Gütegemeinschaft Software sieht Absprachen gebrochen:

TÜV-Prüfsiegel provoziert RAL-Gutachter

16.01.1987

MÜNCHEN (mer) - Der TÜV Rheinland propagiert weiterhin ein eigenes Prüfsiegel für Software. Damit verstößt der größte Technische Überwachungsverein Deutschlands als Mitglied der Gütegemeinschaft Software (GGS) nach Meinung von Fachleuten gegen die bestehenden Absprachen. Viele Anwender und Programmschmieden müßten sich verschaukelt fühlen.

"Die Mitglieder der Gütegemeinschaft haben hoch und heilig versprochen, außer dem RAL-Gütezeichen Software keine weiteren Prüfplaketten mehr in die Welt zu setzen", ärgert sich etwa Hagen Cyrus, Geschäftsführer der GFU Cyrus + Rölke mbH, Köln. "Der TÜV maßt sich jetzt an, eine darüber hinausgehende Qualitätssicherung anzubieten."

Die Offerte der Rheinländischen Überwacher besteht nach eigenen Angaben aus einem integrierten Dienstleistungspaket, das die Branchen- und Zweckeignung berücksichtigt und die Übereinstimmung der Herstelleraussagen laut Leistungsbeschreibung mit der Dokumentation und dem Programm bestätigt. In diesem Verfahren verleihen die Kölner nach der Produktprüfung gemäß den Güte- und Prüfbestimmungen der GGS (inhaltsgleich mit DIN V 66285) das RAL-Gütezeichen Software als eine Art "mittlere Reife". Erst ein weiterer Check der Informationsschriften des Softwareherstellers auf Aussagefähigkeit und die Prüfung der Anwenderfreundlichkeit führt zum TÜV-QS-Zeichen für "Qualifizierte Software".

So versucht der TÜV denn auch mit einer gezielten Werbekampagne, Besitzern eines RAL-Gütezeichens Software sein zusätzliches Prüfsiegel schmackhaft zu machen: "Noch ist Zeit", so heißt es in den Anschreiben, "mit einer Prüfung zu beginnen um rechtzeitig zur Hannover-Messe '87 CeBIT mit einem Prüfzertifikat aufwarten zu können." Dies Vorgehen stößt bei den Adressaten offensichtlich auf wenig Gegenliebe. Cyrus: "Die Art und Weise, wie der TÜV aktiv wird, ist einfach widerlich. Er sollte den Softwarehäusern keine nutzlosen Zertifikate andrehen."

Verärgert reagiert auch der GGS-Vorstandsvorsitzende Werner Schmid: "Wir haben mehrere Zusicherungen aus der Vorstandsebene des TÜV Rheinland, daß dieses Vorgehen nicht geschieht und auch nicht geschehen wird. Zusagen, die möglicherweise von einigen TÜV-Labors aus Umsatzdruck übergangen wurden." Die Gütegemeinschaft sei jedenfalls entschlossen, den TÜV in Schranken zu halten, um den Markt nicht zu verunsichern.

Karl-Heinz Hover, Mitglied der Geschäftsführung des TÜV Rheinland und zuständig für den Bereich Softwareprüfung, gibt sich ob solcher Vorwürfe gelassen: "Alle Aktivitäten geschehen mit Zustimmung der Geschäftsleitung. Wir sind der Meinung, daß die Prüfungen für das RAL-Gütesiegel nicht ausreichen und werden das auch mit der GGS diskutieren." Sollte es dabei zu keiner Einigung kommen, will der TÜV eventuell sogar die Mitgliedschaft in der Gütegemeinschaft aufkündigen und seinen Qualitäts-Check künftig unter eigener Regie anbieten. Hover. "Die Entscheidung werden wir in den nächsten Monaten treffen."