Große Hersteller decken möglichst viele Abrechnungsvarianten ab

UMTS erfordert Umdenken beim Billing

03.08.2001
MÜNCHEN (sra) - Viel Geld haben die Mobilfunkbetreiber bereits in die UMTS-Lizenzen investiert. Doch bevor die Technik Gewinn bringt, müssen sie weitere Hürden nehmen: Beispielsweise benötigen sie nun komplexere Billing-Systeme. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits getan.

Wie das Billing für UMTS genau aussehen wird, steht noch in den Sternen. Nach dem Stand der heutigen Diskussion zeichnen sich folgende Modelle ab: Erstens die Abrechnung nach übertragener Datenmenge beziehungsweise Anzahl der Transaktionen, zweitens Pauschalgebühren, drittens das Billing nach dem Nutzwert der Daten. Dabei soll neben der übertragenen Menge auch die Qualität der Daten eine Rolle spielen. Viertens schließlich die Finanzierung durch Werbung. Jede dieser Varianten hat ihre Stärken und Schwächen. Die Abrechnung nach übertragener Menge zum Beispiel lässt den Nutzwert der Daten unberücksichtigt. Zudem hängt die Transparenz der Rechnung stark davon ab, wie die Datenmenge gemessen wird - in Einheiten, Minuten, KB oder Paketen. "Viele Kunden würden eine Abrechnung auf Basis von Paketen nicht verstehen", glaubt Norbert Scholz, Analyst bei Dataquest IT Services.

Um zumindest die Kritik an der rein quantitativen Orientierung zu berücksichtigen, brachten findige Strategen die nutzwertabhängige Tarifierung ins Gespräch. Wie hoch die Akzeptanz der Benutzer für diese Methode sein wird, ist ungewiss, denn bislang existieren keine Erfahrungswerte. Schwierigkeiten dürfte zudem die Bewertung der Qualität bereiten. Sieht eine derartige Abrechnung dann aus wie eine Zahnarztrechnung, die für besonders schwierige Behandlungen den doppelten oder dreifachen Satz veranschlagt? Und wie lassen sich diese Rechnungen kontrollieren? Laut Scholz stellt auch die Komplexität der Beziehungen zwischen den Carriern, den Lieferanten der Inhalte und Betreibern von Portalen ein ernsthaftes Hindernis für diese Form der Abrechnung dar. Diese drei Parteien müssen nämlich den Kuchen unter sich aufteilen.

Einzelne Pakete öffnenUm den Nutzwert von Informationen zu bewerten, ist erforderlich, dass ein Billing-System zwischen Sprache, Daten und verschiedenen Applikationen unterscheiden kann. Dazu muss es die einzelnen Pakete öffnen. Dies wirkt sich unter Umständen auf die Performance aus. "Man benötigt dafür leistungsfähige Mediations-Tools", erklärt Norbert Scholz. Er zählt als Beispiele die Hersteller Narus, Xacct, AP Engines, Ace*Comm und EHPT auf.

Eine Alternative zu nutzwertabhängigen Tarifen ist die Abrechnung nach Quality-of-Service (QoS). Während bei Ersterer die inhaltliche Bewertung der Daten im Vordergrund steht - ob es sich um eine Übertragung von beliebigen Internet-Inhalten, Sprache oder etwa spezielle Anfragen aus Datenbanken handelt -, bezieht sich QoS hauptsächlich auf die Güte der Netzverbindung. Hier gehen Parameter wie Paketverlustrate oder Verzögerungszeiten ein, die etwa bei Voice over IP (VoIP) einen größeren Einfluss haben als für die Übertragung eines Textes. Hersteller wie EHPT und Portal Software betonen, ihre Lösungen unterstützten die Abrechnung nach QoS schon heute. Doch in der Praxis spielt das noch keine Rolle.

Pauschalgebühren dagegen sind weit verbreitet und werden von Benutzern in der Regel gut akzeptiert. Sie gelten jedoch als unprofitabel für die Anbieter. So hat beispielsweise die Telekom-Tochter T-Online im März ihre Internet-Flatrate abgeschafft, nachdem sie einen großen Teil der Verluste im Geschäftsjahr 2000 darauf zurückgeführt hatte. Auch die Finanzierung über Anzeigen hat für Internet-Service-Provider (ISPs) in der Vergangenheit nie wirklich gut funktioniert: Die Einnahmen flossen nicht wie erwartet. Die derzeitige wirtschaftliche Flaute in der Branche hat die Lage weiter verschärft.

