Was Betriebe, Bildungsinstitute und Teilnehmer erwarten, passt nicht zusammen

Umschulungen: Kein Honigschlecken

20.07.2001
IT-Umschulungen sind begehrt und umstritten zugleich. So hoch die Erwartungen von Betrieben, Arbeitsämtern und Bewerbern sind, so groß ist die Enttäuschung, wenn das Qualifikationsergebnis zu wünschen übrig lässt. Von Helga Ballauf*

"Wer kann mir helfen: Wie sind Eignungstests bei Umschulungen aufgebaut?" Im Fachforum für Quereinsteiger auf www.fachinformatiker.de laufen täglich neue Fragen ein. Im Mittelpunkt des Interesses der Chat-Teilnehmer stehen Umschulungen, die zum IHK-Abschluss in einem der anerkannten Ausbildungsberufe führen, wie etwa Fachinformatiker oder Informatikkaufmann. Sachdienliche Antworten lassen selten lange auf sich warten: "Mein Eignungstest bestand aus ein bisschen Mathe sowie aus Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen und zum technischen Verständnis. Ich musste Beziehungen zwischen Wörtern, Zahlen und Symbolen herstellen und einen Konzentrationstest bestehen. Schließlich gab es ,some english questions#."

Im gleichen Forum ist nachzulesen, dass es jeder Bildungsträger anders hält mit Vorabprüfungen - und dass viele Institute auf Bewerbertests ganz verzichten. Nach dem Motto: Wir nehmen jeden, dem das Arbeitsamt die Umschulung bezahlt.

Das muss schief gehen, glauben die Dozenten am CDI-Institut in München. Rund die Hälfte der Kandidaten scheidet dort nach Qualifizierungsberatung und Eignungstest aus. Die Vorauswahl führt dazu, dass angehende Fachinformatiker und Informatikkaufleute nach 14 Monaten schulischer Berufsvorbereitung am Institut und neunmonatigem Praktikum gute Chancen haben, die Prüfung zu bestehen und eine feste Stelle zu finden.

Wenig Zeit für viel StoffErfolgsgeschichten von IT-Umschulungen sind nicht selbstverständlich. Zwar suchen Firmen aller Branchen händeringend qualifiziertes Personal. Doch das, was Kursteilnehmer erwarten, was Bildungsinstitute leisten und was Unternehmen fordern, passt oft schlecht zusammen. Eine Umschulung hat im Vergleich zur dualen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule strukturelle Nachteile. Zum einen ist die Zeit fürs Lernen knapp. Ähnlich schnell wie Umschüler müssen sich sonst nur Absolventen einer Lehre den Stoff aneignen, sofern sie die Lehrzeit verkürzen wollen.

Doch in Umschulungsklassen sitzt oft ein gelernter Bäcker neben einem Mathematikstudenten, der kurz vor dem Examen abgebrochen hat. Wenn sie in der selben Zeit und nach der gleichen Methode den Stoff bewältigen sollen, wird#s brenzlig. Die zweite Hürde: Für Kursteilnehmer findet der berufliche Praxistest nicht täglich wie bei Auszubildenden, sondern erst nach gut einjährigem Pauken statt. Soziale Fähigkeiten, die man nicht theoretisch lehren kann, sondern im betrieblichen Alltag einüben muss, sollen Umschüler einfach mitbringen. Und schließlich haben sie es schwerer, nach nur neun Monaten Praktikum von einer Firma übernommen zu werden, als Azubis nach zwei- bis dreijähriger Lehre.

Das sind die Rahmenbedingungen, mit denen Anton Modl, Institutsleiter bei CDI in München, leben muss. Die Schule hat jedes Berufsbild in 28 Bausteine gegliedert. Die ersten 16 Module umfassen Kernqualifikationen, über die Informatikkaufleute und Fachinformatiker gleichermaßen verfügen sollen. Zum Beispiel: "Doppelte Buchführung beherrschen", oder: "Anwendungssysteme anforderungsgerecht auswählen", oder: "Visual Basic programmieren".

