Integration aller Stufen von der CDC205 bis zum Mikro:

Uni Karlsruhe strickt an Vernetzungskonzepten

03.08.1984

Während lokale Netze immer noch eher in Hochglanzprospekten und Anzeigen vorkommen denn in der rauhen Wirklichkeit des Day-to-Day-Computing im kaufmännischen und administrativen Bereich, sieht es in manchen fortschrittlichen Hochschulen schon anders aus. So etwa auch in Karlsruhe, wo die dortige Technische Hochschule ihr gesamtes Know-how zusammenkratzt und intensiver engeren Vernetzung ihrer Anlagen arbeitet. Und das bei kräftiger Mitwirkung des Hauses IBM.

Die Uni Karlsruhe, so berichtete kürzlich in Davos auf einem IBM-Symposium über "Trends in University Computing" (siehe CW Nr. 31 vom 27. Juli 1984, Seite 6) Professor Gerhard Krüger, besitzt eine hierarchische Anordnung von Rechnern; also eine Struktur, die, so Krüger, "zunehmend als sehr günstig für den Rechnergebrauch in großen Forschungseinrichtungen angesehen" wird.

Auf der obersten Hierarchiestufe steht eine "CDC 205", dann kommen in Ebene zwei mehrere Universalrechner unterschiedlicher Hersteller (mit IBM und anderen Architekturen) und noch eine Ebene weiter unten zahlreiche Bereichs- und größere Prozeßrechner etwa der Klassen "PDP- 11 " und "VAX", an den Universal- und an den Bereichsrechnern hängen im Timesharing-Betrieb Hunderte von Terminals. Ganz unten schließlich finden sich dann Mikrocomputer, intelligente Workstations Laborrechner und Kleinstprozeßrechner. Und gerade an letzteren ist Krüger zufolge "ein steil steigendes Interesse festzustellen", weshalb es eigentlich ganz schön sei, daß die erwähnte Zusammenarbeit mit IBM vor allem das Ziel habe, "die Nutzung dieser Systeme zu fördern und mit ihnen neue Anwendungen in Forschung und Lehre zu erschließen".

Will man aus solchen kleinen Maschinen mehr herausholen, als üblicherweise bei einem isolierten Nebeneinander der einzelnen Geräte zu erwarten ist, so muß man dafür sorgen, daß auch die Winzlinge miteinander und mit größeren Maschinen effektiv kommunizieren können. Wozu gesagt werden muß, daß Karlsruhe als "Campus"-Universität hier auch an die geographische Ausgestaltung der einzelnen Verbindungen hohe Anforderungen stellt - und das, natürlich, nicht erst seit gestern.

Die Netztradition in der badischen Metropole geht zurück bis in jene Tage, da man in den einzelnen Fakultäten - damals noch räumlich konzentriert - Außenstationen des zentralen Rechenzentrums errichtete und über sie so ehrwürdige Dinge wie "Remote-Batch-Betrieb" abwickelte; zudem wurden Terminalcluster und Institutsrechner eingerichtet. Das alles beginnt nun langsam im Dämmerlicht der Vergangenheit zu verschwimmen und neue, modernere Netze befinden sich inzwischen teils im Bau, teils arbeiten sie schon. So etwa das "Link" der Fakultät für Informatik, ein lokales Netz, das auf der CSMA/CD-Technik des Ethernet-Protokolls basiert, wobei hier konkret die vom US-Unternehmen Ungermann-Bass entwickelte Version namens "NetOne" eingesetzt wird.

