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Umsatzrückgang zwingt Novell zur Umstrukturierung

24.05.2000
Eric Schmidt: "Es war falsch, Microsoft zu beschuldigen"

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Novell hat nach der Bekanntgabe seiner enttäuschenden Zahlen für das zweite Fiskalquartal überraschend eine tief greifende Umstrukturierung des Unternehmens angekündigt. Demnach wird der Netzwerkexperte aus Provo/Orem, Utah, sich künftig in vier Geschäftseinheiten teilen: Net Management, Net Directory, Net Content und Novell Customer Services. Novell hofft, damit seine Vertriebsprobleme in den Griff zu bekommen und schneller auf den Markt reagieren zu können.

Für sein zweites Geschäftsquartal wies Novell einen Nettoprofit von nur 31 Millionen Dollar oder neun Cent je Aktie aus. Das sind 20 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. In dem Ergebnis enthalten ist eine Lizenzgebührabgabe von Caldera von 35 Millionen Dollar. Ohne diesen einmaligen Zugewinn hätte der Gewinn lediglich zwei Cent pro Anteilschein betragen. Damit liegt das Ergebnis immerhin noch um einen Cent über den Schätzungen der Analysten. Auch beim Umsatz musste die US-Company Einbußen hinnehmen: Die Einnahmen sanken gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent auf 302,3 Millionen Dollar. Damit lag das Ergebnis innerhalb der nach unten korrigierten Prognose, die Novell Anfang des Monats veröffentlicht hatte (CW Infonet berichtete).

Novell-Chef Eric Schmidt machte vor allem einen signifikanten Rückgang im indirekten Vertrieb für die schlechten Zahlen verantwortlich. In der bereits Anfang Mai ausgegebenen Gewinnwarnung hatte er jedoch noch Microsoft dafür die Schuld in die Schuhe geschoben. Das neue Betriebssystem Windows 2000 beinhalte Funktionen, die Novells Netware ähnlich seien. Dadurch hätten Novell-Kunden ihre Bestellungen verschoben, um Microsofts Software zu testen. Bei der gestrigen Verkündung der offiziellen Zahlen räumte Schmidt hingegen ein: "Es war wahrscheinlich falsch, Windows 2000 zu beschuldigen. Das Problem liegt vielmehr in unserem indirekten Vertriebskanal." Hier habe man zu wenig investiert und die Bedeutung nicht erkannt: "Wir haben vor, das zu ändern."

Die Einnahmen im indirekten Softwarevertrieb beliefen sich im abgelaufenen Berichtszeitraum nur auf die Hälfte des Umsatzes, der jeweils in den vorherigen vier Quartalen erwirtschaftet wurde. Am meisten gingen die Umsätze in Europa, dem Nahen Osten und Afrika zurück. Die Einnahmen fielen um 20 Prozent auf 84 Millionen Dollar. In den USA gaben sie um 16 Prozent auf 142 Millionen Dollar nach, im asiatisch-pazifischen Raum um sieben Prozent auf 24 Millionen Dollar. Einziger Lichtblick war der Umsatz in Nord- und Südamerika (exklusive der USA) mit einem Anstieg von vier Prozent auf 17 Millionen Dollar.

Schmidt gab zu, dass die meisten Schwierigkeiten selbstverschuldet seien. Man habe die veränderten Bedürfnisse der Wiederverkäufer nicht erkannt, gerade was das Training anbelangt. Nach Ansicht von Stewart Nelson, COO (Chief Operating Officer) von Novell, muss die Rolle des Vertriebskanals klarer definiert werden. "Wir werden bestimmte Segmente von Novells Markt für den indirekten Vertrieb auszeichnen und den Konflikt zum direkten Verkauf ausräumen. Das ist eine große Umstellung für uns", fügte er hinzu. Einzelheiten zu neuen Trainingsmethoden und anderer Unterstützung des indirekten Vertriebspersonals will Novell innerhalb der nächsten 30 bis 45 Tage bekannt geben.

Trotz dieser Maßnahmen werde eine Ergebnisverbesserung jedoch zunächst auf sich warten lassen, warnte Novell-Chef Schmidt: "Es gibt keine schnelle Heilung." So rechnet er auch im dritten Fiskalquartal mit einem ähnlichen Ergebnis wie in diesem - ausgenommen des einmaligen Zugewinns. Insgesamt will Schmidt die Vertriebsprobleme bis Anfang 2001 vom Tisch haben.

Nun soll eine massive Umstrukturierung dem Softwarekonzern aus der Patsche helfen. Schmidt kündigte vier neue Geschäftsdivisionen an, die sich bis Ende der Woche formiert haben sollen. Diese werden jeweils ihre eigene Strategie, eigene Vertriebskanäle sowie eigene Investionsmodelle erhalten.

In der Einheit Net Management werden das Betriebssystem Netware sowie die Groupware-Software "Groupwise" zusammengenommen. Craig Miller wird die Gruppe leiten.

Die Division Net Directory, unter der Führung von Paul Smart, soll sich mit Novells Directory-Software beschäftigen.

Net Content wird Simon Khalaf unterstehen, der zusammen mit der Software-Hosting-Company Just-On an Bord kam, die Novell im Januar übernommen hat (CW Infonet berichtete). Drew Major, Novells Chef-Entwickler, soll sich um die strategische Ausrichtung der Einheit kümmern. Net Content wird Application-Service-Providing, Caching und den Austausch von Inhalten anbieten. Novell hofft damit, vor allem die neuen Dotcoms zum Einsatz seiner Software zu bewegen.

Last, but not least, soll Sheri Anderson die Leitung der Einheit Novell Customer Services übernehmen.

Auch an der Spitze des Unternehmens gab es Veränderungen. Nicholas Tiliacos, der erst am 10. Mai zum Senior Vice President für den weltweiten Vertrieb ernannt worden war, hat Novell angeblich aus persönlichen Gründen verlassen. Rich Nortz, bislang Senior Vice President für Novell Customer Services, wird sein Nachfolger. Zudem ernannte der Netzwerkexperte Dave Shirk zum CTO (Chief Technology Officer) und Ken Anderson zum CIO (Chief Information Officer). Schmidt zeigte sich zuversichtlich, mit der neuen Strategie auf dem richtigen Weg zu sein: "Ich bin überzeugt, wir werden die Übergangsphase meistern."