Euro-Umstellung bei der Karstadt Quelle AG

Umrechnen allein reicht nicht aus

20.07.2001
52 Millionen Codezeilen kann man nicht manuell überprüfen und verändern. Die Karstadt Quelle AG setzt deshalb bei der Euro-Umstellung ihrer Anwendungssoftware auf Tools, die diese Aufgabe weitgehend automatisieren und den Qualitätsstandard sicherstellen sollen. Damit wird der Kaufhauskonzern ein Vierteljahr vor dem Stichtag "Euro-ready". Von Rainer Doh*

Während in Sachen Euro die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit ganz auf die Versorgung mit neuem Bargeld gerichtet ist, läuft in den Rechenzentren und IT-Abteilungen der Unternehmen die letzte Phase der Euro-Umstellung. Neben den Banken sind davon insbesondere die IT-Systeme von Einzelhandelsunternehmen stark betroffen. Die großen Versand- und Warenhäuser mit ihren Millionen von Kundenbeziehungen verwenden eine Vielzahl von Preisarten, verfügen meist über eine umfangreiche Filialorganisation mit zahlreichen POS und Kassensystemen sowie über Tausende von Geschäftsprozessen. Wo immer es dabei um Geld geht, müssen die Systeme spätestens zum 1. Januar 2002 auf den Euro umgestellt sein.

Die Karstadt Quelle AG befasst sich bereits seit 1998 intensiv mit der Umstellung der IT-Systeme auf die neue Währung. Die Verantwortlichen waren sich darüber im Klaren, dass die Euro-Einführung komplexere und schwierigere Aufgaben stellen würde, als das in der IT-Welt zunächst eifriger diskutierte Jahr-2000-Problem. "Es gibt bei uns kaum einen Geschäftsprozess, der nicht betroffen ist, daher müssen sämtliche Anwendungen überprüft und eventuell geändert werden", erläutert Burkhard Reuter, Leiter Geschäftsbereich Finanzdienstleistungen/Touristik bei der Itellium Systems & Services GmbH, dem IT-Dienstleistungsunternehmen der Karstadt Quelle AG. "Die Euro-Umstellung ist ein sehr weitgehender Eingriff in die IT-Systeme", führt Reuter weiter aus. "Es sind ja nicht nur alle Kundensysteme betroffen, sondern auch die internen Anwendungen wie die Lohn- und Gehaltsabrechnung, aber auch der Finanzbereich und das Controlling. Außerdem müssen die Lieferanten rechtzeitig in die Maßnahmen integriert werden." So hält die Quelle AG seit Mitte 2000 ihre Lieferanten an, in Euro zu fakturieren.

Die einfachste Form der Umstellung der identifizierten Währungsfelder oder -konstanten ist die direkte Umrechnung, für die es einen fixen, gesetzlich vorgeschriebenen Konversionssatz gibt. Aber nicht in jedem Fall reicht diese Maßnahme aus, denn an zahlreichen Punkten ist eine darüber hinausgehende Anpassung erforderlich. Hinter den Preisfeldern steht oft eine Geschäftslogik, die sich nicht im Verhältnis 1:1,95583 umsetzen lässt. So sind beispielsweise die Werte für Versandkosten, Eckpreise, Schwellenpreise, aber auch für Mindesteinlagen aus gutem Grund gerundet. Schließlich würde sich kein Versandhauskunde merken können, dass ein Mindestbestellwert künftig beispielsweise 51,13 Euro beträgt. Solche Werte oder Steuerkriterien müssen daher nicht nur umgesetzt, sondern angepasst werden, damit sich sinnvolle, in der Praxis handhabbare Beträge ergeben.

Die Karstadt Quelle AG und Itellium haben für die Euro-Umstellung spezielle Strukturen und Zuständigkeiten geschaffen. In jedem Konzernunternehmen gibt es einen zentralen Euro-Verantwortlichen und entsprechend einen Projektleiter von Itellium. Ein Euro-Kernteam auf Management-Ebene hat die Koordination und Qualitätssicherung übernommen, die eigentliche Umstellungsarbeit leisten Sub-Teams, die sich an einzelnen Prozessen wie Logistik oder Finanzen orientieren.

IT und Fachabteilungen gefordertEs liegt in der Natur der Sache, dass diese Sub-Teams aus IT-Fachleuten und Angehörigen der jeweils betroffenen Fachabteilungen bestehen. Für die Karstadt Warenhaus AG besteht darüber hinaus ein zentrales Team bei Itellium, das Anwendungen Tool-unterstützt umstellt und sich nur aus IT-Experten zusammensetzt.

Die wesentliche Aufgabe bei der Umstellung der IT-Systeme besteht im Identifizieren Eurorelevanter Stellen in den Anwendungen. Keine einfache Arbeit, wenn man bedenkt wie viele verschiedene Applikationen ein Großunternehmen im Einsatz hat. Darin müssen sämtliche Datenfelder und Konstanten aufgefunden werden, die Währungsbeträge enthalten, und selbstverständlich müssen auch alle Ableitungen dieser Stellen wie Additionen oder Multiplikationen in gleicher Weise behandelt werden. Allein für die Karstadt Warenhaus AG wurden über 8000 Cobol- und mehr als 2500 CSP-Programme mit insgesamt 52 Millionen Codezeilen untersucht, bei rund zehn Millionen dieser Zeilen waren tatsächlich Änderungen notwendig.