Zu diesem Netz gehören Network-Interface-Units, über die Geräte unterschiedlichen Zeitverhaltens und unterschiedlicher Protokolle beziehungsweise Steuerungsverfahren an "Link" angeschlossen werden können. Will man in andere Netze, etwa in die SNA- oder in die DECnet-Welt gelangen, so ist das laut Krüger "über Gateways und Protokollumsetzungen möglich". Über "EARN" Kommunikation zu anderen Hochschulen

Nicht allein die lokale Vernetzung von DV-Anlagen ist für Lehre, Forschung und Verwaltung von unbestreitbarem Nutzen auch Fernverbindungen für die über den Campus hinausreichenden Kommunikation erscheinen vielen Wissenschaftlern äußerst wünschenswert. Hier erwartet Krüger sich eine große Hilfe vom "European Academic and Research Network" (EARN), einer von IBM gesponserten Entwicklung. Es soll "auf der Basis von" Electronic Mail", "File Transfer" und "Forward-Techniken" einen effektiven Gedankenaustausch ermöglichen. Außerdem setzt der prominente Informatiker auch große Hoffnungen auf das Schmalband- und später das Breitband-ISDN, das mit 144 KBit pro Sekunde beziehungsweise mit 140 MBit pro Sekunde arbeiten soll. Letzteres ermöglicht bekanntlich Videokonferenzen, Bildfernsprechen und eine extrem schnelle Computerkommunikation, während das erstere vor allem in Sachen Gebühren einen Durchbruch nach unten sowie - Schritt für Schritt - eine Einbindung der heutigen Sonderdatendienste bringen soll.

Aber nicht nur das macht die ISDN-Entwicklungen so interessant, meint Krüger. Er sieht in dieser Technik auch für den lokalen Bereich eine wichtige Konkurrenz zu den heutigen eigenbrötlerischen LAN-Konzepten der einzelnen Hersteller erwachsen: Eine Konkurrenz, die sich auf in Massen und mithin billig produziertes Equipment werde stützen können und somit wohl attraktiv werden dürfte.

Bei der Kooperation zwischen der Uni Karlsruhe und dem "Wissenschaftszentrum" der IBM in Heidelberg geht es nach Angaben von Krüger darum, in einem. Schwerpunkt "neue Kommunikationstechnologien auf digitaler Basis einschließlich schneller Fiber Optics" zu untersuchen. Dabei sei das OSI-Modell der ISO die Grundlage, und hier gelte das Interesse vornehmlich den oberen vier Schichten des Sieben-Schichten-Modells: Der Transport, der Session, der Presentation und mit Einschränkungen, auch noch der Application-Schicht.

Karlsruhe arbeitet dabei einmal mit IBM-Rechnern vom Typ "PC" bis hinaus zu großen MVS-Systemen, andererseits aber auch mit Maschinen anderer Hersteller. Die Wissenschaftler fragen nun vordringlich danach, ob mit den ISO-OSI-Standard-Diensten und -Protokollen inhomogene Netze im Inhouse-Rechnerverbund überhaupt effizient realisiert werden können und ob es möglich sein wird, einen Dienstleistungsverbund unterschiedlicher Rechner und verschiedener Hersteller aufzubauen, der für den Benutzer völlig transparent ist.

In Karlsruhe und Heidelberg wird also letztlich an einem Prototypen "für ein fortgeschrittenes Rechnerverbundnetz der 90er Jahre" gearbeitet und dabei nun müssen Probleme in großer Zahl behandelt werden: Nicht nur die Heteronität der Rechnerarhitekturen und der Betriebssysteme will dabei überwunden werden, auch die Aufgabenverteilung der Benutzeraufträge durch das Netz selber müssen erst einmal implementiert sein. Außerdem soll erreicht werden, daß alle Einzelrechner und Rechnergruppen bei Störungen teilautonom weiterarbeiten können und daß sie vor unbefugten Zugriffen geschützt sind. Schließlich gilt es, Prograrmmierumgebungen für verteilte Systeme zu schaffen und dafür zu sorgen, daß alle Benutzer einen technisch ungehinderten Zugang zu allen Ressourcen im Netz bekommen.

