"Uber Computer wurde nur im kleinen Kreis geredet"

22.06.1990

Konrad Zuse wurde 80 Jahre alt

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Professor Zuse! 80 Jahre wurde am 21. Juni der Mann, dessen Kreativität und Rechenfaulheit - so charakterisiert der gebürtige Berliner sich selbst - in den dreißiger Jahren der Computertechnik auf die Beine halfen.

Am 20. Juni 1937 schrieb Konrad Zuse in sein Tagebuch: "Ein primitiver Typ eines mechanischen Gehirns besteht aus einem Speicherwerk, Wählwerk und einer einfachen Vorrichtung, in der einfache Bedingungsketten von zwei bis drei Gliedern behandelt werden können. Mit dieser Form des Hirns muß es theoretisch möglich sein, sämtliche Denkaufgaben zu lösen, die von Mechanismen erfaßbar sind."

Die Idee des maschinellen Kalkulierens hatten gleichzeitig auch andere: Alan Turing ("On Computable Numbers") und John von Neumann konnten ihre Vorstellungen von der Automatisierbarkeit von Rechenvorgängen umsetzen, der Berliner Zuse hingegen wußte davon in den dreißiger Jahren ebensowenig wie von den Forschungen von Charles Babbage aus dem 19. Jahrhundert. Gleichwohl entwickelte und baute er mit der Z3 die erste voll funktionsfähige programmgesteuerte Rechenmaschine der Welt. Das Ur-Modell Z1 aus dem Jahre 1936 hatte zwar prinzipiell auch funktioniert, war aber noch sehr unzuverlässig gewesen.

"Ich war zu faul zum Rechnen. Wissen Sie, ich war Student des Bauingenieurwesens, und ein Bauingenieur hat viel zu rechnen, Tabellen, Gleichungssysteme und so weiter. Ich sah nicht ein, daß man das mit menschlicher Arbeit machen sollte, und da habe ich mich eben bemüht, das zu Hause zu automatisieren. Das ist mir dann auch gelungen."

Der so entstandene Ur-Computer Z1 war also eine rein private und vor allem zivile Entwicklung. Zuses Arbeiten trafen nicht so frühzeitig wie die von Alan Turing in England auf das Interesse der Militärs. Dennoch ahnte er, was aus dem ersten Computer, zusammengebaut auf dem Küchentisch der elterlichen Wohnung, werden könnte. Er ahnte es "sogar so genau, daß ich den Mund gehalten habe. Wir haben die Fragen damals nur im allerkleinsten Kreise diskutiert."

Die Firma "Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau", 1940 in Berlin als Ein-Mann-Betrieb gegründet, trat später während des zweiten Weltkrieges doch an militärische Stellen heran. So bot Zuse dem Reichs-Luftfahrtministerium zusammen mit seinem Freund und Studienkollegen Helmut Schreyer an, einen Röhren-Rechner für die Flugabwehr zu entwickeln.

Wie heute bekannt ist, war das von Schreyer zu dieser Zeit bereits fertig konstruierte Schaltungsmodell, nach der Vorlage bereits bestehender Relaisschaltungen in Röhrentechnik realisiert, den gleichzeitig in den USA entwickelten Systemen überlegen, genauso wie die elektrische Dechriffriermaschine ("Enigma-Bombe") des britischen Geheimdienstes, die zur Entschlüsselung deutscher Funksprüche eingesetzt wurde. Diese Architektur hatte weitgehende Ähnlichkeit mit der Schreyer-Schaltung.

Die Reichswehr-Strategen fragten Konrad Zuse, wie lange die ganze Sache dauern könnte; seine vorsichtige Schätzung belief sich auf zwei Jahre. Die Reaktion: "Was glauben Sie denn, wann wir den Krieg gewonnen haben?" Zuse resümiert: "Auf die Weise ist die ganze elektronische Entwicklung in Deutschland mal zuerst nichts geworden." Später gab die Göring-Behörde dennoch einen Rechner bei Zuse in Auftrag: Der programmgesteuerte Relais-Rechnenapparat Z4 wurde 1944 fertiggestellt. Zunächst hießen die Zuse-Computer intern "V" wie "Versuchsgerät"; diesen Namen besetzten dann allerdings andere deutsche "Hochtechnologie"-Produkte: die V-Raketen. Um damit nicht in Verbindung gebracht zu werden, benutzte Zuse nach außen hin das Initial seines Familiennamens.

Immerhin war der Ingenieur von Anfang an sicher, daß seine Erfindung vieles verändern würde. 1938, so erzählt er, lautete seine Prophezeiung im Kreis von Vertrauten, daß in 50 Jahren der Schachweltmeister von einer Rechenmaschine besiegt werden würde. "Mit der Vorhersage habe ich Pech gehabt", gibt er zu. "Aber in der Meisterklasse ist der Computer schon drin."

