Schnelle Interaktive Graphische Datenanalyse - "vom Bild zur Zahl":

Turbo-Staustrahl und interaktive DV-Graphik

20.11.1981

Die grafische Datenverarbeitung führt bisher fast ausschließlich vom Quantitativen zum Qualitativen - von der Zahl zum Bild. Die in diesem Beitrag beschriebene Methode schlägt nun eine Brücke rückwärts vom Bild zur Zahl. Bild und Zahl werden somit interaktiv konvertierbar. Rüdiger Hartwig *, Rolf Bühler * und Peter Kramer * beschreiben in dem folgenden, gekürzten Beitrag, wie die Datenanalyse jetzt in einem Kreislauf zwischen beiden Darstellungsformen erfolgen kann.

Diese neue Methode dient der schnellen graphischen Darstellung und der interaktiven quantitativen Analyse von Daten des Typs z(x,y), die durch eine Menge unregelmäßig verteilter Raumpunkte vorgegeben sind.

- Es wird eine Fläche erzeugt, die aus vierseitigen, schiefwinkeligen hyperbolischen Flächensegmenten zusammengesetzt ist und alle vorgegebenen Raumpunkte exakt enthält.

- Die Fläche kann mit einem hierfür entwickelten einfachen Spline-Algorithmus sehr schnell und stufenweise verfeinert (geglättet) werden, ohne sich von den vorgegebenen Raumpunkten zu lösen.

- Die Analysealgorithmen basieren auf der Ausnutzung besonderer Eigenschaften des hyperbolischen (bilinearen) Ansatzes. Viele Fragestellungen der Differentialgeometrie können damit sehr schnell und effizient bearbeitet werden.

- Auf interaktive Weise werden im Bild Orte, Schnittlinien, Schnittkurven, Blickrichtungen oder Darstellungsarten vorgegeben.

- Zu allen graphischen Operationen am Bildschirm werden im Hintergrund die korrespondierenden numerischen Daten bereitgehalten. Sie können als quantitative Daten "des Bildes" zu dessen Analyse oder Modifikation benutzt beziehungsweise zu dessen Beschreibung in Datenbanken eingebracht werden.

Um die Zielsetzung der Methode auch aus anderer Sicht zu verstehen, ist ein Blick auf die unterschiedlichen Darstellungsformen und ihre Verknüpfungen nützlich. Für technisch-wissenschaftliche Anwendungen gibt es drei Darstellungsformen:

- die Formel (analytische Darstellung),

- die Tabelle (numerische Darstellung) und

- das Bild (graphische Darstellung).

Aus Formeln und Tabellen erhält man Werte beliebig genau; aber man kann wesentliche Merkmale der Zusammenhänge (Grenzwerte, Asymptoten, Grenzlagen) nicht sofort erkennen.

Aus Bildern dagegen erkennt man solche Zusammenhänge auf einen Blick; aber sie eignen sich weniger als Rechenhilfe weil man ihnen meist keine genauen Werte entnehmen kann.

Mit anderen Worten: Formeln und Tabellen taugen besonders für die "quantitative", Bilder dagegen für die "qualitative" Beurteilung von Zusammenhängen.

Teilsystem bringt Leistung

Ansatzpunkt für die Entwicklung der beschriebenen Methode war das Integrierte Turbo-Staustrahl-Rakete-Antriebsystem ITUSTRA, eine Kombination der bekannten Antriebssysteme Turbine, Staustrahl und Rakete zu einem unkonventionellen Antrieb für zukünftige Raumtransporter. Forschungsvorhaben, die sich heute auf die Raumfähre (Space Shuttle) stützen, können später mit Transportern durchgeführt werden, welche mit derartigen Antriebssystemen ausgestattet werden.

Eine der Aufaben, die zur Zeit im Brennpunkt der Überlegungen steht, ist der Aufbau von Energiestationen im Weltraum für die Wandlung von Sonnenenergie in elektrische und deren Übertragung zur Erde.

"Interaktive Optimierungsschritte"

Bei der von den Stuttgarter Raumfahrtforschern vorgeschlagenen Kombination der Antriebssysteme soll vereinfacht gesagt- das Teilsystem mit dem jeweils besten Wirkungsgrad die Hauptantriebsleistung erbringen, während die anderen zu- beziehungsweise abgeschaltet und schließlich auch abgeworfen werden.