Das Karlsruher Netz- und Kommunikationsprojekt arbeitet seit Beginn des Jahres mit einer IBM 4341, die über die üblichen Schnittstellen mit einer Reihe von Workstations verbunden ist. Seither ist auch die Installation eines Earn-Unterknotens bereits "praktisch abgeschlossen" worden, wie Krüger zum Stand der Dinge sagte. Im September werden zwei Rechner des Typs 4361 in getrennten Lokalitäten installiert und miteinander sowie mit der erwähnten 4341 mittels schneller Glasfaserstrecken verbunden. Für die Kopplung von PC mit PC ist ein Labormodell des IBM-Token-Rings vorgesehen, wobei auch hier teilweise bereits Glasfaserstrecken eingeplant sind. Im übrigen wird ein Teil der Mikros an das schon beschriebene Ethernet-Netz (NetOne) angeschlossen, während ein anderer Teil Zugang zum SNA-Netz des Universitätsrechenzentrums haben soll.

Der Karlsruher Ethernet-Verbund bietet außerdem Zugang zum Datex-P-Netz und das führt beispielsweise dazu, daß man das amerikanische Computer-ScienceNet (CS-Net) direkt von den Workstations aus erreichen kann, die im Netzverbund am Informatikrechner der Uni hängen.

Daneben befassen sich die Karlsruher mit dem Einbinden der Rechner, vor allem natürlich der Tischcomputer und Workstations, in den täglichen Ausbildungsbetrieb.

Es gehe darum, meint Krüger, computergestützte Arbeitsmethoden, techniken und -werkzeuge von Beginn an in die Lehrpläne aufzunehmen, denn es habe zum Beispiel "wenig Sinn, die Studenten am Rechenschieber oder am Zeichenbrett in klassischer Arbeitsmethodik auszubilden, wenn sie in der Berufsarbeit von Anfang an mit CAD-Systemen konfrontiert werden".

Bei Arbeitsplatzrechnern erwartet der Informatikprofessor noch eine sehr weitgehende Entwicklung, die vor allem in Richtung einfacher Benutzbarkeit durch den Nicht-Informatiker gehen wird: "Es ist unsere feste Ansicht, daß das Potential der Arbeitsplatzrechner technologisch... noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. Hochleistungsarbeitsplatzrechner mit voller Kommunikationsfähigkeit in Sprache, Bild, Text und Daten und mit großen privaten Datenspeichern werden unseren Umgang mit der Datenverarbeitung grundsätzlich und in heute noch kaum vorstellbarer Weise ändern."

Damit ist man auch schon wieder beim Thema Netze angekommen, denn Krüger sieht für die Zukunft voraus, daß "der eigene individuelle Rechner" auf mehrere vollkompatible" Geräte verteilt sein wird: Erstens auf den Rechner am Arbeitsplatz, zweitens auf den Rechner in der privaten Umgebung und dann noch drittens auf den mobilen Rechner für Reise und Tätigkeiten im Freien. Dieser Systemkomplex wird in Zukunft "das Hauptmittel der geschäftlichen und privaten Informationshandlung und der Telekommunikation sein".

Funktionen des Rechners der Zukunft

Krüger machte dann noch etwas plastischer, was ihm denn nun eigentlich als "persönlicher Computer der Zukunft" vorschwebt: Durch Multifunktions-Kommunikationsfähigkeit und durch Nutzung der Methoden der künstlichen Intelligenz, besonders der Expertensysteme, werde der individuelle Rechner die persönliche Wissens- und Kommunikationsbasis eines jeden qualifizierten Individuums werden. "Die Schaffung solcher hochintelligenten ganz auf die Informations- und Kommunikationsbedürfnisse eines Einzelbenutzers mit seinem ureigenen Interessens- und Lebensprofil" zugeschnittenen Systeme ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Langfristperspektiven, die vor uns liegen.

Die Rechner Mitte der 90er Jahre und die dann gängigen Kommunikationsnetze werden, so der Fachmann bündig mit den Systemen von heute nicht mehr zu tun haben als etwa die Autos und Straßen von heute mit den Autos und Straßen, des Jahres 1900.