Arbeitslose IT-Fachkräfte trotz Personalnot

Trau keinem über 40?

27.04.2001
Wenn ein IT-Spezialist arbeitslos ist, reicht oft ein Blick auf sein Geburtsjahr, um den Grund dafür zu erfahren. Denn nach wie vor sucht die Branche händeringend Fachkräfte. Doch das entscheidende Auswahlkriterium können viele nicht bieten: ein Alter unter 40 Jahren. Von CW-Mitarbeiterin Katja Müller

"Für ältere IT-Fachkräfte haben wir gar keine Jobs mehr, und die kommen auch nicht auf uns zu", erklärt der 32-jährige Heiko Lambach, Personalverantwortlicher der Feilmeier & Junker AG (FJA). Solche Auskünfte sind in der Wachstumsbranche Informationstechnik kein Einzelfall. Während mit der Green-Card-Initiative um jeden ausländischen IT-Spezialisten gekämpft wird, stehen Tausende Computerfachkräfte auf der Straße, die das 40. Lebensjahr überschritten haben. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit suchen derzeit über 20000 DV-Fachleute zwischen 55 und 60 Jahren einen Job.

Altersdurchschnitt liegt bei 34Deren Versuche, auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt eine Anstellung zu bekommen, sind allerdings fast aussichtslos. Zwar klagen die Unternehmen der Branche über den notorischen Fachkräftemangel - an der Bereitschaft, ältere Mitarbeiter einzustellen, mangelt es jedoch nach wie vor. Eine Umfrage der COMPUTERWOCHE ergab, dass ein Altersdurchschnitt von 34 Jahren nicht nur bei Internet-Firmen wie SAP, Vodafone, FJA, sondern auch in den DV-Abteilungen von Anwenderunternehmen wie der Deutschen Bank oder der Commerzbank kaum überschritten wird.

Auf die Fragen, warum die Branche nur junge Mitarbeiter akzeptiert und viele ältere Computerspezialisten trotz Personalnot keine Chance bekommen, reagieren die meisten Firmen zunächst mit Unverständnis: "Wir können es uns gar nicht leisten, eine Grenze zwischen alten und jungen Fachkräften zu ziehen", sagt Erwin Bärenz von der Commerzbank. Aber der Leiter Anwendungsentwicklung muss zugeben, dass der Altersdurchschnitt auch in seinem Bereich bei Mitte 30 liegt.

Der Recruiting-Chef vom IT-Bereich der Deutschen Bank, Tim Ackermann, stellt ebenfalls fest, dass auf seinem Schreibtisch keine Bewerbungen älterer IT-Fachkräfte liegen. Anscheinend rechnen sich die über 40-Jährigen der Branche selbst bei großen Unternehmen nur geringe Chancen aus, einen Job zu bekommen. "Mit 55 Jahren ist ein IT-Fachmann einfach ausgebrannt," behauptet eine Personalreferentin von SAP. Für sie haben ältere Leute zu wenig Elan, schließlich wollten die meisten dieser Mitarbeiter sowieso schon in Rente gehen. Sie könnte sich vorstellen, mit älteren Bewerbern befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Zwei-Jahres-Kontrakte, so die Personalreferentin, könnten für beide Seiten annehmbar sein.

Ein Blick in die Stellenanzeigen bestätigt die kritische Situation von älteren Arbeitnehmern. Jung, dynamisch, mit dreijähriger Berufserfahrung, aber höchstens 30 - das ist es, was die Unternehmen bevorzugen. "Anzeigen, in denen explizit 50-Jährige gesucht werden, kenne ich nicht", bestätigt Wolfgang Müller von der IG Metall. Die Gründe dafür sind vielfältig. Vorurteile wie mangelnde Lernfähigkeit oder körperliche und geistige Unbeweglichkeit dominieren. Dabei gibt es viele 60-Jährige, die intensiv Leistungssport betreiben und ohne weiteres mit 40-Jährigen mithalten können. Gleiches gilt für die geistige Flexibilität. Noch bis zum 80. Lebensjahr kann sich das Denkvermögen immer weiter entwickeln, schildert der Augsburger Psychologe Wolfgang Michaelis. Ein älterer Mensch vermag sein Wissen viel effizienter zu nutzen als ein jüngerer, weil er die gesammelten Informationen untereinander verknüpfen kann. Nicht umsonst liegt der Altersdurchschnitt in den Management-Etagen meistens deutlich über dem der gesamten Belegschaft.

