNCHEN - Die Entscheidung war ein schwerer Schlag für den einst führenden Luftverkehrs-Spezialisten Sperry-Unisys: Die Vorstände der Airlines Lufthansa, Air France, Iberia und SAS wählten die IBM als Generalauftragnehmer für die Erstellung ihres Internationalen Reservierungs- und Vertriebssystems "Amadeus". Doch das ehrgeizige Projekt setzt Big Blue unter erheblichen Zeitdruck.

Bereits im Sommer 1989 soll "Amadeus" im Wortsinne an den "Start"- gehen - nämlich an das von der deutschen Reisebranche betriebene Buchungsnetzwerk dieses Namens. Die Frankfurter Start Datentechnik für Reise und Touristik GmbH wird und die Iberia sowie höchstwahrscheinlich die Alitalia. Die Entscheidung in Rom sollte noch im Lauf dieser Woche fallen.

Die Gesellschaften British Airways, KLM, Swissair und AUA stricken an einem Konkurrenzsystem, auch auf IBM-Systemen basiert. Der gemeinsame Hintergrund der Aktivitäten der europäischen Airlines: Mit Zusatzangeboten wie zum Beispiel Hotel-, Mietwagen- und Theaterreservierung verdienen die Konkurrenten United Airlines (UA) und American Airlines (AA) bereits gutes Geld. Vor allem drängen beide mit Macht auf die Märkte Europa und Japan.

Das erklärte Ziel der internationalen Zusammenarbeit, die auf höchster Vorstandsebene beschlossen wurde, ist daher, mit "Amadeus" das europäische Gegenstück zum AA-Reisevertriebssystem Sabre zu

schaffen. Zu der ursprünglich in der Reisebranche diskutierten direkten

Zusammenarbeit mit der amerikanischen Fluggesellschaft kommt es jedoch nicht: American Airlines wird nicht an der gemeinsamen Gesellschaft der Europäer beteiligt.

Daß das amerikanische Know-how dennoch "Amadeus" zugute kommt, ist jetzt IBMs Problem. Als sogenannter Prime Contractor mußte sich die Europa-Dependance der IBM verpflichten, eine schlüsselfertige Lösung hinzustellen. Dazu gehört natürlich vor allem das Rechenzentrum, das eine Personalstärke von über 200 Mann haben wird. Die größte Hürde dabei wird offenbar die Personalbeschaffung sein, denn DV-Profis, die in Transaktion-Processing Facility (TPF)-Umgebungen fit sind, sind dünn gesät. Nach Einschätzung von Insidern wird das Unternehmen sein Personal zu einem erklecklichen Teil im Ausland, vor allem in den USA, rekrutieren müssen.

Im DV-Hauptquartier der LH am Frankfurter Airport mag man sich derzeit nicht festlegen, ob die Software mit AAs Sabre identisch sein wird. Denn noch ist nichts unterschrieben, nicht einmal der Gesellschaftsvertrag für "Amadeus". Nichtsdestotrotz behandelt das LH-Management das Thema "Amadeus" dann ihre Informationen nicht mehr mit dem Sperry-Zentralrechner der Lufthansa-Basis am Rhein-Main-Airport austauschen, sondern mit einem neuen IBM-Rechenzentrum, das wie spanische Zeitungen meldeten in München stehen wird.

An dem Mammutprojekt beteiligen sich neben dem deutschen Carrier zu gleichen Teilen auch die Air France, die Scandinavian Airlines so, als sei es endgültig abgeschlossen; die schriftliche Fixierung ist für die Airlines offensichtlich eine bloße Formalität.

Die Federal Systems Division der IBM in Washington (D.C.), die gemeinsam mit dem Kunden American Airlines die Software Sabre-Talk entwickelt hat, wird nach Lage der Dinge die zentrale Verantwortung für den Software-Part des Auftrags übernehmen. Für die Hardware sind IBMs Europäer zuständig, wobei die Aufteilung zwischen Paris und Stuttgart noch nicht geklärt ist. Ohne die Software wird der Auftrag Big Blue 112 Millionen Dollar Umsatz einbringen; in das Gesamtprojekt stecken die vier oder fünf Carrier wahrscheinlich deutlich mehr als eine halbe Milliarde Mark.

