Amerika-Korrespondent Eckard Paul Imhof analysierte für die Deutsche Zeitung Christ und Welt (27. August 1976) IBMs Comeback an der Börse und berichtete über Details der Antitrust-Prozesse.

Trotz Prozeß-Querelen machten spektakuläre Gewinne IBM wieder zu Wallstreets liebstem Kind

17.09.1976

Wallstreet hatte seine Sensation, und der Sensationslieferant war ausgerechnet jener US-Konzern, auf den zu schimpfen Amerikas Aktienmakler in den letzten Jahren so viel Anlaß hatten: IBM. Der führende Computer-Konzern der westlichen Welt unterstrich seine Zuversicht, aus dein kaum noch zu zählenden Prozeßquerelen unversehrt hervorzugehen, mit einer - eben als sensationell empfundenen - Erhöhung der Quartalsdividende von 1,75 auf 2,25 Dollar.

Erhöhung der Quartalsdividende von 1,75 auf 2,25 Dollar

Erst kürzlich erklärte IBM-Präsident John R. Opel einigen in Boulder (Colorado) versammelten Aktienanalysten, daß sich das Geschäft in USA und in Übersee per Ende Mai in allen Sparten "sehr gut" entwickelt. Der Europaumsatz erreicht das Doppelte der Vergleichsziffer für das Frühjahr 1975. Auf die jüngste Entwicklung der bedeutendsten Europatochter, IBM Deutschland GmbH, ging Opel nicht besonders ein. Jedenfalls trug sie im Vorjahr, bei 5 Milliarden DM Umsatz, 1,1 Mrd. DM zum Konzerngewinn bei.

Die meisten Börsenspezialisten erwarten, daß der Ertrag pro IBM-Aktie von 13,35 $ in 1975 auf 14,50 $ bis 15,50 $ im laufenden Jahr und sogar auf 16,50 bis 17,50 $ in 1977 klettert. Die Broker-Firma F. Eberstadt & Co., ein regelrechter IBM-Fan, rechnet mit 16,10 $ Ertrag pro Aktie für 1976 und 18,65 $ im nächsten Jahr.

Jüngste Meldungen an die Bankenaufsicht widerlegen die weitverbreitete Ansicht, daß Großbanken in den letzten Jahren treuhändisch verwaltete IBM-Anlagen aufgelöst hätten. Tatsächlich stieg der von 150 führenden Banken kontrollierte

150 Banken kontrollieren die Aktien-Mehrheit

Anteil am Aktienkapital des weltumspannenden Computerkonzerns von 44,6 Prozent in 1965 auf 50,1 Prozent in 1970 und 58,8 Prozent in 1976.

Der IBM-Kurs verdoppelte sich nahezu seit dem Vorjahrestief von 1571/4. Er bewegt sich wieder in der Bandbreite des Höchstkurses von 1974, welcher allerdings noch hundert Punkte unter der historischen Höchstbewertung liegt. War IBM in der jüngsten Rezessionsbaisse tiefer gefallen als der Dow-Jones-Index führender Industrieaktien, so erfolgte auch die Erholung steiler als im Durchschnitt der Wallstreet-Hausse.

IBMs "Comeback" an der Börse wird nicht durch verblüffende Geschäftserfolge getragen. Zwar setzte der Jahresabschluß neue Rekorde doch blieben die Zuwachsraten von Umsatz und Ertrag unter dem Durchschnitt der letzten, überaus erfolgreichen Dekade. IBMs Umsatz erreichte 1975 erstmals 14,44 Mrd. $, 11 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Gleichzeitig stieg der Reinertrag um 8 Prozent auf 1,99 Mrd. $. Mehr als die

Mehr als die Hälfte des Reinertrags wurde im Ausland verdient

Hälfte dieses Reinertrags wurde im Ausland verdient. Ein außerordentlich günstiges 4. Quartal 1975 machte die Stagnation der ersten neun Monate mehr als wett. Da der Konzern Quartalsdaten nicht aufgliedert, läßt sich nicht sagen, wo der dramatische Umschwung einsetzte.

Die starken Kursschwankungen der letzten drei Jahre spiegeln vor allem das wechselnde Prozeßglück des EDV-Giganten. Monopolisierung warfen das Kartellamt im Justizministerium und mehr als ein Dutzend Konkurrenten dem unbestrittenen Führer der Computerindustrie vor. Insbesondere der Pyrrhussieg, den Telex Corp., Tulsa (Oklahoma), in 1. Instanz errang, verunsicherte die Anleger.

Keinen Pfennig für Telex

Im September 1973 sprach Bundesrichter A. Sherman Christensen überraschend dem Kläger, einem Hersteller von EDV-Zusatzgerät, 352,2 Mill. $ Schadenersatz zu. Innerhalb weniger Wochen minderte das Erstgericht in ungewöhnlicher Selbstkritik diese Entschädigung auf 259,5 Mill. $. Die Lockung enormer Prozeßentschädigungen veranlaßte jede EDV-Firma, die sich aus irgendwelchen Gründen am Markt nicht durchsetzen konnte, der mächtigen IBM die Schuld zuzuschieben und phantastische Antitrustschäden einzuklagen.

