IT im Tourismus/ORS-Insellösung von ORS II abgelöst

TUI: Reklamationssystem befreit Kundendienst von der Papierakte

05.03.1999
Die TUI Deutschland mit Sitz in Hannover hat ein Reklamationssystem eingeführt, über das Anfragen, Reklamationen und Dankschreiben bearbeitet werden: ORS II unterstützt die gesamte Bearbeitung vom Eingang der Beanstandung bis zum Versand von Schecks. Auch statistische Daten stellt das System zur Verfügung. Ingo Rapke , Projektleiter ORS II, und Sabine Müller berichten über die Einführung und erste Einsatzerfahrungen.

Der Geschäftsbereich Informationstechnologie (IT) TUI Infotec betreut heute die Datenverarbeitung in der TUI-Konzernzentrale in Hannover und wird zukünftig auch die DV-Bereiche der TUI- Niederlassungen in Holland und Spanien unterstützen. Das Rechenzentrum verfügt unter anderem über eine IBM ES9000, auf der unter "OS/390" das zentrale Reservierungssystem "Iris" die Mitarbeiter mit den nötigen Daten versorgt. Auch das neue Reklamationssystem "ORS II" (ORS = Online Reklamationssystem) mit den Basissystemen IBM DB2 und "IBM Imageplus Visualinfo" läuft zentral auf dem Host. Die OS/2-Workstations der Mitarbeiter im Kundendienst sind über APPC-Verbindungen oder ein DB2-Gateway mit dem Host verbunden.

Bei der TUI Deutschland, die jährlich mehr als fünf Millionen Kunden betreut, melden sich durchschnittlich etwa ein Prozent der Kunden pro Jahr mit Beanstandungen. Die 70 Mitarbeiter des Fachbereichs Kundendienst sind deshalb bei der Bearbeitung der Reklamationen auf IT-Unterstützung angewiesen.

Bisher wurde die Kundenakte immer noch auf Papier geführt. Doch diese Organisationsmethode ist mittlerweile veraltet, und ihre Nachteile gegenüber einer elektronischen Bearbeitung sind evident - dies zeigt sich sehr deutlich bei der Regreßnahme, einem sehr papierintensiven Vorgang. Hier fordert der Veranstalter vom Verursacher der Reklamation, beispielsweise einem Hotel, Erstattung für den entstandenen Schaden. Diesen Vorgang bearbeitet der Kundendienst alle vier Wochen. Geschieht dies manuell, sind in der Regel drei bis vier Personen vier Wochen lang beschäftigt, die nötigen Papiere zusammenzusuchen und zu kopieren. Da konnte es dann durchaus vorkommen, daß das für den Regreß entscheidende Blatt Papier nicht mehr zu finden war. Bei einem so aufwendigen, komplexen Prozeß wie dem Regreßverfahren bedurfte dieses Problem dringend einer Lösung - durch ein optisches Archivsystem.

1991 führte die TUI das optische Registratursystem "ORS I" ein, mit dem die Akten erstmals elektronisch geführt werden konnten. Das System lief in einem OS/2-basierten PC-Netz mit einem Microsoft-SQL-Server im Hintergrund und war zunächst für die Benutzung durch 25 Personen ausgelegt. Mit den steigenden Kundenzahlen im Touristikbereich waren aber auch immer mehr Mitarbeiter im Kundendienst beschäftigt. Als 1995 dann schließlich 60 Personen im Netz arbeiteten, hatte das System die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Hardware veraltet und nicht mehr leistungsfähig genug. Aber ein Austausch der Geräte konnte nicht so ohne weiteres durchgeführt werden, da es starke Abhängigkeiten zwischen dem Programm und einzelnen Hardwareteilen gab.

