Product-Lifecycle-Management/Eine Organisationsform im Aufwind

Transparenz in der Produktentwicklung

10.09.2004

"Wahrscheinlich ist Microsoft Marktführer bei PLM-Systemen." So beschrieb es vor kurzem ein Manager eines namhaften Automobilherstellers. Was er damit meint? Das Gros der Daten und des Wissens, das rund um den Entwicklungs- und Produktionsprozess entsteht und verwaltet wird, versteckt sich zurzeit in Word-Dokumenten, unzähligen Excel-Spreadsheets und Power-Point-Präsentationen. Ganz gleich, ob diese These richtig ist: Informationen über den Entstehungsprozess von Produkten sind in vielen Datentöpfen, Listen, Zeichnungen und nicht zuletzt handschriftlichen Notizen gesammelt. Angefangen von den frühen Strategiephasen und dem Marketing über die Vorentwicklung, das Engineering und die Serienentwicklung bis hin zur Produktion und zu den Service-Aktivitäten - es fehlt eine durchgängige Sicht auf das Produkt und seinen Lebenszyklus.

Hier können Produktdaten-Management (PDM)- beziehungsweise PLM-Systeme für Durchblick sorgen und helfen, den Entwicklungsprozess neu auszurichten. Durch PDM/ PLM lassen sich Abläufe harmonisieren, und es entstehen ein einheitlicher Daten-Backbone sowie eine Steuerungsebene für Prozesse. Von der Stange sind solche Lösungen allerdings nicht erhältlich.

PLM/PDM-Lösungen setzen sich in der Regel aus mehreren Einzelbausteinen zusammen, die sich in Autorenwerkzeuge, eine Datenbank und Management-Tools gliedern lassen. Zusammengenommen sind sie vergleichbar mit einer System-Management-Software, allerdings bezogen auf die Entwicklung neuer Produkte. Zudem gibt es "wissenschaftlich" betrachtet eine Unterscheidung zwischen PLM und PDM: Hält man sich an die einschlägige Literatur, wird PDM eher dem Systemteil zugeordnet, während PLM prozessbezogene Aufgaben erfüllt.

PDM-Produkte bestehen aus den beiden Komponenten Autorensoftware und Datenspeicher. Autorensoftware, auch als Erzeugersysteme bekannt, sind die Programme, mit denen sich Produkteigenschaften beschreiben sowie Dokumente und Zeichnungen anfertigen oder Stücklisten anlegen lassen. Deren Funktions- und Leistungsumfang deckt speziell die Belange der Konstruktions- und Entwicklungsabteilungen ab und speichert die dort anfallenden Daten und Dokumente. Typische Anwendungen sind unter anderem die mechanische und elektrische Konstruktion (CAD-M, CAD-E), Testsysteme sowie Simulationsprogramme.

Die Datenbank dient als zentrale Informationsdrehscheibe. Wesentliches Merkmal hier ist, dass alle Informationen zu einem Produkt in einer bauteileorientierten Struktur (Produktstruktur) abgelegt werden können. Versionierung, Workflow-Funktionen, Klassifizierungsmöglichkeiten und Bauzustandsverfolgung gehören dabei zum Standard.

Das Plus der PLM-Werkzeuge

PLM-Systeme gehen einen Schritt weiter: Seit rund fünf Jahren rückt die Betrachtung des Lebenszyklus von Produkten in den Vordergrund. Betroffen sind davon also auch die Bereiche, die der Entwicklung und Konstruktion vor- beziehungsweise nachgelagert sind. Originär entstehen die Daten zwar nach wie vor in der Entwicklung und Produktion, sie sind aber etwa durch das Marketing stark beeinflusst. Dank PLM-Anwendungen sind auch deren Eingaben im ganzen Unternehmen möglich und können im Entwicklungsprozess rechtzeitig berücksichtigt werden. Markenzeichen von PLM-Tools sind deshalb eine Vielzahl offener Schnittstellen sowie Integrationswerkzeuge. Gleichzeitig unterstützen sie zahlreiche Daten- und Katalogformate wie BMEcat oder VDA/Odette und verfügen zusätzlich über Workflow-Funktionen, um Geschäftsabläufe wie Änderungsprozesse steuern zu können. Oft sind Produktions- und ERP-Systeme, Content-Management-Anwendungen sowie vertriebsnahe Lösungen und Service-Systeme an die PLM-Software angeflanscht, um den vollständigen Lebenszyklus im Blick zu haben. Dabei ist darauf zu achten, welches System in Bezug auf welche Funktionen das führende ist und welches die Daten des anderen Systems nur darstellt.

Bevor ein Unternehmen ein PLM-System einführt, sollte klar sein, dass es sich dabei um kein IT-Projekt handelt. Bedingt durch die übergeordnete Sicht und Wirkungsweise ist PLM/PDM vielmehr ein organisatorisches Vorhaben, das eine saubere Unternehmensstrategie voraussetzt. Die Firma muss sich sehr genau über die Ziele verständigen, die mit einem PLM/PDM-Programm erreicht werden sollen. Diese können unter anderem darin bestehen, Nischenmärkte zu erobern, eine Technologieführerschaft zu erreichen, ein besonders servicefreundliches Produkt zu bauen - oder schlicht ein sehr günstiges. Betroffen sind im Unternehmen in der Regel alle Personen, die mit einem Produkt zu tun haben. Der Prozess beginnt im Marketing und geht über die Vorentwicklung sowie das Engineering schließlich in die Produktion und in die Verkaufs- und Serviceeinheiten. Vergessen werden sollten auch die Lieferanten nicht, die über den Einkauf gesteuert werden.