Gehalt nach LeistungViele Firmen bevorzugen aber jüngere Kandidaten - auch weil sie billiger sind. Längere Berufserfahrung bedeutet in der Regel auch ein höheres Gehalt. "Ein 40-Jähriger muss dann mit einem 20-Jährigen konkurrieren, der ohnehin das aktuellere Know-how besitzt", meint Gewerkschafter Müller. Ein Ausweg für ältere Jobsuchende ist es nach Ansicht von Firmenvertretern, ihre finanziellen Anforderungen zu überdenken. "Wenn derjenige ein niedrigeres Gehalt akzeptieren würde, hätte er bei uns die gleichen Chancen", erklärt Ackermann von der Deutschen Bank.

Dass ältere Mitarbeiter allerdings nicht rund um die Uhr arbeiten wollen, ist ein weiterer Grund für die Unternehmen, lieber einen ehrgeizigen, jungen Kollegen einzustellen. Menschen in den mittleren Jahren, die bereits eine Familie gegründet haben, stehen solchen Anforderungen eher skeptisch gegenüber. "Ein über 40-Jähriger ist nicht nur mit seiner Firma verheiratet, er ist es meistens auch mit einer Frau oder hat ein entsprechendes soziales Umfeld", erklärt der Betriebsratsvorsitzende von IBM Hamburg, Martin Berghof. Ein junger Mensch wolle dagegen in der Regel erst einmal Karriere machen, bevor er eine Familie gründet. Er stehe noch nicht unter Doppelbelastung und könne sich auf den betrieblichen Zyklus einstellen. Für viele Unternehmen dürfte das ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl ihrer neuen Mitarbeiter sein, auch wenn es offiziell nicht verlautbart werde. Dass sich mittlerweile immer mehr Beschäftigte aus der New Economy eine kompetente Arbeitnehmervertretung wünschten, zeige aber, dass es bei der Einhaltung von Arbeitszeit und Kündigungsschutz noch viel Nachholbedarf gebe.

Gute Mischung aus Alt und JungEin weiteres Argument der Unternehmen ist, dass ein 50-Jähriger nicht unbedingt in ein Team mit einem Durchschnittsalter von 34 passe. Vetreter der IG Metall halten dagegen eine Mischung aus Alt und Jung für durchaus "gesund". So könnte ein 25-Jähriger gut von den Erfahrungen seines 40-jährigen Kollegen profitieren und zudem von dessen Gelassenheit oder der Fähigkeit, Rückschläge einzustecken, lernen.

In den Seminaren von Peter Löcher, Leiter von Umschulungsprogrammen bei Siemens Business Services, werden ältere IT-Fachkräfte gezielt auf Situationen in gemischten Teams eingestellt. Vor allem sei es wichtig, kein Konkurrenzverhalten aufkommen zu lassen, erklärt Löcher. Die typische Vaterrolle, die viele ältere Mitarbeiter innehaben, sollte nicht zum Auftrumpfen oder Belehren gegenüber den jüngeren Kollegen verleiten. Unterstützung auf Basis von Routine könne dagegen durchaus gefragt sein.

Für die Betroffenen sei es ein "hartes Brot", Hunderte von Bewerbungen abgeschickt zu haben und doch nicht vorgelassen zu werden. Da müsse man auf seine Fähigkeiten vertrauen und sich klarwerden wohin man mit seinen Erfahrungen passe. Problematisch sei es nur, wenn ein 48-Jähriger in die Tiefen der Java-Programmierung vorstoßen wolle. Weniger Details, dafür breiter im Prozess - so muss nach Löcher die Formel zur marktgerechten Weiterbildung heißen. Wer dieses Spiel mitmacht, so der Schulungsleiter, hat früher oder später bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Einem Mitarbeiter, der in seinen 15 Jahren Betriebszugehörigkeit nicht ein einziges Mal den Aufgabenbereich gewechselt hat, unterstellt auch die SAP-Personalreferentin mangelnde Flexibilität. Neue Tätigkeiten alle drei bis fünf Jahre sowie permanente Weiterbildung könnten sich auf den Marktwert eines IT-Fachmanns im fortgeschrittenen Alter positiv auswirken.