Insgesamt bestimmen 57 Variable zusammen mit 170 Nebenbedingungen und einer Reihe Erfahrungsbedingungen dieses Optimierungsproblem. Keiner der Bedingungen darf verletzt werden. Andererseits muß aber auch möglichst nahe an die zulässigen Grenzen herangegangen werden.

Wie nahe "möglichst nahe" ist, hängt von gleichzeitig zu berücksichtigenden Gegebenheiten ab, die von den Raumfahrtforschern bestenfalls spontan beurteilt, aber nicht in einem mathematischen Ansatz beschrieben werden können. Dabei geht es nicht einfach darum, eine einzelne Lösung zu finden, sondern um einen schrittweisen Optimierungsprozeß.

Das heißt, es geht um "strategische Überlegungen", unter sehr vielen möglichen Schritten besonders geeignete nächste "taktische Optimierungsschnite" zu erkennen und zu erproben.

Daten visuell beurteilen

Einen "besonders geeigneten nächsten Schritt" zu erkennen, hängt in erster Linie von der Erfahrung der Forscher ab, aber in großem Maße auch davon, ob und wie gut es möglich ist, die Jeweils momentane Situation quantitativ und qualitativ zu veranschaulichen.

Aus diesen - mengenmäßig großen und von der Kommunikation her vielfältigen - Anforderungen wurden die generellen Zielsetzungen für die Entwicklung der Methode hergeleitet: Interaktive graphische Operationen zu ermöglichen, um Daten sehr schnell und genügend genau darstellbar (also visuell beurteilbar), gleichzeitig aber auch quantisierbar, berechenbar und vergleichbar (also vom Programm her verarbeitbar) zu machen.

Auswertung ohne DV-Spezialist

Außer dieser Analysemethode, die als Grundhilfsmittel hierfür entwickelt werden mußte, werden für die Optimierungsarbeiten eine Reihe wichtiger DV-Hilfsmittel eingesetzt. Diese sind in einem experimentellen System, dem Integrierten Daten-Analyse- und Management-System lDAMS zusammengefaßt.

IDAMS, eine Integration von Subsystemen wie Datenbank, Methodenbank, Benutzerführungssystem, Graphik sowie Sprachenschnittstelle, wurde am Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg der IBM mit dem Ziel entwickelt, dem Wissenschaftler - ohne Einschaltung von DV-Spezialisten - eine spontane, interaktive Auswertung, Verarbeitung und Verwaltung seiner Daten in benutzerfreundlicher Form zu ermöglichen.

Design- und Analysezyklus

IDAMS läuft auf einem IBM-System /370-158 und ist in APL implementiert. Es unterstützt den Benutzer in zweifacher Hinsicht:

1. Im Sinne der Benutzerführung. Hierzu gehört die Auswahl und Definition geeigneter Algorithmen (Methoden, Programme) und Daten aus der Datenbank .

2. Im Sinne der Datenanalyse. Hierzu gehört die Anwendung von Algorithmen zum Zwecke der Datenextraktion sowie das Erarbeiten, Darstellen und Verwalten von Daten und Resultaten.

Jeder Optimierungszyklus umfaßt zwei Teilzyklen:

- den Designzyklus und

- den Analysezyklus.

Der Designzyklus beginnt mit der Angabe von Namen, Merkmalen, Parametern. Danach laufen umfangreiche Berechnungen ab, die sich in Tabellen niederschlagen und dem Benutzer bildlich vorgeführt werden. Im positiven Fall schließt sich der Analysezyklus an. In seinem Verlauf werden in erster Linie Flächendaten analysiert und Ergebnisse in Form von abgewickelten Schnitten oder weiter verarbeiteten Schnittdaten numerisch und bildlich dargestellt.

Alle wichtigen Informationen aus beiden Zyklen werden in der Datenbank gespeichert.

"Unregelmäßig verteilt über der x,y-Ebene"

Losgelöst von den Aufgaben der Raumfahrtforscher wird jetzt die allgemeine Anwendbarkeit der Methode beschrieben.

