Umfrage bestaetigt Bereitschaft zu Buergernaehe und Einsparungen Kommunen wollen Amtsstuben mit IT auf Vordermann bringen Von Con Berner*

02.06.1995

Nun ist es sozusagen amtlich: Die deutschen Staedte wollen den Amtsschimmel auf Trab bringen und mit modernen Technologien den Buergern entgegenkommen. Aus einer juengst durchgefuehrten Repraesentativ-Erhebung geht hervor: Bewaehrte betriebswirtschaftliche Organisations- und Arbeitsprinzipien - vor allem im Sinne des Projekt-Managements und mit Hilfe des Computers - sollen die Leistungen der Kommunen steigern und ihre Kosten senken.

"Die Informationstechnik liefert den Behoerden das Potential, in Zukunft weit effizienter als in der Vergangenheit zu arbeiten und damit der Volkswirtschaft eine zukunftskompatible Infrastruktur an oeffentlicher Verwaltung anzubieten." Diese Erkenntnis von Heinrich Reinermann, Professor an der Hochschule fuer Verwaltungswissenschaften in Speyer, scheint keineswegs auf akademische Round-table-Diskussionen beschraenkt zu bleiben, sondern in der real existierenden Beamtenwelt zu greifen.

Umfrage bei Verwaltungen in 114 deutschen Staedten

Die Chance, dass gewandeltes Bewusstsein das Sein in bundesrepublikanischen Amtsstuben veraendert, war wohl noch nie so gross wie gegenwaertig. Das jedenfalls legen die Ergebnisse einer Umfrage unter den Verwaltungen von 114 Staedten zwischen 50 000 und 650 000 Einwohnern nahe, welche die Beratungsgesellschaft CSC Ploenzke, Kiedrich / Rheingau, durchgefuehrt hat.

Die 54 Kommunen, die auf die Umfrage geantwortet haben, durchweg Mitglieder des Deutschen Staedtetages, bekunden die Absicht, die klassische Behoerdenhierarchie in aufgabenbezogene Organisationseinheiten umzuwandeln. Sie moechten aus den Amtsstuben Zug um Zug Leistungszentren machen.

Die nunmehr in einer Studie zusammengefassten Umfrageergebnisse verdeutlichen: Die Auseinandersetzung innerhalb der Kommunen mit den Rationalisierungskonzepten und -instrumenten der Informations- und Kommunikationstechnologien hat schon nachhaltige Spuren hinterlassen. Sie schlaegt sich in einer sichtbaren Dynamisierung der Verwaltungs-ablaeufe nieder. So haben bereits mehrere Stadtverwaltungen damit begonnen, gesamtstaedtische DV-Netze zu installieren, die den einzelnen Aemtern und Stellen einen reibungslosen Austausch von Daten, Fakten und Zahlen ermoeglichen sollen.

Dennoch bevorzugen die Staedte derzeit DV-Loesungen mit Inselcharakter, die individuell fuer einzelne Kommunen entwickelt wurden. Dies gilt vor allem fuer die Buerokommunikation. Probleme ergeben sich ebenfalls bei ueberregionalen Grossrechnerverbuenden sowie diversen Eigenentwicklungen, deren Funktionalitaet bereits zum Zeitpunkt der Einfuehrung veraltet ist. Das Wissen um die Moeglichkeiten, die dezentrale DV-Loesungen einerseits und Standardsysteme andererseits eroeffnen, nimmt zu.

Insbesondere steigt das Interesse der Kommunalverwaltungen an modularer Standardsoftware. Doch den ersten Schritt zur Implementierung derartiger Programmpakete wagen die Buerden- und Wuerdentraeger der Staedte meist nur mit Pilotanwendungen. Woertlich heisst es in der Studie: "Die zustaendigen Entscheider brauchen Referenzmodelle, an denen sie sich orientieren koennen. Erst dann wird es zu kommunal-spezifischen Loesungen auf breiter Front kommen."

