Datenverarbeitung in der Rechtspraxis, Folge 2

Überforderte Anwälte, überforderte Richter

23.11.1979

Von Rechtsanwalt Bodo Brechlin

Insbesondere die wirtschaftlichen Gesichtspunkte werden oft vernachlässigt, vielleicht auch schon im Prozeßvortrag. Gewiß, die Zusammenhänge darzustellen, und zwar in substantiierter Form und mit Beweisangeboten versehen, ist nicht leicht, dennoch aber eminent wichtig. Zwar ist die Tatsache allein, daß der wirtschaftliche Zusammenbruch im Falle der aufoktroyierten Vertragserfüllung für den Anwender droht, rechtlich unbeachtlich, wie der Bundesgerichtshof verschiedentlich konstatiert hat. Kann sich aber der Anwender auf Mängel der Leistung oder der Beratung mit Erfolg berufen, kommt es ganz entscheidend auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen an.

Allein das Schwierigste bleibt die Subsumierung des Sachverhalts unter die relevante Rechtsnorm. Ein Beispiel in Frageform: Welche Rechtsbeziehungen bestehen zwischen Anwender und Hersteller hinsichtlich des Betriebssystems? Welche Rechte hat der Anwender im Fall von Mängeln desselben?

Um sich mit dieser Frage befassende Allgemeine Geschäftsbedingungen des Herstellers aus den Angeln zu heben, bedarf es eingehender rechtlicher Erwägungen, die sich an der Bedeutung des Betriebssystems im Rahmen der DV-Abläufe orientieren.

Eine andere Frage: Welche Anforderungen sind an die sogenannte Betriebsbereitschaft zu stellen? Wer bestimmt den Begriffsinhalt? Welche Rechte ergeben sich für den Anwender, wenn nur eine Komponente der Gesamtlage nicht betriebsbereit ist?

Die Gerichte sind überfordert, selbst wenn der-Prozeß auf Anwenderseite im obigen Sinne richtig vorbereitet wurde. In der Regel werden deshalb solche Prozesse durch gerichtliche Vergleiche beendet. die häufig eher von Vorteil für den Hersteller sind. Der Richter kommt in einer ihm fremden Materie und dadurch bedingter unklarer Rechtslage seinem gesetzlichen Auftrag, auf eine vergleichsweise Regelung hinzuwirken, besonders gerne nach, zumal ihm auch ein eigenes Interesse an der gütligen Erledigung nicht fehlt. Die Erarbeitung des Urteils erfordert Zeit, die Begründung desselben noch mehr. Außerdem ist die Gefahr der Aufhebung durch die höhere Instanz viel größer als sonst. Inhaltlich wird sich im Vergleichsvorschlag ferner die Tatsache niederschlagen, daß die Position des Herstellers wesentlich leichter formuliert werden konnte.

Dem von den Gerichten insoweit ausgehenden Druck mit einer Überbetonung der Prozeßrisiken, insbesondere was die Beweislast des Anwenders angeht, kann sich kaum ein Anwender verschließen. Nur derjenige wird es tun können und wollen, der die Stärke oder Schwäche der eigenen Position richtig zu bewerten weiß.

Um Abhilfe zu schaffen, scheint es mir notwendig zu sein, die Richter, insbesondere die Berufsrichter der Handelskammern, die in der Regel zuständig sind, in der Datenverarbeitungstechnik in regelmäßigen Abständen zu schulen, damit das Gefühl der Rechtsverweigerung, das Anwender weitgehend haben, korrigiert wird. Eine Schulung der Richter wird wohl nur über entsprechende Forderungen der Interessenverbände erreicht werden können.

Schwieriger noch wird eine Schulung der Juristen, insbesondere der Anwaltschaft - bei letzteren schon aus Zeitgründen - realisierbar sein. Auch stellt sich der Anwalt, wirtschaftlich gesehen zu Recht, die Frage: Was bringt es mir? Mit wie vielen Fällen kann ich rechnen, damit sich diese Investition lohnt? Solange aber die Anwaltschaft nicht bereit ist, das insoweit zweifellos gegebene Risiko einer "Fehlinvestition" einzugehen, werden sich die Anwender wie bisher von den Herstellern oft mit einem Linsengericht abspeisen lassen; wenn nicht, werden sich die Mandate weiterhin auf die wenigen in Deutschland auf dem Gebiet der Datenverarbeitung praktizierenden Anwaltskanzleien konzentrieren. Deren Adressen werden weitgehend unter der Hand gehandelt, dieses deshalb, weil die Empfehlungen meistens von Mitbewerbern kommen, die an einem positiven Ausgang des Rechtsstreits gegen den Konkurrenten interessiert sind, zum Beispiel wenn es um Fragen der Vertragsauflösung geht.

Einige Worte noch uber die Sachverständigen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung. Sie sind dünn gesät und total überlastet. Gutachtensaufträge können oft erst nach vielen Monaten erfüllt werden. Im Bereich Karlsruhe, hier angesiedelt neben einem großen Amtsgericht, immerhin ein Landgericht, ein Oberlandesgericht sowie der Bundesgerichtshof, gab es bis vor kurzem keinen vereidigten EDV-Sachverständigen. Im Bereich Stuttgart gibt es einen, in Ulm keinen und so fort. Hinzu kommt, daß die Sachverständigen teilweise nur in bestimmten Hardware-Kategorien zu Hause sind, also fachlich nur in eingeschränktem Umfange herangezogen werden können.

Teilweise machen es sich die Gutachter, wohl wegen der Arbeitsüberlastung, sehr einfach. Sie neigen - ohne daß dieses verallgemeinert werden soll, deshalb möge sich niemand von den Herren Gutachtern direkt angesprochen fühlen - zu einer stillschweigenden Reduzierung des ihnen vom Gericht erteilten Auftrages.

Mängel der Anlage oder Programmierung, die im Konzeptionellen liegen, was sich zweifellos immer nur im Verhältnis zu dem jeweiligen Anwender beurteilen läßt, werden oft vernachlässigt, indem das rein technische Funktionieren getestet und dann die Anlage für in Ordnung befindlich erachtet wird.

Auch logische Fehler kommen vor, die teilweise sogar völlig unverständlich sind. Werden Yerarbeitungszeiten bemängelt, geht es beispielsweise nicht an, das Funktionieren von Hard- und Software mit: einer Verarbeitung von beispielsweise: 20 Stammsätzen zu testen, wenn die aktuelle Produktion mit zirka 1000 Stammsätzen läuft.

Fortsetzung folgt