Allerdings hat hier die Eigeninitiative auch ihre Grenzen. "Ich kann das Gerede vom lebenslangen Lernen schon nicht mehr hören", sagt Müller. Alle großen Unternehmen hätten ihre Weiterbildungsprogramme zum Vorzeigen, aber nur so lange, bis das Tagesgeschäft kommt. Dann seien die angekündigten Seminare lediglich ein "nettes Stück Papier", so der IG-Metaller. Ob der tariflich garantierte Weiterbildungsanspruch von zwei, drei Wochen im Jahr für das verlangte technische Niveau ausreiche, ist noch dahingestellt. Für die Absolventen, die frisch von der Schulbank kommen, dürfte das zunächst noch keine große Rolle spielen. Spätestens nach ein paar Jahren wird eine einseitig ausgerichtete Arbeit jedoch oft zum Verhängnis.

Dann bleibt für viele nur noch der Schritt in die Selbständigkeit. "Zu uns kommen kaum Leute unter 40 Jahren", sagt Günter Brokopp von der Synergie GmbH, die seit drei Jahren Existenzgründer motiviert und berät. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT), den Industrie- und Handelskammern (IHK) sowie lokalen Bildungsträgern organisiert das Unternehmen Trainings- und Beratungsprogramme an verschiedenen Orten Deutschlands. Dabei geht es vor allem darum, "mit den Betroffenen deren spezifische Kompetenzen herauszuarbeiten und diese aktiv zu vermarkten", so Brokopp. Im Rahmen einer Infoveranstaltung werden die Teilnehmer vorab über die Inhalte des fünfwöchigen Kurses aufgeklärt und vor allem motiviert. "Wir wollen vorher mit den Leuten reden", erklärt Brokopp. Denn eine Existenzgründung reicht oft wesentlich weiter in die Privatsphäre einer Person hinein als beispielsweise ein Angestelltenverhältnis.

Förderprogramme für SelbständigkeitMit dem so genannten KERN-Programm (Kompetenz und Erfahrung innovativ nutzen) soll der Selbständige das nötige Know-how erwerben, um erfolgreich zu sein. Immerhin 90 Prozent der Teilnehmer des zuletzt stattgefundenen Kurses avancierten nach Angaben von Brokopp zum Unternehmer. Eine positive Bilanz, die sicher auch von der Förderung durch das Arbeitsamt profitiert. So können die Erwerbslosen nach Eintritt in die Selbständigkeit Überbrückungsgeld in Höhe ihres Arbeitslosengeldes plus Sozialversicherungsbeiträge für ein halbes Jahr weiter gezahlt bekommen, egal welche Einnahmen sie erzielen.

Doch letztlich können auch hier Faktoren wie schwankende Auftragslagen, säumige Schuldner und fehlende Rücklagen schnell existenzbedrohend werden. Auch für den Gewerkschaftsvertreter Berghof bietet diese Alternative keine dauerhafte Lösung, um älteren Fachkräften Arbeitsplätze zu schaffen. Für ihn offenbart sich darin nur die ganze Absurdität der Situation: "Da bekommen die zu alt gewordenen Mitarbeiter eine Abfindung ihrer Firma und werden Wochen später vom gleichen Unternehmen wieder angeworben. Das heißt doch, dass sie gebraucht werden."

Diskutieren Sie mit unsDie Situation der arbeitslosen IT-Fachkräfte, die das 40. Lebensjahr überschritten haben, ist trotz des akuten Personalmangels in der Branche fast aussichtslos. Schwindende Leistungsfähigkeit und zerknirschte Gesichter haben mit dem jugendlich-strahlenden Mitarbeiterideal der Unternehmen nur wenig gemein. Was aber wird aus der großen Portion Lebenserfahrung oder dem langjährig angesammelten Wissen der Älteren? Kann die Informationsgesellschaft im Internet-Zeitalter getrost darauf verzichten? Aber wie lange können sich IT-Unternehmen ihren Jugendwahn noch leisten? Sind ältere Bewerber selbst schuld, dass sie keinen Job finden, weil sie überzogene Gehaltsforderungen haben?

Sagen Sie uns Ihre Meinung. Unter www.computerwoche.de können Sie sich im Online-Diskussionsforum "Zu alt für die IT ?" in den Disput einschalten.

Abb: Arbeitskräfte werden zur Mangelware

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten trotz Zuwanderung sinken. Quelle: DIW