Nicht gerade verheissungsvoll klingt fuer DV-Fuersten in der festgefuegten Beamtenwelt mit ihren unantastbar scheinenden Besitzstaenden die in der Studie eher am Rande abgegebene Vorhersage: "Mit einer forcierten informationstechnischen Integration aller Verwaltungs-vorgaenge wird langfristig die Legitimation der Gebietsrechenzentren in Frage gestellt."

Ausbau bestehender Infrastruktur geplant

Besonders interessante Aufschluesse lieferten die Antworten auf die Frage "Welches sind die drei wesentlichen strategischen Entwicklungs-ziele Ihrer Verwaltung in der Informations- und Kommunikationstechnik?" Die Antworten lassen sich auf einen Nenner bringen: Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien konzentriert sich erst einmal auf den verstaerkten Ausbau der bestehenden Ausstattung, um den Durchdringungsgrad des Technikein-satzes zu erhoehen.

Flaechendeckende Netze auf PC-Basis spielen eine noch groessere Rolle als in der Vergangenheit. "Zum Teil ruecken aber auch neue Themen wie etwa Datenmodellierung oder Infosysteme fuer Verwaltungsfuehrung in den Blickpunkt, die ueber eine typische I&K-Basisinfrastruktur schon hinausgehen", heisst es in der Studie.

Damit deutet sich an, dass die weitreichenden Moeglichkeiten moderner Informatikanwendungen zur Integration von Verwaltungsvorgaengen und zur Kombination von raeumlichen und materiellen Faktoren in Einzelfaellen bekannt sind und auch genutzt werden sollen. Immerhin: Die erste Welle der reinen Verwaltungstechnisierung, resuemieren die Ploenzke-Experten in ihrer Studie, sei nunmehr vorueber. Das Interesse an fortgeschrittenen Informatikanwendungen wachse.

Ueber die kuenftige Abbildung von Administrationsobjekten und - vorgaengen in Datenmodellen denkt man, das ergab die Erhebung weiter, in 74 Prozent der Kommunen mindestens eingehend nach. Und mit Projektorganisationsstrukturen beschaeftigen sich - man staune - 88 Prozent "intensiv oder staerker". Aehnlich hoch rangiert die Auseinandersetzung mit Downsizing- beziehungsweise Rightsizing- Massnahmen, mit der Dezentralisierung von DV-Verantwortung und mit der Modernisierung der Software.

Aus diesen Tendenzen laesst sich ableiten, dass bei einem hinreichenden I+K-Durchdringungsgrad innerhalb der Verwaltungen unspezifische, in den oeffentlichen Bereich nur importierte Loesungen nicht mehr gefragt sind. Wenn die Basisinfrastruktur in Form von Netzwerken und Standardsoftware erst einmal flaechendeckend vorhanden ist, werden die Ansprueche an fortgeschrittene, einzelfallspezifische Programme steigen.

Software-Re-Engineering ist ein heisses Thema

Darueber hinaus wird in dem Papier dem Software-Re-Engineering eine verstaerkte Bedeutung fuer die Kommunalverwaltungen zugeschrieben. Denn innerhalb einer Administration, die ihre Arbeit mit Hilfe von Projekt-Management-Konzepten organisiert, fliessen Informationen anders als in einer nach herkoemmlichen hierarchischen Prinzipien geordneten Stadtverwaltung. Entsprechend flexibel muessen auch die informationstechnischen Abbildungen der Verwaltungsstruktur und - vorgaenge gestaltet sein.

Die Frage, mit welchem Software-Entwicklungsvorhaben man am meisten zufrieden sei, foerderte zutage, dass sich konkrete Einzelloesungen der groessten Zufriedenheit erfreuen koennen. Genannt wurden dabei "Melderegister", "Jugendamtsverwaltung" oder "Abwasser-Klaeranlagen". Das bedeutet, dass viele einzelne Verwaltungsvorgaenge einer Vordefinition unterliegen, auf deren Grundlage dann bestimmte punktuelle Loesungen entwickelt werden.

Meistens betrifft das Ablaeufe mit starkem Publikumsverkehr, die mit Hilfe des Technikeinsatzes rationell und buergerfreundlich aus- oder umgestaltet werden. Die komplette Back-office-Abwicklung bleibt dabei jedoch haeufig auf der Strecke oder auf dem alten Stand.

