Vortrag von Professor Heinz Zemanek über Computer-Systeme:

Undurchschaubarkeit nicht ungewöhnlich

02.10.1981

WIEN (pi) - "Schwarze Schachteln - undurchschaute und undurchschaubare Systeme" war der Titel eines stark besuchten Vortrages, den Professor Dr. Heinz Zemanek vor Mitgliedern der Österreichischen Computer Gesellschaft (ÖCG) gehalten hat. Zum Teil war er als Antwort auf Thesen gedacht, die Professor Josef Weizenbaum zum gleichen Thema aufgestellt hatte. Zemanek bezog sich mehrmals auf die Ansichten "seines alten Freundes Weizenbaum", mit dem er allerdings nicht in allen Fragen konform gehe. Beide Vorträge sind auf Kassette bei der ÖCG zu erhalten.

Zunächst stellte der Vortragende fest, daß zwar mathematische und logische Systeme die einzigen perfekt durchschauten Strukturen überhaupt seien, Computer sich ferner ausschließlich aus Bauelementen dieser Art zusammensetzten, Computeranwendungen aber trotzdem häufig undurchschaubar seien. Dieser Widerspruch habe mehrere Ursachen:

Erstens die Zusammenarbeit des Menschen mit der Maschine: Da der Mensch ein grundsätzlich undurchschaubares System ist (übrigens noch viel mehr als die Gesellschaft), ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit oft schwer zu durchschauen.

Zweitens die Größe der Systeme: selbst wenn alle Bauelemente durchschaubar sind, kann ein Gesamtsystem aus diesen Bauteilen hochgradig undurchschaubar sein, weil die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten des Informationsflusses zwischen diesen einfach jedes menschlich faßbare Maß übersteigt.

Drittens ist auch die prinzipielle Durchschaubarkeit des Elementes, als "black box" betrachtet, fraglich: Was sind die Anforderungen? Der gewünschte Detaillierungsgrad? Die Umweltbedingungen?

Maus mit 64 Zuständen

Dieselben Aspekte, die Zemanek zunächst für Hardware-Systeme darlegte, gelten auch für die Software: Obwohl Programme (zumindest deren Bausteine) präzise durchschaubar sind, sind sie wegen ihrer Komplexität und wegen der Beteiligung des Menschen in allen Phasen des Entstehens von Software keineswegs immer durchschaut.

Als Beispiel brachte Zemanek die künstliche Maus mit potentiell 64 Zuständen und die formale Beschreibung der Semantik von PL/1: Beide sind im Prinzip durchschaubar, aber kaum durchschaut. Es wäre aber auch eine fragwürdige Art von "Durchschautheit"" würde einem als Antwort auf eine Frage die 1500 Seiten starke PL/1-Beschreibung hingelegt. Und zusätzlich bliebe offen, wie weit der Leser dieses Dokumentes die nötige Vorbildung hätte, es zu verstehen. Beispiele aus anderen Gebieten (als der Datenverarbeitung) für Undurchschautes sind etwa das Schachspiel, die Gedanken des Schachspielers oder die Vorgänge beim Erkennen eines Musters durch einen Menschen.

Zemanek erweiterte die Frage nach der Durchschaubarkeit eines Systems insoweit, als er neben der Durchschaubarkeit des eigentlichen Objektes nach der Güte der Beschreibung, nach der Möglichkeit des Lesers, die Beschreibung zu verstehen, nach dem Umfang der Beschreibung und nach eventuellen Rückkopplungen im System fragte. Er verglich die Durchschaubarkeit eines Systems mit der "Durch-Schau"barkeit eines Stapels von Glasplatten. Diese wächst mit der Qualität des Glases, verringert sich aber mit der Anzahl der Schichten und der Reflexion an den Übertragungsflächen. Auf den Computer übertragen bliebe nur die Verbesserung der Qualität, meinte der Vortragende: sowohl des einzelnen Mitentwerfers des Systems als auch des Entwurfs insgesamt. Er forderte daher bessere Aus- und Weiterbildung sowie bessere Entwurfsmethoden.

Auf Fragen der Verantwortung des Programmierers ging er leider nicht ein. Er erwähnte nur, daß die Erstellung eines "Moralkodex" für Programmierer derzeit auf Schwierigkeiten stoße. Zusammenfassend meinte er, daß mit größeren Systemen deren Undurchschaubarkeit zunächst unvermeidlich sei, diese Situation aber weder ungewöhnlich noch gefährlich sei.

In der Diskussion wurde der Aspekt "Erfahrung" im Umgang mit Systemen als Mittel zu: deren "Durchschauung" erwähnt. Professor Zemanek wünschte sich "selbstverständlichen Umgang mit Computern". Bezüglich des US-Frühwarnsystems meinte er, es sei besser, daß dieses zu empfindlich als zu unempfindlich sei, mußte sich aber erhebliche Zweifel an dieser Auffassung entgegenhalten lassen.