"Twitter hat die Blogszene verändert"

06.04.2009
Deutschlands Blogger blicken in eine ungewisse Zukunft. Gute Inhalte werden infolge oberflächlichen Gezwitschers seltener. Zudem fehlt eine politische Lobby.

Seit die "digital natives" eher zum Kurznachrichtendienst Twitter als zum Weblog greifen, um sich mitzuteilen, geraten hochwertige eigene Inhalte ins Hintertreffen. Zu dieser Erkenntnis gelangte eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde zur Eröffnung der 3. "re:publica"-Blogger-Konferenz in Berlin.

Twitters Siegeszug

Medienjournalist Stefan Niggemeier stellte eingangs fest, dass der Neuigkeitswert, den Blogs noch vor ein bis zwei Jahren gehabt hätten, verschwunden sei. Gute Artikel aus Blogs würden laut Spreeblick.com-Gründer Markus Beckedahl ("Twitter hat die Blogszene verändert") per Mikroblogging zwar schneller verbreitet und auf vielen Sites diskutiert, die Zahl blogeigener Inhalte nehme laut Niggemeier jedoch wieder ab. Der Medienjournalist zeigte sich "erschüttert" über die geringe Menge eigener Inhalte in der deutschsprachigen Blogosphäre und beobachtete zugleich eine zunehmende Verbreitung von Inhalten, die zuvor von den "klassischen Medien" publiziert wurden. Hier blieben viele Chancen, im Informationsfluss etwas zu verändern, auf der Strecke, so Niggemeier. "Stattdessen nehmen sich viele Blogger mittlerweile selbst manchmal etwas zu wichtig."

Facebook fördert Web 2.0

Als positives Signal, interaktive Elemente des Internets in die Gesellschaft und besonders auch die Unternehmen zu tragen, wertete Beckedahl, dass speziell Geschäftsentscheider über die Hintertür Facebook zum Blogging kämen. Das soziale Netzwerk, das eine Mikroblogging-Funktion enthält, gewinne nun auch in Deutschland an Bedeutung. Der Nachteil: "Social Networks wie Facebook oder Wer-kennt-wen sind geschlossene Gemeinschaften, die niemanden von außen hereinlassen", kommentierte der Spreeblick-Macher die Hürde der Registrierung bei diesen Angeboten.

Gesetzesdschungel

Hier hätten Weblogs mit ihren unkomplizierten Kommentar- und Trackback-Funktionen einen echten Vorteil, der sich wegen der unübersichtlichen Gesetzeslage in Deutschland jedoch selten wirklich ausspielen lasse. Es sei häufig nicht ersichtlich, wer wann für fremde Inhalte auf der Seite hafte und ob schon die reine Möglichkeit des unmoderierten Kommentierens einen Verstoß darstelle. Widersprüchliche Gerichtsurteile hätten die Lage in den vergangenen Monaten noch undurchschaubarer gemacht.

Zwei Welten

Die Experten forderten deshalb klarere Gesetze bezüglich Datenschutz und -speicherung. Robert Basic, der unter starker Medienbeachtung kürzlich seinen Techblog basic-thinking.de versteigert hatte, ging sogar noch weiter: "Die Politik und damit auch die klassischen Medien sowie die Blogosphäre leben aneinander vorbei - wir brauchen eine Internet-Revolution." Eben weil das öffentliche Leben in Deutschland immer noch weitgehend ohne die digitale Bohème stattfinde, benötige man vielleicht auch eine eigene Interessenvertretung, da die klassischen Gewerkschaften den Ansprüchen der Blogger nicht genügen könnten. (sh)