Im Herbst 1995 wurde das Projekt ORS II gestartet. Der eine Grund dafür war, daß das ORS stärker in die künftige DV-Entwicklung des Unternehmens eingebunden werden sollte. Und das war mit dem bisherigen, als Insellösung konzipierten System nicht möglich. Zwar paßte das ORS I mit der damals strategischen Plattform OS/2 prinzipiell in die DV-Landschaft der TUI, und es waren auch waren einzelne Schnittstellen zu anderen Anwendungen vorhanden. Doch das System war schlichtweg nicht auf Wachstum und Weiterentwicklung ausgelegt.

Zum zweiten entsprach das ORS I auch aus fachlicher Sicht nicht mehr den Anforderungen eines flexiblen Reklamations- und Qualitätsmanagementsystems: Die Bearbeitung der Kundenanfragen dauerte zu lang, die Möglichkeiten der Auswertung der Qualität der TUI-Produkte waren unvollständig, und eine Anpassung des Systems an zukünftige Konzernstrukturen erschien schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Das neue System sollte deshalb vor allem drei Anforderungen erfüllen: die Möglichkeit der Erweiterung auf mindestens 150 Benutzer, die Fähigkeit zur Anpassung an neue organisatorische Bedingungen und die Ausweitung des Datenaustausches mit den zentralen Systemen, beispielsweise mit Iris.

Um den Datenaustausch mit anderen Systemen zu vereinfachen, sollten alle Daten für das ORS II unter DB2 abgelegt werden, da DB2 bereits für andere Anwendungen genutzt wurde. Ein zusätzliches optisches Archiv sollte die eingescannten Dokumente verwalten.

Zu den inhaltlichen Forderungen des Fachbereichs Kundendienst gehörte außerdem der Wunsch nach einer deutlichen Reduzierung der Aktendurchlaufzeit. Auf diese Weise ließen sich, so TUI, die Kundenbindung stärken und die Statistik- und Regreßfunktionen verbessern.

Nach einer Nutzwertanalyse auf der Grundlage des erstellten Kriterienkatalogs fiel dann im April 1996 die Entscheidung für IBM als geeignetem Projektpartner.

Den Ausschlag gaben die Kompetenz im Bereich OS/2, der Datenbank DB2 und der Software-Entwicklung unter Visual Age, die Verfügbarkeit von IBM Visualinfo auf allen Plattformen und die örtliche Nähe der Projektpartner.

Von Mai bis September 1996 wurde das Pflichtenheft erstellt, und im Oktober startete das 40-köpfige Projektteam aus Mitarbeitern der TUI, der IBM und einiger ihrer Partnerunternehmen die Umsetzung.

Damit eine derart komplexe Anwendung in dem vorgegebenen Zeitrahmen von zehn Monaten realisiert werden konnte, waren neue Entwicklungsmethoden notwendig: Für die Analyse und Datenmodellierung wurde Rational Rose verwendet, die Codierung erfolgte in Visual Age C++, und für die Verwaltung der Versionen kam PVCS/Lisa zur Anwendung.

Die Anwendung ORS II führt die Daten aus DB2 und die gescannten Dokumente aus Visualinfo in den elektronischen Akten zusammen. Zudem ist die Einbindung touristischer Daten aus Iris, dem zentralen Reservierungssystem, möglich. So kann die elektronische Akte um Kundendaten, Hotel, Flug, Reisezeit, Zahlungsart und weitere Angaben ergänzt werden.

Daten, die im Arbeitsprozeß erzeugt werden - beispielsweise die Begründung der Entscheidung durch den Sachbearbeiter - gehen ebenso in die Akte ein wie Erstattungs- oder ausgestellte Schecks für den Kunden. Neben der Begleitung des Reklamationsprozesses erstellt die Anwendung ORS II auch Statistiken zur Qualitätsverbesserung für das Management und vollzieht vollständig automatisierte Regreßläufe.

