Praktische Übungen

Und nun bitte kreativ sein!

29.06.2014
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Kreativität ist eine Fertigkeit, die ebenso trainiert werden kann wie jede andere auch. Zwei Aufrufe aus ganz verschiedenen Ecken - vom Unternehmer David Kelley, dessen Firma IDEO die erste Apple-Maus entwickelte, und von der Künstlerin Julia Cameron - versprechen, mit praktischen Übungen kreatives Potenzial zu wecken.

Der bunte Apfel mit dem Slogan "Think different" symbolisiert die Kreativität von Steve Jobs Apple-Welt. Dass Einfallsreichtum und schöpferisches Potenzial weder mit Magie noch mit Zeichnen-Können zu tun haben, behaupten zahlreiche Seminar-Anbieter und Buch-Autoren. Zwei seien beispielhaft herausgegriffen: die Brüder David und Tom Kelley einerseits und Julia Cameron andererseits. Die Kelleys haben erst vor wenigen Monaten im Verlag Herrmann Schmidt, Mainz, ihr "Kreativität und Selbst/Vertrauen - Der Schlüssel zu Ihrem Kreativbewusstsein" auf den deutschen Markt gebracht. Camerons "Der Weg des Künstlers" kann als Klassiker gelten, das Buch erschien 1996 bei Knaur. Seinerzeit noch in der Reihe Esoterik, die 2000 in MensSana umbenannt wurde.

Kreativität lässt sich erlernen und hat nichts mit angeborenem Talent zu tun.
Kreativität lässt sich erlernen und hat nichts mit angeborenem Talent zu tun.
Foto: alphaspirit - Fotolia.com

Die Autoren könnten kaum unterschiedlicher sein. David Kelley war ursprünglich Elektroingenieur und kam über ein interdisziplinäres Joint Program in Design zur Beschäftigung mit der Kunst. 1987 gründete er mit anderen kreativen Köpfen das Design- und Ingenieurbüro Hovey-Kelley Design, heute IDEO. Das Unternehmen entwickelte beispielsweise die erste Apple-Maus (zum Lisa-Computer) und den ersten Palm-Treo. Außerdem ist Kelley Mitbegründer des "Hasso Plattner Institute of Design" an der Stanford Universität. Sein Bruder und Co-Autor Tom hält Vorträge zum Thema Innovation und ist Executive Fellow an der Haas School of Business der UC Berkeley. Darüber hinaus arbeitet er für die Universität von Tokio.

Motto der Brüder: "Im Kern geht es bei Kreativbewusstsein um den Glauben daran, die Welt verändern zu können". Sie betonen, wie kreativ Geschäftsführer, Anwälte und Ärzte wirken können. Die Kelleys sprechen viel über Innovationsprojekte. Diese basieren auf drei Komponenten: menschlichen Bedürfnissen, technischer Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit.

Ganz anders Cameron. Sie ist Künstlerin, Drehbuchautorin und Lehrerin für Kreativität. Ihre Schüler sind Musiker und Schauspieler, Maler und Schriftsteller. Der Regisseur Martin Scorsese ("Good Fellas") ist ihr vielleicht bekanntester Schüler. Für Cameron hängen Kreativität und Spiritualität zusammen.

Übungen für den Einzelnen und für Teams

Einig sind sich die Kelleys und Cameron in einem zentralen Punkt: Kreativität hat nichts mit angeborenem Talent zu tun. Die Fähigkeit zu kreativen Denken, Leben und Arbeiten lässt sich erlernen. Damit dieser Gedanke keine Theorie bleibt, geben beide Bücher dem Leser konkrete Übungen an die Hand. Camerons "Weg des Künstlers" dauert zwölf Wochen, die Kelleys liefern Übungen, die ganz nach Bedarf angewendet werden können. Weil sich die Brüder auch an Führungskräfte wenden, enthält ihr Buch nicht nur Übungen für den Einzelnen, sondern auch für Teams. Diese sollen helfen, im Unternehmen eine innovationsfreundliche Kultur zu schaffen.