Da die künftigen Mobiltelefone nicht nur Sprache übertragen sollen, erfordern sie neue Formate für die Verbindungsdaten. In der Festnetztelefonie enthalten diese Call-Detail-Records (CDRs) Informationen über Dauer des Gesprächs und Standorte der Teilnehmer. In der Mobiltelefonie werden künftig CDRs für Sprache und Daten benötigt. Für die so genannten IP-Detail-Records (IPDR) wird derzeit ein Standard entwickelt. IPDR hat Fortschritte gemacht, aber was daraus wird, ist bisher unklar - zumal nicht alle Hersteller die Initiative unterstützen. Jonathan Cooper, Senior Director Alliances & Marketing für Europa, den Mittleren Osten und Afrika (Emea) bei Portal Software, fürchtet, dass IPDR kein Erfolg beschieden sein wird. Der Standard, so kritisiert er, benötige zu viele verschiedene Daten - abhängig vom Service.

Für die Hersteller ist die Unsicherheit, welche Abrechnungsmodelle sich durchsetzen werden, das größte Problem. Daher beziehen kleinere Anbieter meist eine abwartende Haltung, während große Produzenten versuchen, möglichst viele verschiedene Billing-Varianten abzudecken, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Unterschiedliche Billing-Systeme als Ergebnis von Fusionen und Übernahmen komplizieren die Lage zusätzlich.

Vodafone rechnet GPRS abBei der Bewältigung dieser Schwierigkeiten haben derzeit nach Ansicht von Scholz skandinavische Kommunikations-Provider die Nase vorn, gefolgt von britischen und italienischen Betreibern. Auch größere US-Carrier bereiten sich auf GPRS- und UMTS-Billing vor (GPRS = General Packet Radio Service). In Deutschland hat sich E-Plus für Semas "Semavision BSCS" entschieden. Vodafone UK setzt auf Portals "Infranet" für GPRS und UMTS.

Vodafone nutzt in Großbritannien zurzeit zwei verschiedene Techniken: eine selbst entwickelte Lösung für GSM und "Infranet", das für GPRS-Billing eingesetzt wird. "Wir versuchen, netzunabhängige Lösungen zu verwenden", kommentiert Malcolm Dunn, IT-Executive Provisioning & Billing Systems bei Vodafone. Infranet ist seit Anfang April in Betrieb, aber das bearbeitete Volumen ist noch recht gering. Zuvor fanden Tests statt. "Wir adressieren derzeit hauptsächlich Geschäftskunden", berichtet Dunn. "Später wollen wir auch Dienste für kleinere Firmen und Consumer einführen."

Vodafone benötigte eine Lösung mit möglichst guter Integration zu anderen Systemen. Außerdem sollte das Produkt vielseitig einsetzbar und eine weltweite Nutzung nicht ausgeschlossen sein. Da das Unternehmen seine Software normalerweise selbst schreibt und keine große Erfahrung mit der Auswahl von Software hat, lief die Entscheidungsfindung auf einer relativ hohen Ebene ab. Die Zeit drängte. So evaluierte Vodafone mehrere Produkte und entschied sich für Infranet.

Seit dieser Entscheidung (und der folgenden Installation) betreibt das Unternehmen zwei Billing-Systeme separat. Eine Migration der GSM-Nutzer auf Infranet könnte in Zukunft ein Thema werden. Aber noch ist keine endgültige Entscheidung darüber gefallen. "Insgesamt sind die angebotenen Produkte vergleichsweise einfach. Schwierigkeiten hat allenfalls die Zusammenführung der Datenströme von Infranet und dem Legacy-System bereitet", erklärt Dunn.

Das Modell ist hauptsächlich mengenbezogen. Wenn ein Kunde die vereinbarte Menge überschreitet, werden zusätzliche Gebühren fällig. Bisher bietet Vodafone keine Tarife nach Quality-of-Service-Kriterien. Für die Zukunft ist das jedoch geplant. "Es ist sehr schwer, diese Informationen aus dem Netz zu bekommen", erläutert Dunn die Problematik. Als Services sind derzeit hauptsächlich die Datenübertragung zu firmeneigenen Diensten möglich. Vodafone arbeitet mit diversen Partnern an vertikalen Projekten wie Aktienhandelsplattformen zusammen.

GPRS und UMTSGPRS: Abkürzung für General Packet Radio Service, eine Erweiterung des bisherigen Mobilfunksystems GSM. Die GPRS-Technologie unterstützt drahtlose Übertragungsgeschwindigkeiten bis zu 114 Kbit/s. Dank GPRS können Nutzer auch ganztags mit dem Internet verbunden bleiben. Entsprechend bietet sich eine Abrechnung nach übertragener Datenmenge statt nach verbrauchter Online-Zeit an.

UMTS: Abkürzung für Universal Mobile Telecommunications System. Es handelt sich um die europäische Variante des Mobilfunks der dritten Generation, eines Nachfolgesystems von GSM. Bei quasistationärem Betrieb (bis zehn Kilometer pro Stunde) überträgt es bis 2 Mbit/s. Bei einer Geschwindigkeit von maximal 120 Kilometern pro Stunde sind 384 Kbit/s garantiert und bei bis zu 500 Kilometern pro Stunde immerhin noch 144 Kbit/s.