Im August 1997 wurde ORS II erstmals im Tagesgeschäft eingesetzt und unterstützt seitdem die TUI-spezifischen Arbeitsabläufe im Kundendienst. Mit dem Resultat kann der Reiseanbieter zufrieden sein: Das Team hat es geschafft, 40 Projektmitarbeiter zu koordinieren, die qualitativen Vorgaben umzusetzen und das Budget einzuhalten.

Der ursprünglich geplante frühere Einführungstermin mußte jedoch verlegt werden: Durch eine Erweiterung der Funktionalität während der Entwicklungsphase verschob sich der Produktionsstart und fiel damit, trotz Verkürzung der Testzeit, genau in die Hochsaison.

Für die Mitarbeiter im Kundendienst war die Einführung in der Hochbetriebsphase eine besondere Belastung. Neben dem ohnehin schon hohen Arbeitsaufkommen wurden nun zusätzlich Schulungen notwendig und schließlich die Einarbeitung in das neue System. Aber TUI wollte nicht länger warten, denn das alte System war nicht mehr brauchbar.

Die Funktionalität des neuen ORS II überzeugt: Die Datenübernahme aus anderen Anwendungen und die verkürzten Durchlaufzeiten der Akten und automatischen Regreßläufe erleichtern die Arbeit erheblich.

Es ist auch bereits eine Erweiterung des Datenaustausches geplant. Mit der Übergabe von ORS-Statistikdaten an das Führungsinformationssystem der TUI (Tufis) wurde bereits begonnen, und der Datenaustausch mit Zielgebieten, die mit der Zentrale in Hannover teilweise noch über Fax, Telex oder mit der hauseigenen Post "Co-Mail" kommunizieren, soll weiter verbessert werden.

Und möglicherweise kommt auch noch die Umstellung von OS/2 auf Windows NT, was so gar nicht nach Ferien für den Kundendienst aussieht.

Die TUI

Die Touristik Union International (TUI) entstand 1968 aus einem Zusammenschluß verschiedener Reiseveranstalter. Am 1. November 1997 wurde das Unternehmen grundlegend neu strukturiert. Der Konzern mit weltweit 8800 Mitarbeitern ist seitdem in fünf Geschäftsbereiche mit verschiedenen Aufgaben untergliedert: drei touristische Geschäftsbereiche, einen für Hotelbeteiligungen und einen für den konzernweiten Personal-, Finanzen- und IT-Service.

Angeklickt

Bei der TUI eingehende Kundenbriefe und Berichte aus den Zielorten werden eingescannt und elektronischen Akten zugeordnet. Dabei findet eine Prüfung statt, ob die Akte noch um weitere, bereits vorhandene Buchungsdaten ergänzt werden kann. Die Akten werden in die Arbeitsfächer der Sachbearbeiter weitergeleitet, die frei strukturierbar sind, zum Beispiel nach Zielgebieten. Der Sachbearbeiter trifft die Entscheidung über die Beanstandung, erstellt Antwortschreiben, Schecks oder Gutscheine und erfaßt die Reklamationsgründe für die Statistik.

Bei einem automatischen Regreßlauf für ein bestimmtes Hotel stellt ORS II alle notwendigen Dokumente zusammen, erzeugt eine Übersicht der Reklamationsgründe, fertigt das Anschreiben an den Verursacher mit der Regreßforderung an und druckt das komplette Paket versandfertig aus. Die TUI legt pro Jahr etwa 100000 neue Akten für die Korrespondenz im Kundendienst mit 1,2 Millionen Dokumentseiten an, die von den 70 Kundendienstmitarbeitern bearbeitet werden. Das Druckvolumen für die ausgehenden Kundenbriefe, Statistiken und Regreßläufe ist nach wie vor hoch. Der Kundendienst der TUI druckt jährlich etwa 350000 Briefe und 280 000 Seiten Statistiken und Regreßdokumente. Ein elektronischer Datenaustausch in diesem Bereich ist derzeit noch nicht realisierbar.

Ingo Rapke ist Projektleiter ORS II bei der TUI, Sabine Müller Fachjournalistin in Trittau.