Forschung und Technologietransfer

Unis brauchen Anregungen aus der Wirtschaft

06.08.1999
Mit 2,5 Milliarden Mark fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jährlich etwa 20000 Forschungsprojekte; etwa 75 Millionen davon entfallen auf die Informatik. Rund tausend Forschungsprojekte stehen unter der Obhut von Andreas Engelke, der seit 1992 Referatsleiter für den Fachbereich Informatik ist. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er auch die Ideenwerkstatt der DFG ins Leben gerufen. Andreas Toller* hat sich mit dem 41jährigen Wissenschaftler unterhalten.

CW: Die deutsche Computer- und Software-Industrie blickt seit Jahren neidisch in die USA. Was haben uns die Amerikaner voraus?

Engelke: Lassen Sie mich mit einem aktuellen Beispiel antworten: Auf Initiative von Präsident Clinton haben sich in den Vereinigten Staaten zwei Jahre lang Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft zusammengesetzt und intensiv diskutiert. Das Ziel stand von vornherein fest: Die Entwicklung einer Strategie für das nächste Jahrzehnt, um die USA zum Weltmarktführer im Electronic Commerce zu machen. Im daraus entstandenen "Pitac-Report" hat diese Kommission viele Empfehlungen ausgesprochen, die ich sehr gut nachvollziehen kann: Schwerpunkte in der Förderung sind zum Beispiel Software-Engineering, skalierbare Informationsinfrastrukturen oder High-end-Computing. Jetzt verdoppeln die USA den Mitteleinsatz in diesen Forschungsgebieten.

CW: Weshalb gibt es eine solche Initiative nicht in Deutschland?

Engelke: Die DFG hat die Ergebnisse der Amerikaner aufgegriffen und einen Strategie-Workshop mit den Experten dieser Themengebiete veranstaltet. Derzeit erarbeiten wir eine auf Deutschland abgestimmte Strategie, die wir dann dem Bundesforschungs- und Bundeswirtschaftsministerium empfehlen möchten. Wir müssen sehen, daß wir hier ganz klar in Konkurrenz zu anderen Ländern stehen.

CW: Tatsache ist aber, daß die Kooperation zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft hierzulande noch immer nicht funktioniert.

Engelke: Es gibt Transferbereiche, in denen gemeinsam mit der Industrie ganz konkrete Projekte laufen. Das gilt insbesondere für die Sonderforschungsbereiche. Beispiele für gelungene Kooperationen mit der Industrie sind die rechner- und sensorgestützte Chirurgie oder die wirklichkeitsnahe Telepräsenz und Teleaktion, die in München erforscht wird. Mitarbeiter aus den Forschungsprojekten gehen zeitweise in die Betriebe und arbeiten die zentralen Fragestellungen der Praxis heraus, damit die Rückkopplung zu den Forschungsbereichen auch funktioniert. Daneben fördert auch die Industrie innovative Projekte an den Hochschulen. Diese Fördermittel sind zum Teil begehrter als die staatlichen Gelder, weil sie freier einsetzbar sind.

CW: Trotz dieser Kooperationen funktioniert der Technologietransfer bei uns schlechter als in anderen Ländern. Deutsche Forscher gelten als introvertiert und gründlich, aber praxisfremd. Woran fehlt es?

Engelke: An deutschen Hochschulen fehlt häufig der unternehmerische Geist. Nur dort, wo die Wissenschaftler mit Unternehmen kooperieren und wissen, wie man patentiert und wie man Unternehmen finanziert, entstehen innovative Produkte, die auch verkauft werden. Dort gründen Mitarbeiter Firmen, die an die Börse gehen und sich am Markt behaupten. An anderen Instituten, die eine gleichwertige Forschung betreiben, wo aber die wichtigen Köpfe nicht unternehmerisch denken, geschieht der Technologietransfer nicht so problemlos.