Das Appellationsgericht Denver bestätigte das Tulsa-Urteil nur in einem wichtigen Punkt. Die Berufungsinstanz fand, daß Telex zu Recht verurteilt wurde, IBM auf Grund einer Gegenklage 18,5 Mill. $ für Patentraub zu vergüten. Dagegen verwarf die 2. Instanz das Monopolisierungsurteil. IBM hatte den Kläger durch keinerlei Kartellrechtsmißbrauch geschädigt und müsse daher Telex keinen Pfennig bezahlen.

Dennoch bleiben beim Bundesgericht San Francisco noch ein halbes Dutzend Kartellrechtsklagen gegen IBM anhängig. Sowohl California Computer Products Inc., Anaheim, als auch Sanders Associates Inc., Nashua, N.H., Hudson General Corp., Great Neck, L. I. (New York) D. P. F. Inc., Hartsdale, N. Y. und Memory Technology Inc., Boston, Mass. sind Erzeuger von EDV-Zubehör. Sie kopieren das Telec-Beschwerdemodell. Die Kläger behaupten, daß interne IBM-Memoranden, welche im Tulsa-Verfahren noch nicht bekannt waren, bei dessen Überprüfung im Berufungsweg also nicht berücksichtigt werden konnten, ihre Prozeßstellung wesentlich stärker machen würden als jene der Telex Corp. Bei der Hauptverhandlung, welche für August angesetzt wurde, sollten auch Gegenklagen der IBM gegen diese kleinen Konkurrenten gehört werden.

3 Mrd. $ Monopolschaden will Memorex Corp. Santa Clara (Kalifornien) gegen IBM beitreiben. Der Konzern, den ein neuer Vorstandsvorsitzender namens Robert C. Wilson erst kürzlich vom

3-Milliarden-Dollar-Forderung von Memorex

Rande des Abgrunds in die Gewinnzone zurückholte, bezeichnet diesen Anspruch als eines "ihrer bedeutenden Aktiven". Die Stellung des Klägers mag stärker sein als die Telex-Position. Denn Memorex erzeugte nicht nur EDV-Zubehör. Der Ritt hart an die Pleite war ein Versuch, eine eigene Computerentwicklung auf den Markt zu bringen.

Der weitaus gefährlichste Antitrust-prozeß wird beim Bundesgericht New York unter dem Vorsitz von Richter David N. Edelstein abgewickelt. Denn der Kläger, das U.S. Department of Justice, fordert eine Zerschlagung des IBM-Konzerns. Diese Klage wurde vor mehr als sieben Jahren eingebracht. Die Hauptverhandlung zieht sich bereits ein volles Jahr hin, doch keiner der Anwälte traut sich zu sagen, daß schon Halbzeit sein könnte. Denn die Liste der Zeugen und Experten, welche noch angehört werden sollen, umfaßt viele Seiten. Schier unerschöpflich sind die Möglichkeiten prozeduraler Verzögerungen durch Zwischenappelle, welche in jüngster Zeit zumeist der beklagte Konzern gewann. Da werden alle Feinheiten des Prozeßrechts genutzt, welche ganzen Rechtsfakultäten bisher unbekannt waren.

60 Millionen Dollar für die Verteidigung

Nicht umsonst wendet IBM 60 Mill. $ gemäß Schätzung des Magazins "Fortune" zu seiner Verteidigung auf. Die Sache ist so komplex und wird so weiter verkompliziert, daß der Appellationszug weit in die achtziger Jahre reichen kann.

Zu den bemerkenswertesten Zeugenaussagen zählen die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden von General Electric, Reginald H. Jones. Weil GE Mitte 1970 Computerambitionen begraben und einschlägige Abschreibungen von 162,7 Mill. $ vornehmen mußte, luden die Kartellwächter Jones als Zeugen der Anklage. Mit entwaffnender Offenheit gab der Vorstandsvorsitzende dieses ebenbürtigen Giganten zu, daß sein Haus einfach zu spät ins Computergeschäft eingestiegen war und dann nicht genug Energie und Mittel aufwenden konnte, um gegen den risikofreudigen Rivalen IBM aufzuholen, der sich bereits eine marktbeherrschende Position aufgebaut hatte. Gewiß sah GE in anderen Produktionszweigen, insbesondere bei der Nutzung von Kernenergie, bessere Chancen zum Einsatz von Kapital und technischen Ressourcen.

Keine IBM-Manipulation gegen General Electric

Jedenfalls wußte Jones um keine IBM Manipulationen, welche geeignet gewesen wären, GE rechtswidrig vom Markt zu vertreiben.

"Ohne IBM-Maschinen könnte der IBM-Prozeß gar nicht abgewickelt werden", witzeln Gerichtssaalkiebitze. Tatsächlich bedarf die Ordnung von Hunderttausenden Seiten von Protokollen und Schriftsätzen,

IBM-Computer verwalten die IBM-Prozesse

Millionen von zu Beweis oder Widerlegung angeführten Daten potenter Computer. Vom Sperrfeuer der besten Kartellrechtler in USA abgeschirmt, arbeitet die Forschungsabteilung indessen an der Entwicklung neuer technologischer Wunder, welche IBM erhalten sollen.