Dazu einige Beispiele: Wer Camerons Weg zur Aktivierung seiner Kreativität folgen will, muss mindestens zwei Übungen einhalten. Das eine sind die Morgenseiten, das andere der Künstlertreff. Die Morgenseiten erfordern, dass man jeden Tag eine halbe Stunde früher aufsteht und vier Seiten mit spontan fließenden Gedanken aufschreibt. Diese Seiten sollen nicht strukturiert oder logisch sein, sondern so unstrukturiert und frei, wie die Gedanken eben fließen. Der Künstlertreff findet einmal pro Woche statt und ist eine Verabredung mit sich selbst. Bei dieser Verabredung geht es um irgendetwas, worauf man Lust hat: ein langsamer Spaziergang durch ein Viertel, in dem viele ausländisch-stämmige Menschen leben, wo man fremde Gerüche riechen und Geräusche hören kann. Der Besuch eines Orgel-Konzerts in einer Kirche. Oder Reitstunden, weil man als Kind doch eigentlich Cowboy werden wollte.

Lockere Stimmung fördert Kreativität

Die Übungen der Kelleys arbeiten mit Tools wie Mindmaps, Speed Dating oder Customer Journey Maps. Die Kelleys beschreiben vorab, wie lange die Übung dauert und welche Materialien nötig sind. Beispiel für ein Team-Training: Damit sich die Teilnehmer auflockern können, wird eine "Aufwärmübung mit Spitznamen" ausgeführt. Der Moderator lässt aus einem Hut jeden einen Zettel mit Namen wie "Dr. Fabelhaft", "Herr Großherz" oder "Gockel" ziehen. Die Teilnehmer bilden einen Kreis und werfen einen Ball herum - wer ihn fängt, erzählt eine spontan ausgedachte Geschichte darüber, wie er zu seinem Namen kam. Ziel des Ganzen ist es, Hierarchien abzubauen. Denn, so die Kelleys, Gruppen sind dann am kreativsten, wenn die Stimmung gelöst ist. Das setzt allerdings voraus, dass es auch der CEO aushalten kann, in die Rolle von "Wicht" zu schlüpfen.

Beide Bücher stoßen nicht ausschließlich auf Zustimmung. So kommentiert ein User namens "Horst Werner" Julia Cameron auf Amazon wie folgt: "Dieses Buch, wenn es denn umgesetzt wird, leitet dazu an, die engen Fesseln eines einschränkenden persönlichen Systems zu lösen und abzuwerfen. Feine Sache, könnte man meinen, aber einengende Systeme, zumal wenn sie bewusst und selbständig entwickelt wurden, geben auch Halt. Hier liegt der Widerspruch, den Julia Cameron lösen will, indem sie Glück verheißt und den Glauben an die schöpferische Göttlichkeit des Künstlers beschwört. Zuviel spirituelle Elektrizität kann auch schaden. Also vorsichtig probieren und sich dann für die passende Dosis entscheiden."

Das Buch der Kelleys ist erst kürzlich auf deutsch erschienen und hat noch nicht so viel Resonanz erhalten wie Camerons Klassiker. Auf designerbusiness.de äußert Joachim Kobuss, der sich nach eigener Darstellung auf Entwicklungsprozesse im Designbereich spezialisiert hat, "ein paar Anmerkungen zur Gestaltung der deutschen Ausgabe: Überschriften, Marginalien, das Vorwort (über sechs Seiten) und im Fließtext hervorgehobene Absätze sind in einer nicht gut lesbaren Schrift gesetzt. Die unterlegten Farbbalken erschweren die Lesbarkeit zusätzlich."

Weiter kritisiert Kobuss, die "wahllos verteilten Zitat-Doppelseiten" erschwerten es, Anfang und Ende von Kapiteln zu erkennen. Er schreibt: "Die inhaltliche Unterteilung der einzelnen Kapitel ist nicht ersichtlich und wird von ebenso wahllos eingeschobenen Marginal-Textfragmenten unterbrochen. Die Seitenzahlen stehen auf der rechten Seite unten, innen direkt neben dem Bund - das schnelle Durchblättern auf der Suche nach einer Seite wird dadurch unnötig erschwert. Dass es im Anhang Anmerkungen zu Textpassagen gibt, erfährt man leider erst ganz am Ende." (kf)