CW: Die DFG hat eine Ideenwerkstatt ins Leben gerufen, um diesen Entrepreneurgeist zu fördern. Was steckt dahinter?

Engelke: Mit der Ideenwerkstatt wollen wir bei jungen Wissenschaftlern die Motivation zur Unternehmensgründung wecken. Wir gehen mit erfolgreichen Unternehmensgründern direkt in die Kolloquien, suchen nach Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen und vermitteln Kontakte. Wenn es klappt, dann haben die Hochschulen in den neuen Firmen wiederum Kooperationspartner, die auf Hochschulforschung angewiesen sind. Wir hoffen, daß sich dadurch die Forschungsziele mittelfristig stärker am Industriebedarf orientieren. Der Technologietransfer über Köpfe hat schon immer am besten funktioniert.

CW: Müßte die DFG am Ende eines Forschungsprojektes nicht auch die Patentierung fördern, um das Time-to-Market zu verkürzen?

Engelke: Seit kurzem tun wir das. Patente erhalten Förderungen bis zu 60000 Mark. Allerdings sind die Bewertungskriterien für eine Förderung durch die DFG andere. Es geht vor allem um die Qualität der Forschung, die sich als Ergebnis in Publikationen niederschlägt und international Anerkennung findet. Trotzdem entstehen in vielen Projekten, teilweise auch durch Orientierung an der Industrie, Ergebnisse, die sich sehr gut für die Praxis eignen. Um diese Ergebnisse geht es uns in der Ideenwerkstatt. Wir wollen, daß die Forscher - nicht nur in der Informatikforschung, sondern DFG-weit - mit ihren Ergebnissen neue Firmen gründen. Ich denke, in diesem Bereich sind noch deutlich größere Anstrengungen notwendig.

CW: Welche Bedeutung hat die Grundlagenforschung?

Engelke: Nach wie vor eine sehr hohe. Wir werden auch weiterhin eine breite Grundlagenforschung fördern, weil man nur so überhaupt herausfindet, welche Wissenschaften wo auf hohem Niveau bearbeitet werden. Forschungsthemen, -ziele und -projekte müssen sich flexibel entwickeln können, um gute Leute, Kreativität und ertragreiche Zusammenarbeit hervorzubringen.

CW: Müßte nicht ein Anreizsystem geschaffen werden, damit Wissenschaftler ihre Innovationen vermarkten?

Engelke: Wenn ein Wissenschaftler ein Produkt so weit entwickelt, daß er damit später ein Unternehmen gründet und an die Börse geht, dann schafft zusätzliche Forschungsförderung keine neuen Anreize mehr. Eine Firma wie Ixos ist vor einem Jahr an den Neuen Markt gegangen und ist heute einige hundert Millionen Mark wert. Ich denke, man muß die Leute viel mehr bei ihrem Gefühl packen und Eigeninitiative unterstützen. Man kann die Hunde nicht zum Jagen tragen. Wir wären schon froh, wenn wir jedes Jahr zehn Unternehmen an den Markt bringen könnten. Das Innovationspotential ist nirgendwo so groß und konzentriert wie hier bei der DFG. Und wir können auf die Leute zugehen, Projekte vorantreiben und den Transfer in die Wirtschaft unterstützen.

CW: Wo können Sie bei Ihrer Arbeit ansetzen?

Engelke: Wir brauchen mehr Transparenz, um an der richtigen Stelle fördern zu können. Häufig gelangen Forschungsergebnisse an den Markt, von deren Umsetzung wir nie etwas hören. Die Erfahrung zeigt, daß sich für die Wirtschaft oft Dinge eignen, die nicht ausdrücklich Ziel der Forschungsprojekte sind, die aber während einer Grundlagenforschung entstehen.

Es wird zu wenig über diese positiven Nebeneffekte gesprochen.

Eine weitere Hürde ist auch, daß die DFG im Falle eines Markterfolges einen Teil der Fördersumme rückerstattet haben möchte.

