Antwort eines Insiders auf die Reminiszenzen eines ehemaligen Insiders

"Und Second Hand lohnt sich doch"

16.04.1976

HEMMINGEN - In der CW-Ausgabe Nr. 12 vom 19. März 1976 erschien auf Seite 14 der Artikel: "Geschäftsusancen der Gebrauchtcomputerbranche: Reminiszenzen eines ehemaligen Insiders" von Wolfgang Mudter. Einiges darin ist wahr, vieles halbwahr, eine ganze Menge stimmt Oberhaupt nicht mehr. Es ist eben der Artikel eines ehemaligen Insiders!

Wer den Bericht liest, muß zu dem Schluß kommen, daß es seriöse Second-Hand-Lieferanten nicht gibt und daß es riskant ist, mit dem Gedanken zu spielen, seine Kosten durch Einsatz einer Second-Hand-Anlage zu senken.

Wer so denkt, ist nicht mit der Zeit gegangen. In den USA ist der Einsatz von gebrauchten EDV-Anlagen "in". Niemand hat dort Bedenken, solche Anlagen einzusetzen - man weiß, daß es in puncto Qualität und Service kaum einen Unterschied zu Neuanlagen gibt. Seit Jahren hat der US-Anwender diese Erfahrung gesammelt. In Deutschland wurde von Benutzerseite zunächst noch gezögert. Es kommt hierzulande eben alles etwas später. Aber auch bei uns setzt sich das kaufmännische Denken mehr und mehr durch, und viele haben bereits erkannt, daß durch den Einsatz einer gebrauchten EDV-Anlage ganz nette Summen einzusparen sind.

Zu den Mudterschen Tiraden im einzelnen: Es ist IBM gegenüber ungerecht, wenn in dem Artikel behauptet wird, daß IBM Gebrauchtmaschinen nur wartet, wenn das Zertifikat nicht älter als drei Monate ist, und sich dabei kein Bein ausreißt. IBM ist korrekt. Die Maschinen, die ein Wartungszertifikat haben, werden genauso behandelt, als ob sie von IBM direkt geliefert wären, Oder weiß jemand anderes zu berichten?

Und weiter: Nur mit Qualität und Sicherheit können heute EDV-Systeme; second hand verkauft werden.

Natürlich gibt es "Kellerbetriebe", die großspurig komplette EDV-Anlagen anbieten und dann später versuchen, alle möglichen Firmen einzuschalten, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können.

Es liegt doch in der Hand des Käufers, sich nach der Seriosität einer Firma zu erkundigen. Ich kann nicht vorstellen, daß jemand eine Anlage für 500 000 Mark oder gar 1,5 Millionen Mark kaufen will, ohne vorher genau überprüft zu haben, mit welchem Partner er es zu tun hat. Warum sollten von einem Verkäufer solcher Anlagen nicht einwandfreie VerkaufsunterIagen zu bekommen sein. Empfehlenswert auch, Referenzen anzufordern und sich zu erkundigen, ob frühere Lieferungen des Verkäufers einwandfrei abgewikkelt wurden.

Die Darstellung in dem Bericht, daß die Second-Hand-Händler nur mit Akkreditiven arbeiten und daß man daraus schließen muß, daß sie sich gegenseitig nicht trauen, ist doch sicherlich nicht ernst gemeint. Wenn bei Objekten in Millionenhöhe mit Akkreditiven und Bankbürgschaften gearbeitet wird dann ist das durchaus üblich. Wie sich der Käufer in jeder Weise absichern muß, so auch der Verkäufer! Bei einem solchen Objekt muß die Finanzierung genau durchgesprochen sein, und es müssen faire gegenseitige Abmachungen bestehen, die jedem der Vertragspartner das Gefühl der Sicherheit geben.

Der Vorschlag, sich immer die Seriennummer der CPU sagen zu lassen, um prüfen zu können, ob die Anlage auch wirklich lieferbar sei, geht völlig an den Tatsachen vorbei. Dann sind wir doch wieder bei den Einzelgeschäften, bei denen der Kunde sich nach der Ausstattung richten muß, die zufälligerweise bei irgendeinem Händler am Lager steht.

Was spart ein Anwender nun wirklich durch den Kauf einer Second-Hand-Anlage?

- 360 Anlagen sind 70 bis 85 Prozent unter dem Originalpreis zu haben.

- Eine reelle, komplette und modern 370-Anlage ist etwa 30 bis 40 Prozent billiger.

- Kleinere Systeme, wie System 3 370/115 liegen 20 bis 30 Prozent unter dem Originalpreis.

- Einzelne Zentraleinheiten ohne Peripherie sind oft noch günstiger zu bekommen.

Fazit: Der Kauf einer Anlage lohnt, sich immer dann, wenn sie mindesten 3 oder 4 Jahre genutzt werden soll.

* Horst Müller ist Geschäftsführer der Computer Systeme Müller KG, 3005 Hemmingen Carl-Zeiss-Str. 26