Praktikanten als billige ArbeitskräfteMit Hilfe von Fallstudien wird in den Klassenzimmern die Praxis simuliert: Angehende Anwendungsentwickler entwarfen beispielsweise ein Zeiterfassungssystem und Software für die Bildungsmittelverwaltung, mit denen nun das Institut selbst arbeiten will. "Wir konnten das theoretisch Gelernte vertiefen. Und wir merkten, wie zeitaufwändig und zuweilen stressig die Umsetzung ist", berichtet eine Umschülerin. Konsequenz der Schule: Im folgenden Kurs wird mehr Zeit für die Fallstudie eingeplant.

Wenn ein Betrieb Umschüler ins Praktikum nimmt, muss er ihnen, anders als den Auszubildenden, nichts bezahlen. Das führt zu grotesken Angeboten, berichten Umschulungsteilnehmer: Eine Firma bot einer Praktikantin an, ein völlig neues DV-System aufzubauen - ohne Anleitung und ohne Aussicht auf spätere Übernahme. Die künftige Fachinformatikerin lehnte ab. Eine angehende Informatikkauffrau ließ die Finger von einer Praktikumsstelle, "an der erwartet wurde, dass ich schon alles kann". Vorteil der bayerischen Praktikanten: Die Lage auf dem boomenden IT-Arbeitsmarkt in München ist günstiger als in anderen Regionen der Republik, vor allem als in Ostdeutschland. Bis zu 1500 Mark pro Monat bieten Unternehmen fürs betreute Praktikum. Das ist mehr, als Umschüler annehmen dürfen, wenn sie weiter die volle finanzielle Unterstützung des Arbeitsamts erhalten wollen.

Die Konkurrenz unter den Bildungsinstituten ist hart. Billiganbieter haben bei stark nachgefragten Kursen oft die Nase vorn. CDI-Schulleiter Modl sagt klipp und klar, dass er das Niveau der Ausbildung in den IT-Berufen "nur durch eine Mischkalkulation halten kann. Hochpreisige Angebote finanzieren diese Umschulungen mit".

Die Suche nach fähigen Dozenten aus der IT-Praxis, die sich mit den Honorarsätzen im Bildungsgeschäft zufrieden geben, wird immer schwieriger. Da hilft nur eins: Langjährige Kontakte pflegen und die Newcomer damit locken, dass sie in den Klassen möglicherweise künftige Mitarbeiter finden.

Für Umschüler lohnt es sich, bei der Wahl des Bildungsinstituts genau hinzusehen. Dann lässt sich die Spreu vom Weizen trennen (siehe Kasten "Checkliste für Umschulungen"). Ohne persönlichen Einsatz geht das aber nicht. Doch den bringen nicht alle auf, die beruflich umsatteln wollen, wie Diskussionen im Netz beweisen. "Ich bastle zu Hause gerne am Computer herum, und ich habe die Arbeit auf dem Bau satt. Wie kriege ich eine Umschulung in einen IT-Beruf ohne lästige Fragen des Arbeitsamtes?" In der Regel reagiert die Chat-Gemeinde hart auf eine solche Tisch-leindeck-dich-Mentalität und fordert die Schreiber auf, ihre Berufsmotivation zu überprüfen.

Aus qualitativen und strukturellen Gründen lenken Umschulungen öffentliche Kritik auf sich. Sie entzündet sich zunächst an hohen Durchfallquoten bei den IHK-Prüfungen. So schaffte etwa in München ein Drittel der angehenden Fachinformatiker den Abschluss im ersten Anlauf nicht. "Beide Seiten - Bildungsinstitute und Arbeitsverwaltung - müssen ein Interesse an strengen Leistungskriterien haben", unterstreicht der Pressesprecher des Arbeitsamtes (AA) München, Otmar Schader. Nur dann lasse sich der Vorwurf entkräften, es würden öffentliche Gelder verschleudert.

Nicht jeder ist geeignetEin anderer Aspekt ist ebenfalls problematisch: "Wir können die Teilnehmerzahl an Umschulungen nicht beliebig ausdehnen", mahnt der AA-Sprecher. Nicht jeder sei für einen IT-Beruf geeignet. Außerdem dürfe es zu keinem Verdrängungswettbewerb zwischen Auszubildenden und Umschülern kommen. "Für Betriebe hat es einen gewissen Charme, lieber Praktikanten zu nehmen, die nichts kosten", sagt Schader.