CW: Sie verfügen mit der Ideenwerkstatt über ein Forum für Ideengeber. Haben Sie auch ein Forum für die Industrie zur Begutachtung der Forschungsergebnisse?

Engelke: Hier gibt es eine große Lücke. Eine theoretische mathematische Formel hat für die Industrie noch keinen Mehrwert. Die Forscher müssen lernen, ihre Resultate verständlich zu präsentieren, und beispielsweise den Vorteil dieser Formel in puncto Sicherheit erläutern. Das ist auch ein Grund, warum viele Ideen in Publikationen verfügbar sind, das Potential aber nicht ausgeschöpft wird. Und in dem Maße, in dem Unternehmen ihre Forschungsbudgets abbauen, verlieren sie auch die Fähigkeit, die in den Innovationen enthaltenen Ideen und Möglichkeiten zu erkennen.

CW: Sehen Sie ein Problem in der Ausbildung des Nachwuchses an den Hochschulen?

Engelke: Bei der derzeitigen Situation haben wir keine Chance, den Hochschulen ein neues Thema in der Lehre aufzuzwingen. Außerdem kämpfen wir mit Personalengpässen. Nehmen Sie die Bioinformatik. Von seiten der Industrie wurde uns eine große Nachfrage an diesem Thema signalisiert. Also haben wir ein spezielles Bioinformatikprogramm aufgelegt. Das konnte ein halbes Jahr nicht anlaufen, weil sich keine qualifizierten Mitarbeiter fanden. Die wenigen ausgebildeten Nachwuchskräfte verschwinden in die Industrie, bevor die Hochschulprofessoren attraktive Forschungsthemen anbieten können.

CW: In der Informatik ist die personelle Situation noch schwieriger.

Engelke: Richtig. Da holt die Industrie die Leute schon nach dem Vordiplom aus der Uni. Daraus haben wir den Schluß gezogen, daß wir ein für Wissenschaftler attraktives Umfeld schaffen müssen. In der Bioinformatik starten wir deshalb einen Versuch: Wir bieten einer Hochschule viel Geld, wenn sie im Gegenzug alle Strukturen beseitigt, die Abiturienten daran hindern, Bioinformatiker zu werden. Es reicht nicht, daß wir am Ende der Kette viel Geld in die Forschungsförderung stecken und dann keine Mitarbeiter da sind, die diese Forschungsarbeit leisten.

CW: Welche Strukturen wollen Sie eliminieren?

Engelke: Relevante Fragestellungen ändern sich in manchen Bereichen so schnell, daß Hochschulen mit ihren internen Entscheidungsprozessen nicht nachkommen. Dies gilt insbesondere bei interdisziplinären Themen. Für solche Umverteilungen sind möglichst schnell schwierige Entscheidungen zu treffen. Das geht vermutlich nur, wenn weniger Personen daran beteiligt sind.

CW: Wo sehen Sie die Zukunft in der Informatikforschung?

Engelke: Das Schwergewicht muß weit stärker als bisher auf der Software liegen. Besonders Software-Engineering ist ein wichtiger Zukunftsbereich, aber auch Data- und Information-Mining oder Mensch-Computer-Schnittstellen. Nur mit der intelligenten Verknüpfung von Komponenten sind wir in der Anwendungsentwicklung schnell genug, um nicht den Anschluß an andere Länder zu verlieren. Weil Software heute eine so grundlegende Bedeutung hat, sollte die Software-Entwicklung zum Bestandteil jedes Forschungsprojektes werden. Außerdem brauchen wir längere Projektlaufzeiten - von acht bis zehn Jahren. Nur wenn wir das Gewicht von Software als Wertschöpfungsquelle für die gesamte Wirtschaft begreifen und entsprechende, flexibel einsetzbare Mittel für die Informatikforschung bereitstellen, können wir unser Innovationstempo steigern.

*Andreas Toller ist freier Journalist in Brühl.