Zuse spricht gern von der Faszination, bei der Entdeckung einer neuen Welt dabei gewesen zu sein: Das Schöne war, daß wir erstmalig in neue Problemkreise hineinkamen. Es gab interessante Probleme zu lösen damals." Der Weg dorthin war geprägt von einer wesentlichen Eigenschaft des Berliners: "Dinge, die man nicht sieht, waren für mich schwer durchschaubar". Dieser Affinität zur optischen Wahrnehmung kam die Mechanik entgegen, derer er sich bei der Z1 bediente.

Später erkannte Zuse, daß Relais und Röhren seiner Schaltgliedmechanik überlegen waren und realisierte künftige Rechenapparate elektromechanisch und elektronisch, aber noch 1950 baute die Zuse KG (der Tüftler war inzwischen längst zum Unternehmer geworden) im Auftrag einer US-Firma einen mechanischen Computer. Dieser konnte mehrere Kommandos hintereinander abarbeiten; Zuse nannte dies das "Teleskop-Prinzip". Heute ist das Verfahren als "Pipeline-processing" bekannte.

Die kommerziell erfolgreichsten Entwicklungen Zuses waren die Z22 und die Z23, ab Mitte der 50er Jahre in einer Auflage von 49 und 87 Stück vorwiegend an technisch-wissenschaftliche Anwender verkauft. Diese Stückzahlen würden heutige Manager ihren Stuhl kosten, aber sie machten zu ihrer Zeit acht Prozent aller in der Bundesrepublik betriebenen Computer aus: Damit hatte die Zuse KG 1965 von allen deutschen Firmen, Siemens, Telefunken und SEL eingeschlossen, die meisten Anlagen in der Bundesrepublik aufgestellt; schon damals lagen die Amerikaner mit IBM und Sperry Univac an der Spitze.

Aber die steigenden Entwicklungs- und Produktionskosten machten der Firma immer größere Schwierigkeiten. Zuse war ab 1964 auf die Teilhabe größerer Geldgeber angewiesen: Rheinstahl und die Brown Boveri Company (BBC) kauften ich ein, die BBC trat ihre Anteile im Jahr darauf an Siemens ab. 1966 zog sich Konrad Zuse aus der von ihm gegründeten Firma zurück und ging als Privatdozent an die Universität Göttingen. Seitdem gehört das Werk, das 1958 nach Bad Hersfeld umgezogen war, zu 100 Prozent der Siemens AG deren Namen es jetzt auch trägt.

Die Schuld am Verlust der Selbständigkeit gibt Zuse in erster Linie der, wie er sagt, "Software-Schwelle": "Die Leute mußten damals erst umlernen. Wenn wir unsere Maschinen verkauften dann glaubten sie, die Software müßte wie die Gebrauchsanweisung für eine Waschmaschine einfach gratis mitgeliefert werden. In dieser Beziehung haben die Amerikaner Pionierarbeit geleistet. In Amerika sah man das durchaus ein, daß Software auch viel Geld kostet. Das mußten wir den Deutschen erst mühsam beibringen. Dies waren diese Probleme, die es uns als kleiner Firma dann unmöglich machten, nur mit Eigenkapital die Arbeit fortzusetzen."

Deshalb, und wohl auch, weil er eher ein Praktiker ist, ist er nicht so glücklich darüber, daß die Software so große Bedeutung gewonnen hat. "Ich entsinne mich an die Zeit in den frühen Fünfzigern, da bewarb sich bei mir ein Mathematiker. Dem schrieb ich: Ist ja ganz nett, aber wir können Sie nicht gebrauchen. Vielleicht haben Sie bei unseren Kunden Glück. Das waren schöne Zeiten!"

Zuses "alte Klamotten", wie er seine Rechner nennt, sind heute gesuchte Oldtimer. Das gerade der Fachhochschule Kiel übergebene Schleswig-Holsteinische Museum für Informations- und Rechentechnik zum Beispiel wird demnächst - neben vielen anderen Exponaten - die wohl vollständigste Sammlung von Zuse-Geräten der Öffentlichkeit präsentieren. Auch die im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff zerstörte Z1 kann man heute wieder bewundern. Von 1987 bis 1989 hat Zuse sie mit Unterstützung zweier Maschinenbau-Studenten und eines Siemens-Feinmechanikers originalgetreu und funktionsfähig für das Technikmuseum in Berlin rekonstruiert.

Konrad Zuse lebt heute im nordhessischen Hünfeld. Auch nach dem zuletzt abeschlossenen Z1-Projekt lassen die Computer den Pionier nicht in Ruhe. Auf der SYSTEMS im Oktober letzten Jahres erzählte er der COMPUTERWOCHE, daß er nach wie vor mit Siemens zusammenarbeite: "Da geht es mehr um allgemeine Frage, Gespräche über Computerarchitektur, Parallelrechner zum Beispiel". Auch im Ruhestand setzt sich Konrad Zuse also nicht zur Ruhe. Angesichts seiner Vitalität leuchtet seine damalige Erklärung dafür ein: "Ich bin ja erst 79!" - Alles Gute! see/gs