Konkrete Zahlen zu diesem Problem liegen beispielsweise für den Mediengestalter für Digital- und Printmedien vor. Demnach förderte die Arbeitsverwaltung Ende September 2000 bundesweit 2637 Umschüler, das ist mehr als ein Drittel der registrierten Ausbildungsverhältnisse. In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen waren es doppelt so viele: Nur jeder dritte angehende Mediengestalter verfügte über eine betriebliche Lehrstelle. Die Tarifparteien der Medienwirtschaft sowie die Bundesanstalt für Arbeit wollen solche Marktverzerrungen künftig vermeiden, weil sie die duale Ausbildung gefährden. Derzeit wird ein Anforderungskatalog für Umschulungen erarbeitet, der Maßstab sein soll für die Auswahl der Teilnehmer sowie für das berufliche Kompetenzprofil. Ein Schritt, der Bildungsinstituten, die auf Qualität achten, nur recht sein kann. Und einer, der Schule machen sollte, auch bei den IT-Berufen.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.

Checkliste für Umschulungen- Am Anfang stehen Qualifizierungsberatung und Eignungstest. Dabei gilt das Motto: Niemand soll sich durch eine Umschulung quälen, wenn offensichtlich ist, dass ihm wichtige Voraussetzungen fehlen.

- Blockunterricht in Lernfeldern (zum Beispiel "Web-Seiten-Technologien und -Sprachen kennen und verstehen") ist günstiger als ständig wechselnde Fächer im 45-Minuten-Rhythmus.

- Wenn homogene Lerngruppen nicht möglich sind, muss eine innere Differenzierung stattfinden: Wer mehr Hilfe braucht, bekommt sie - mal vom Klassenbesten, mal vom Dozenten.

- Die konkrete Anwendung des Gelernten darf nicht erst im Betriebspraktikum erfolgen. Der Schulungsplan muss Zeit zum Üben von Einzeltechniken vorsehen und größere Zeitblöcke, in denen kleine Teams praxisnahe Fallstudien mit übergreifenden Aufgaben lösen.

- Die Arbeit von externen und internen Dozenten baut aufeinander auf: Die einen haben die Praxiserfahrung voraus, die anderen können vermitteln, wie man lernt. Die ständige Weiterbildung der Lehrer ist selbstverständlich.

- Parallel zur laufenden Leistungskontrolle in den Kursen "benoten" die Umschüler ihre Lehrkräfte. Aus beiden Ergebnissen lassen sich Rückschlüsse auf notwendige Veränderungen der Arbeitsformen ziehen. Es gibt einen verbindlichen Rahmen, in dem die Teilnehmer Wünsche und Kritik vorbringen können.

- Vor der externen IHK-Abschlussprüfung bietet die Schule spezielle Vorbereitungsseminare an. Bewerbungstraining steht ebenso auf dem Programm.

- Bei der Suche nach Praktikumsfirmen werden Umschüler von der Schule unterstützt. Dies gilt auch für den Übergang ins Berufsleben nach der Prüfung.

- Aktuelle Hard- und Softwareausstattung ist eine kostspielige Angelegenheit. Die Umstellung von einer Gerätegeneration zur nächsten sollte einheitlich erfolgen. Im Zweifel ist es besser, wenn sich zunächst zwei Umschüler einen neuen Rechner teilen, als wenn inkompatible Geräte im Klassenzimmer stehen.

Woran Umschüler ein gutes Institut erkennen:

- Sie besorgen sich bei Arbeitsamt oder IHK Erstinformationen von verschiedenen Instituten und vergleichen: Wo wird der Aufbau und Verlauf des Kurses transparent dargestellt?

- Sie tauchen bei den Instituten, die in die engere Wahl kommen, in der Pause auf und reden mit Teilnehmern: Wie ist das Lernklima? Wie ist die Unterrichtsqualität?

- Sie nehmen an einer oder mehreren Probestunden teil, sehen sich die Technikausstattung an, blättern in den Unterrichtsmaterialien, sprechen mit Lehrkräften und Teilnehmern. Danach entscheiden sie: Passt mir der Umgangston? Ist individuelle Betreuung gewährleistet? Stimmt das fachliche Niveau? Wenn ein Institut ohne stichhaltige Begründung die unverbindliche Teilnahme am Unterricht ablehnt, ist Vorsicht angebracht.