Ein solche Aufgabe ist manuell nicht zu bewältigen. Aus diesem Grund hat sich Itellium frühzeitig um geeignete Tools gekümmert. Notwendig war ein Werkzeug, das nicht nur Cobol, sondern auch CSP verarbeiten kann. "Aus diesem Grund haben wir uns für die Tools "Dase" und "Yes2Euro" von SWS entschieden", erläutert Reuter. Sie arbeiten in drei Schritten:

-Capturing-Phase: Im Bottom-up-Verfahren analysiert Dase die bestehenden Anwendungen - Sourcen, Job-Controls, Datendefinitionen - und erstellt aus den aufgefundenen Datenstrukturen und Datenflüssen ein neues Repository.

-Modellierungsphase: Auf diesen Metadaten aufbauend legt Yes2Euro spezielle Filter an und sucht damit beispielsweise alle numerischen Felder mit zwei Kommastellen. Mit dieser gefilterten Sicht lassen sich "Ankerdaten" identifizieren, die bestimmten Wertetypen und Feldern zugeordnet werden - beispielsweise "exakter Wert", "Obergrenze" oder "Saldo". Im Zuge einer "Rulepropagation" verfolgt das Werkzeug das Vorkommen der Felder durch das ganze Programm und prüft dabei, ob vom jeweiligen Feld andere abhängen, beispielsweise das Feld "Mehrwertsteuerbetrag" vom Feld "Auftragswert". Yes2Euro vererbt dabei die Typen an die abhängigen Felder. Je nach zugeordnetem Typ kann an allen Stellen des Codes, an denen bisher ein Betragsfeld vorkommt, ein zusätzliches für den Euro eingefügt werden.

-Umsetzungsphase: Auf Basis der durch die Modellierung vervollständigten Metadaten erzeugt Yes2Euro automatisch alle Komponenten, die für eine Umsetzung der Daten benötigt werden, und verändert automatisch den Sourcecode der Programme. Ein manueller Eingriff ist dabei nicht erforderlich. Am Ende der Prozedur steht ein konsistenter Zustand der Anwendungen, diese können von nun an zwei Währungen verarbeiten.

Kleine Fehler haben fatale FolgenDen Einsatz der Tools sieht Reuter unter zwei Aspekten: " Natürlich wollen wir damit Zeit und Aufwand sparen, aber es gibt auch einen wichtigen Qualitätsaspekt: Wenn es ausgereift ist, dann erreicht man einen höheren Qualitätsstandard als mit einer individuellen Umsetzung." Einmal richtig eingestellt und parametrisiert, "übersieht" ein Tool nichts mehr - während einem Bearbeiter nach 250 000 überprüften Codezeilen leicht eine Verwechslung unterläuft. Dabei kann der geringste Fehler fatale Folgen haben: "Das Schlimmste, was dabei passieren könnte, wäre, dass an irgendeiner Stelle ein Euro-Betrag mit einem übersehenen Mark-Betrag zusammenfließt und das Ergebnis als Euro ausgewiesen würde", erläutert Rainer Gerkens, Geschäftsführer Deutschland von SWS. Ein solcher Fehler würde ja nicht zu einem sofort erkennbaren Programmabsturz führen und wäre daher nachträglich nur sehr schwer aufzudecken.

Mit den Leistungen der Tools ist Reuter kurz vor Abschluss des Projekts zufrieden: "Wir sind mittlerweile so weit, dass wir in über 99 Prozent der Fälle gar nicht mehr eingreifen müssen." Bis Ende August will er die Euro-Umstellung inklusive aller Tests komplett abschließen: "Dann muss man nur noch den Schalter umlegen, und alles arbeitet in Euro."

*Rainer Doh ist Journalist in München.

Die Karstadt Quelle AGDie Karstadt Quelle AG ist mit 113490 Mitarbeitern (1999) Europas größter Warenhaus- und Versandhandels-Konzern. Die Karstadt Warenhaus AG betreibt derzeit 189 Warenhäuser unter den Marken Karstadt, Hertie, Wertheim, KaDeWe und Alsterhaus.

Der Konzern erwirtschaftete 1999 einen Umsatz von 29,03 Milliarden Mark (ohne Mehrwertsteuer) - nach 18,38 Milliarden Mark (1998) vor der Fusion mit der Quelle-Gruppe. Der Jahresüberschuss stieg auf 427,5 Millionen Mark.

Im vergangenen Jahr gingen bei der Versandhandelstochter Quelle AG Online-Bestellungen im Wert von 650 Millionen Mark (332 Millionen Euro) ein, 150 Millionen Mark (77 Millionen Euro) mehr als geplant. Damit erwirtschaftet Quelle inzwischen nahezu jede zehnte Umsatzmark des reinen Versandumsatzes online.

Fusion unterschiedlicher Euro-StrategienBei der Euro-Umstellung im Karstadt-Quelle-Konzern muss sich Itellium mit einer besonderen Problematik auseinander setzen: Das Unternehmen wurde erst 1999 im Zuge der Fusion von Karstadt, Neckermann und Quelle gegründet - also nachdem die einzelnen Fusionspartner ihre durchaus unterschiedlichen Euro-Strategien bereits aufgesetzt hatten. So ist bei Quelle der Euro bereits seit 1. Januar 2001 Hauswährung, die Mark läuft seither als Zweitwährung mit. Die Karstadt Warenhaus AG und Neckermann Versand AG nehmen den Wechsel der Hauswährung zum 1. Januar 2002 vor; Neckermann vollzieht die Umstellung dabei mit einem "Big Bang", während Karstadt seine Systeme sukzessive anpasst. Alle Varianten müssen von Itellium parallel berücksichtigt werden.