Potsdamer Ministerium verwirklicht Lösung auf Corba-Basis

Umweltdaten im Zugriff - ohne überflüssigen Ballast

09.08.1996

Wenn im Sommer die Ozon-Werte steigen, rufen Bürger des Landes Brandenburg zuhauf bei der Meßnetz-Zentrale in Hermannswerder an. Dem zuständigen Abteilungsleiter im Umweltministerium blieb bislang nichts übrig, als dasselbe zu tun - immer und immer wieder, bis er das Besetztzeichen überwunden hatte.

Hindernisse anderer Art hatten Sachbearbeiter zu überwinden, die mit einem Genehmigungsverfahren beschäftigt waren: Um sich die für eine Entscheidung notwendigen Daten zu beschaffen, mußten sie eine telefonische Anfrage an das Landesumweltamt stellen. Dort druckte jemand die Informationen aus und schickte sie per Post oder Fax zurück. Das dauerte im günstigsten Fall einen halben Tag, im ungünstigsten eine Woche.

Seit Luis in Betrieb ist, können sich Abteilungsleiter wie Sachbearbeiter an ihren PC setzen und die Daten aus den Fachapplika- tionen selbst abfragen. Erfaßt und gepflegt werden die Informationen an den unterschiedlichen Standorten des Landesumweltamts. Aber wo sie physisch gespeichert sind, braucht den Anwender nicht zu interessieren. Darum kümmert sich ein Object Request Broker (ORB).

"Wir haben ein enorm wirtschaftliches System geschaffen", freut sich der Projektverantwortliche Carsten Schöning. Den Grund für die Begeisterung nennt Dieter Fischer, Leiter des Referats mit dem Bandwurmtitel Umweltverträglichkeitsprüfung, Landesumweltinformationssystem, Umweltlage- und informationszentrum, Öko-Audit: "Wir sind ein armes Land und dürfen keine personal- oder ressourcenintensiven Lösungen entwickeln."

Unter Fischers Verantwortung und Schönings Management entstand in der Landeshauptstadt Potsdam das erste einsatzfähige Landes-Umweltinformations-System auf der Grundlage des Objektkommunikations-Standards Common Object Request Broker Architecture (Corba). Um die Genehmigungs- und Planungsverfahren zu beschleunigen, den Informationshunger der Öffentlichkeit, der Verbände und der Bundesregierung zu stillen, aber auch, um die ganz banale Verwaltungsarbeit zu rationalisieren, arbeiten derzeit fast alle Umweltministerien an integrierten Informationssystemen. Während einige Bundesländer - aufgrund der vorhandenen Infrastruktur - zentrale Lösungen entwickelt haben, beschreiten andere Ministerien einen ähnlichen Weg wie die Potsdamer. Laut Schöning besteht hier und da lebhaftes Interesse, die in Brandenburg gefundene Lösung zu übernehmen.

Auf den ersten Blick fanden die DV-Verantwortlichen in der Zentralabteilung des Brandenburgischen Umweltministeriums Idealbedingungen vor. Da die Anfänge der dortigen DV-Landschaft nur fünf Jahre zurückreichen, mußten sich die Brandenburger gar nicht erst mit Mainframe-Terminal-Lösungen herumschlagen, sondern setzten von Anfang an auf eine Client-Server-Architektur unter Unix und Windows. Aus Kostengründen handelten sie sich aber doch einige Altlasten ein.

Dort, wo das nach den gesetzlichen Bestimmungen möglich war, übernahm das Ministerium Applikationen aus anderen Ländern. Aus diesem Grund ist die DV-Landschaft nicht mehr so homogen, wie es zu erwarten wäre.

Als es darum ging, den Mitarbeitern einen schnellen Zugriff auf die von ihnen benötigten Anwendungen zu ermöglichen, zogen die Verantwortlichen unterschiedliche Vorgehensweisen in Erwägung. Dazu zählte der Versuch, jeden Benutzer von vornherein verbindlich definieren zu lassen, welche Applikationen er benötigen würde. Leider stellte sich im konkreten Fall fast immer heraus, daß diese Liste unvollständig war.

Prophylaktisch für jeden User den Zugang zu allen Anwendungen zu öffnen wäre enorm zeit- und kostenintensiv gewesen, weil dazu Runtime-Lizenzen für unterschiedliche Softwarewerkzeuge und Datenbanksysteme hätten installiert werden müssen. Darüber hinaus wären die Nutzer gezwungen, sich in all diese Systeme einzuarbeiten.

Mit einem ORB gemäß Corba-Spezifikation löst sich dieses Problem quasi von selbst. Schließlich hat die Object Management Group (OMG) den De-facto-Standard in der Absicht geschaffen, den Informationsaustausch zwischen Software-Objekten aus unterschiedlichen Programmiersprachen zu ermöglichen. In Potsdam kommt die Corba-Implementierung "Orbix" des irischen Anbieters Iona zum Einsatz, den hierzulande die Interactive Objects GmbH, Freiburg, vertritt.

In der Diskussion ist die Idee eines ORB-basierten Ansatzes seit dem Grobkonzept für das Projekt. Aufgegriffen hat sie die Condat GmbH, ein Berliner Software- und Serviceunternehmen, das sich an der Ausschreibung für die Feinplanung des Systems beteiligte.