Die Unisys Corp., deren Vorgängerunternehmen Sperry-Univac bisher Stammlieferant sowohl der Lufthansa als auch der Air France für Zentraleinheiten war, guckt in die Röhre. Laut Hans-Dieter Färber, als Abteilungsleiter "Angebots- und Vertriebssysteme Hotel- und Tourservice" einer der Planer des deutschen "Amadeus"-Engagements, bedeutet das Vorstandsvotum pro IBM allerdings nicht, daß sich die Lufthansa völlig von Unisys verabschiedet. So werde es im Frankfurter Rechenzentrum, das ab der Inbetriebnahme von "Amadeus nur noch die Buchungs- und Betriebsdaten der eigenen Linie verarbeiten muß, bis auf weiteres bei der jetzigen Sperry-1100/94-Lösung bleiben.

Anlagen dieses Typs, so- Färber, seien jedoch für die bei "Amadeus" geforderten hohen Transaktionsgeschwindigkeiten ungeeignet. Die technische Obergrenze mit der heutigen Hard- und Software liege derzeit bei rund 80 Transaktionen pro Sekunde. Schnellere Systeme seien bei Unisys zwar in Vorbereitung; sie hätten mit Air-France-Software plus Neuentwicklungen der US-Unisys betrieben werden können. Aber bei IBM sei das Nötige bereits auf dem Markt.

Im Rahmen des Sabre-Konzepts seien bis zu 1750 Transaktionen pro Sekunde realisierbar. Zu solchen Höhenflügen schwingen sich die LH-Strategen momentan noch nicht auf; für "Amadeus" peilen sie vorerst den Wert 1000 an. Um zu angemessenen Antwortzeiten zu kommen, dürfe die durchschnittliche Verarbeitungszeit im Rechner nicht mehr als eine halbe Sekunde betragen, berechneten die Lufthanseaten.

Das Verbundrechenzentrum, das wie die Betriebsgesellschaft in der Bundesrepublik entstehen wird die Holding und ein Teil des Marketingbereichs kommen nach Madrid, die Entwicklungsabteilung mit 210 Mitarbeitern nach Frankreich wird laut Plan mit sechs Maschinen vom Typ 3090-180E bestückt, die "loosely-coupled" installiert werden. Da die nackten CPUs zusammen nur etwa 30 Millionen Mark kosten, errechnet sich aus dem Differenzbetrag zum Hardware-Gesamtetat eine entsprechend gigantische Speicherausstattung.

Die technischen Grenzen sind vorgezeichnet durch das Maximum von acht aneinander gekoppelten Prozessoren in der heutigen 3090-Technik. Müssen die IBM-Programmierer bei. Arbeiten an der existierenden Sabre-Software noch tief hinabsteigen in den 370-Assembler, so ist inzwischen eine Umstellung auf die Programmiersprache C in Vorbereitung. Die Voraussetzungen für - eine schnellere Programmierung und damit für eine rasche Beseitigung des Anwendungsstaus müssen also noch geschaffen werden.

Den Termin Sommer 1989 haben die Luftgesellschaftenangesichts des schärfer werdenden internationalen Wettbewerbs zur Bedingung gemacht, um gegenüber den Amerikanern nicht den Anschluß zu verlieren. Dann sollen die Reisebüros online auf die Daten sämtlicher Fluggesellschaften in aller Herren Länder zugreifen können, außerdem im Lauf der Zeit auf die Netze etlicher Hotelreservierungsketten, Theaterkarten-, Agenturen und Autovermieter sowie auf die Buchungssysteme einer Reihe von Bahngesellschaften,

Der Sinn der Sache ist vordergründig, komplette Reisen sofort über "Amadeus" zu buchen. Denn für jede Buchung, die über das Netz abgewickelt wird, kassiert das Unternehmen Provision. Für die Carrier ist aber noch etwas wichtig: Sie sammeln mit dem System wertvolle Informationen für ihr Marketing. Da die großen Reisebüros überwiegend an die künftigen "Amadeus"-Partner - in der Bundesrepublik "Start" - angeschlossen sind, erhalten Lufthansa, und Co. ein Marktforschungsinstrument, das mit einer "Stichprobe" von mehr als zwei Dritteln der Grundgesamtheit operiert.