Unzufriedenheit mit den vorhandenen Programmen

Hier ist es vonnoeten, bei den Entscheidern in den Verwaltungen ein Bewusstsein fuer eine ganzheitliche Betrachtung zu wecken, damit I+K-Modernisierungsmassnahmen nicht fassadenhaftes Stueckwerk bleiben.

Parallel dazu ermittelte die Erhebung, mit welchen Software- Entwicklungsvorhaben die groesste Unzufriedenheit verbunden ist. Dabei wurde vor allem der Mangel an Softwareloesungen, die auf individuelle kommunalspezifische Beduerfnisse zugeschnitten sind - etwa fuer das staedtische Finanzwesen - hervorgehoben.

Zudem fuehrten die befragten Entscheidungstraeger auch die Umstaendlichkeit und die mangelhafte Benutzerfreundlichkeit der eingesetzten Programme ins Feld. Dazu heisst es in der Studie woertlich: "Dieser Befund sollte die Anbieter von Hard- und Software-loesungen, aber auch die in diesem Bereich taetigen Berater zum Ueber-denken des eigenen Leistungsangebots anregen."

Speziell das Angebot an externen Beratungsleistungen stuften immerhin 28 Prozent der Befragten als unbefriedigend - "gar nicht zufrieden" bis "aeusserst unzufrieden" - ein. Bei der Einschaetzung der Kompetenz- und Kenntnismerkmale der Consulter vergeben die meisten Umfrageteilnehmer mittlere Noten, mit der Tendenz zu einer skeptischen Beurteilung der Beraterfaehigkeiten.

Fazit: "Fuer die Berater bedeutet dieses Ergebnis, dass sie ihre verwaltungsspezifischen Organisationskenntnisse erweitern muessen, um sachgerecht und sensibel mit ihren Partnern aus den Kommunalverwal-tungen umgehen zu koennen. Insbesondere bei der Kenntnis staedtischer Institutionen wird ihnen mangelndes Sachwissen bescheinigt."

Die in die Untersuchung einbezogenen Kommunalverwaltungen haben in ihrer Daten- und Informationsverarbeitung vorwiegend Fremdentwicklungen eingesetzt: 60 Prozent der Verantwortlichen lassen I+K-Loesungen lieber ausser Haus erstellen, 16 Prozent bevorzugen tendenziell Eigenentwicklungen, und nur 20 Prozent nannten ein ausgeglichenes Verhaeltnis zwischen Eigen- und Fremdanwendungen.

Keine anspruchsvollen Eigenentwicklungen

Dabei ist die Entscheidung, inwieweit entsprechende Konzepte oder Programme intern entwickelt und umgesetzt werden sollen, von der Groesse der jeweiligen Kommunalverwaltung und dem verfuegbaren Mitarbeiterpotential abhaengig. Da aber die Einstellungsraten in den oeffentlichen Verwaltungen in den letzten Jahren staendig gesunken sind, kann es nicht verwundern, dass kaum eine Kommune eine eigene Entwicklungsabteilung fuer anspruchsvolle informationstechnische Loesungen unterhaelt.

Ausserdem waere es, erklaeren die Ploenzke-Analytiker, "aufgrund der rapide abnehmenden Halbwertszeit des relevanten Wissens auch keiner einzelnen Kommune zuzumuten, ihr technisches Personal in diesem Bereich durch permanente Weiterbildungsmassnahmen up to date zu halten. Es gibt kaum einen klassischeren Outsourcing-Kandidaten als die Informationsverarbeitung fuer die oeffentliche Verwaltung."

Indes spreche nichts dagegen, dass Kommunen vergleichbarer Groesse und aehnlicher Verwaltungsstruktur zusammenarbeiteten, um mit vereinter Kraft Loesungsstrategien zu entwickeln. In diesem Sinne konstatiert Paul Morell vom Bund der Steuerzahler Hessen e.V.: "Gefordert ist hier ein aussergewoehnliches Mass an Kooperations- und Koordinations-bereitschaft."

* Con Berner ist freier Autor in Frankfurt am Main