"Die ORB-Idee hat uns gleich gefallen," berichtet Schöning. Sie habe genau in die Zielvorgabe für das Projekt gepaßt - unter allen Umständen eine "schlanke", aufwandsarme Lösung zu schaffen. Außer für "Orbix" erfordert Luis keine Runtime-Lizenzen. Eigenen Untersuchungen zufolge muß das Ministerium auch kaum Personalaufwand für die Administration treiben. Die benötigte Arbeitszeit addiere sich auf höchstens 40 Stunden pro Woche.

Der Vorteil gegenüber anderen - speziell den Data-Warehouse-ähnlichen - Ansätzen besteht für Schöning darin, daß Luis keine eigenen Datenbestände anlegen muß. So lasse sich der Aufwand für die Datenaufbereitung und die Konsistenzpflege sparen.

Die Dateneigner im Landesumweltamt können ihre Dienste anbieten, ohne eine Zeile programmieren zu müssen. Auch die Abfrage verlangt den Benutzern keine DV-Kenntnisse ab, weil Luis eine Reihe von systemweiten Basisdiensten, beispielsweise für geografische Zuordnungen, bereitstellt. Wegen seiner objektorientierten Struktur läßt sich Luis zudem relativ problemlos weiterentwickeln oder für andere Einsatzgebiete wiederverwenden. Darüber hinaus brauchen weder Anbieter noch Nutzer der Informationen auf ihre PC-Werkzeuge zu verzichten. Orbix stellt eine "OLE-Bridge" zur Verfügung, die den Corba-Client als OLE-Automation-Server betrachtet.

Derzeit läuft das Luis-Pilotsystem auf vier Servern. Es enthält Informationen aus den Bereichen Immissionsschutz, Bauleitplanung und laufende Raumbeobachtung sowie den Umweltdatenkatalog (UDK) und eine Vorhabendatenbank. Eingesetzt wird die Installation bislang an 20 Arbeitsplätzen. Nutzerzahl wie Informationsangebot sollen sich schrittweise der Endstufe nähern, bei der 500 Anwender auf alle 80 Fachapplikationen zugreifen.

In Kürze wird auch die Öffentlichkeit die vom Landesumweltamt aufbereiteten Informationen anzapfen können. Teile des Systems sollen voraussichtlich zu Beginn des kommenden Jahres auf dem Web-Server des Umweltministeriums bereitstehen. Weiter planen die Brandenburger, die externen Nutzer direkt auf Luis zugreifen zu lassen. Ob der Client-Teil dafür von Visual Basic vollständig auf Java umgestellt werden soll, ist noch nicht ausdiskutiert.

Hauptmerkmale des Systems

-Luis kommuniziert über alle TCP/IP-Netze (sogar via Mobilfunk).

-Das System kombiniert getrennte Quellen miteinander die Darstellung läßt sich dem Inhalt anpassen.

-Das System abstrahiert von Speicherort und -art der Informationen.

-Dienste lassen sich ohne Programmieraufwand veröffentlichen.

-Aufgrund seines objektorientierten Konzepts ist Luis leicht erweiterbar.

-Standards wie Corba, OLE und TCP/IP bilden die Grundlage.

-Jeder Dienst kann via OLE-Automation aus "Office"-Paketen beziehungsweise C oder C++ heraus aufgerufen werden.

-Es gibt Anschlüsse und intelligente Zugriffsmethoden für beliebige Datenhaltungssysteme und Viewer.

-Systemweit verfügbare Basisdienste erleichtern die Recherche.

-Das Zugriffsschutz-Konzept - mit verschiedenen Sicherheitsstufen - ist vom Informationsanbieter steuerbar.

-Nutzereigene Repositories sollen ein individuelles Bild ermöglichen.

-Via Internet kann bald auch die Öffentlichkeit auf Luis zugreifen.

Die Menschen hinter der TechnikDieter Fischer, Kunst- und Technikkenner

Wer das Brandenburgische Landesministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung in Erwartung des üblichen Amtsmiefs betritt, wird in Fischers Büro angenehm überrascht: Der 53jährige schmückt seinen Arbeitsplatz mit Originalen zeitgenössischer Künstler. Als Student kam der gebürtige Schwabe an die TU Berlin, wo er seit zwölf Jahren auch unterrichtet. Das Studium der Elektrotechnik krönte er mit einer Promotion in physikalischer Chemie. Mit dem Thema Umweltinformations-Systeme setzte er sich erstmals im Umweltbundesamt auseinander, wo er von 1979 bis 1991 arbeitete. Seit fünf Jahren steht Fischer in den Diensten der Landesregierung Brandenburg. Dort leitet er das Referat, in dessen Rahmen das Umweltinformations-System des Landes entwickelt wird.

Carsten Schöning, Brandenburger Eigengewächs

Kein "Besser-Wessi", sondern ein waschechter "Ossi": Schöning gehört zu der Generation junger Akademiker, die in der DDR ausgebildet wurden und ihre ersten Berufserfahrungen nach der Wende sammelten. Er wurde vor 30 Jahren in Brandenburg geboren und absolvierte ein Studium der Informationstechnik an der Universität von Karl-Marx-Stadt. In das Umweltministerium des Landes Brandenburg trat er im Februar 1991 ein. Seit 1992 gehört er zum Referat von Dieter Fischer, wo er für die "Luis-Entwicklung" verantwortlich zeichnet. Nebenberuflich leitet er an der TU Berlin eine Lehrveranstaltung sowie ein Projekt, das sich mit objektorientierter Modellierung beschäftigt. Schöning ist erreichbar unter 100317.3014compuserve.com.