Als Ausgangsgrößen liegen gewöhnlich eine Anzahl von Daten vor, die bestimmte Eigenschaften (z) über der xy-Ebene beschreiben (N2, N3). Das können vorgegeben Größen oder Meßwerte (zum Beispiel Temperaturen in einer Wetterkarte, Höhenwerte in einer Landkarte, Kraftstoffverbrauchswerte in einem Motorenkennfeld, Schadstoffe in einem See) oder Planungsdaten sein. Dabei sind die gegebenen Werte nur als Stützwerte zu verstehen.

Der Techniker oder Wissenschaftler, der Aussagen über den gesamten Bereich machen möchte, muß dazu anstelle der diskreten Werte ein Kontinuum setzen. In diesem Falle also eine Fläche, die sich wie eine Gebirgslandschaft durch alle gegebenen Punkte legt.

Die Methode umfaßt drei Teilaufgaben:

- die Flächenerzeugung,

- die Flächenverfeinerung und

- die Flächenanalyse.

Die Flächenerzeugung erfolgt automatisch. Dabei wird bisher noch vor ausgesetzt, daß für unregelmäßig verteilt vorgegebene Punkte bereits ein eingeschränkt unregelmäßiges Vierecknetz aufbereitet wurde (N2 - N3 - T3). Der ganz allgemeine Fall, in dem der Computer zu jeder Punkteverteilung automatisch ein total unregelmäßiges Vierecknetz erzeugt, ist zur Zeit in der Erprobung (N2 - T4).

Da sowohl die Orte (x, y) als auch die Werte (z) beliebig sein dürfen und die Flächen die vorgegebenen Punkte exakt enthalten sollen, können sehr wellige Flächen entstehen. Die erzeugten Flächen werden am Bildschirm dargestellt.

Die Flächenverfeinerung bietet die Möglichkeit, die erzeugten Flächen zu glätten. Der Benutzer legt das Maß der Glättung selbst fest, und der Computer erzeugt dann weitere Zwischenwerte, die zu einem feineren Flächennetz führen.

Flächenerzeugung und Flächenverfeinerung gehören zu dem Teil der Methode, die "von der Zahl zum Bild" führt.

Die Flächenanalyse führt "vom Bild zur Zahl". An jedem beliebigen Ort (x, y) innerhalb des dargestellten Bereichs kann der Benutzer analytische Untersuchungen anstellen (L1, L2, S1). Dabei dient das Bild am Bildschirm als Kommunikationsobjekt, und zwar in jeder beliebigen, auch schrägen Ansicht. Die Angabe der gewünschten Orte erfolgt per Tastatur, über Variable oder graphisch per Fadenkreuz. Dabei wird die Fadenkreuzeingabe vereinbarungsgemäß auf die Höhe z = 0 bezogen.

Einige der interaktiven Operationen führen zu Gesamtdarstellungen (T, I), andere zu ausgewählten Darstellungen (L, K, S). Im Hintergrund stehen neben den Ausgangsgrößen alle interaktiv erzeugten Werte (N) und können als Diagramme (D) oder als "abgeleitete Bilder" wieder dargestellt oder zusätzlich in das gerade analysierte Bild eingetragen werden.

So kann man auch Unterschiede zwischen verschiedenen Datensätzen veranschaulichen und verborgene Tendenzen erkennbar machen. Die Wartezeiten sind unbedeutend; sie betragen bei sehr umfangreichen Berechnungen nur wenige Sekunden.

Es gibt viele Anwendungen außerhalb des Ingenieurbereichs, bei denen diese Methode zur interaktiven grafischen Darstellung und Analyse von Daten ebenso nutzbringend eingesetzt werden kann. Dazu gehören beispielsweise Geophysik, Medizin, Physik, Biologie oder Umweltforschung.

* Professor Dr. Rüdiger Hartwig, Wissenschaftliches Zentrum Heidelberg der IBM, Professor Dr. Rolf Bühler, Ordinarius und Direktor des Instituts für Raumfahrtantriebe der Universität Stuttgart und Dipl.-Ing. Peter Kramer, Leiter des Bereichs chemische Antriebe und Projektleiter an diesem Institut.

Der Originalbeitrag "Schnelle Interaktive Graphische Datenanalyse" erschien in den IBM Nachrichten 31 (1981), Heft 225. Der Nachdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung der IBM Deutschland GmbH.