Top-Management ist in der Pflicht

Bisherige Arbeitsinhalte, Rollen und Kompetenzen müssen durch die Einführung von PLM/PDM nicht selten geändert werden. Deshalb hat es sich in der Praxis bewährt, das Top-Management als Sponsor für ein solches Vorhaben in die Pflicht zu nehmen. Dessen Hauptaufgabe besteht darin, die Ziele sowie einen Projektrahmen festzulegen und Teilschritte zu definieren. Eine weitere Voraussetzung ist das Change-Management, das rechtzeitig etabliert werden muss, um alle Mitarbeiter auf die bevorstehenden Veränderungen vorzubereiten.

Es ist seit langem bekannt, dass alle relevanten Eigenschaften und 70 bis 80 Prozent aller Lebenszyklus-Kosten eines Produkts während seiner Entstehung festgelegt werden. Umso wichtiger ist es, Eigenschaften wie Kosten, Gewicht, Funktion, Design-Merkmale, Zielgruppen und Märkte bereits in sehr frühen Phasen des Entwicklungsprozesses zu berücksichtigen. Welche Kriterien soll ein Produkt erfüllen, ist es für den Weltmarkt gedacht, welche Varianten soll es geben, wie wartungsfreundlich soll es sein, welches Image soll es transportieren, welchen gesetzlichen Anforderungen muss es entsprechen, gibt es spezifische Forderungen an die Umweltverträglichkeit und Entsorgung? Ganz entscheidend ist die betriebswirtschaftliche Bewertung jedes einzelnen Merkmals und jeder Variante.

Zwei Ziele sind erreichbar

Ihre Vorteile spielen PDM/PLM-Anwendungen auf zwei Ebenen aus: bei den eher harten Zahlen und profitorientierten Zielen sowie den überwiegend weichen Faktoren, die sich nur schwer in Euro und Cent fassen lassen, zumal Vergleichswerte fehlen. Gesichert ist heute die Erkenntnis, dass PLM die Entwicklungskosten ganz allgemein senkt und die Time to Market verkürzt, beispielsweise durch parallele Entwicklung. So ist es durch die enge Verknüpfung der Prozesse und die konsistente Datenbasis nicht zwingend erforderlich, dass eine Konstruktionszeichnung fertig sein muss, um einen Nachfolgeprozess zu beginnen. Aufgrund der Informationen aus der Konstruktion kann bereits ein Bestellvorgang bei einem Zulieferer parallel ausgelöst und etwa Rohmaterial reserviert werden.

Alles schon in der Schublade

Weiterhin lässt sich durch eine modulare Produktstrukturierung eine so genannte Gleichteilestrategie entwickeln - also gleiche Bauteile oder Baugruppen für unterschiedliche Endprodukte. Bekannt ist dieser Ansatz vor allem in der Automobilindustrie, im Flugzeug- oder im Anlagenbau. Der Vorteil: Benutzt man identische Teile in unterschiedlichen Endprodukten und greift möglichst auf bereits fertige Komponenten zurück, entfallen aufwändige Neuentwicklungen. Zeichnungen, Werkzeuge, Tests und Freigaben sowie die lästige Dokumentation liegen ebenfalls in der "Schublade" bereit. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die bereits entwickelten Teile auch wieder finden lassen. Daher sind eine gute Produkt- und Datenstruktur sowie effektive Suchmechanismen erforderlich.

Mit Hilfe von PDM/PLM-Werkzeugen lassen sich ebenso Blindleistungen identifizieren und eliminieren, die etwa durch manuelle Schnittstellen, lange Suche von Daten sowie Fehler bei der Dateneingabe entstehen. Darüber hinaus können Werkzeuge und Maschinen besser ausgelastet werden, da die Kapazitäten bedarfsgerecht angefordert werden. Die Gewinnmarge pro Einheit steigt. Weitere Aspekte, die für den Einsatz von PLM sprechen, sind kürzere Entwicklungszyklen sowie mehr Flexibilität in Bezug auf die Veränderung von Märkten, denn die übergreifend gesteuerte Kette lässt sich schneller an neue Anforderungen anpassen.

Bei den "weichen" Faktoren ist es vor allem die Chance, die enorme Komplexität überhaupt noch beherrschen zu können, wie sie bei Produkten durch eine große Zahl von Varianten, kundenspezifischen Wünschen und nationalen Vorschriften entsteht.

Trotz aller Komplexität und Hürden ist PDM/PLM mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen. Das zeigt die Größe des Marktes: Nach einer Erhebung des "Sendler-Circle" IT-Forum vom Mai 2004 sank 2003 der Umsatz der PLM-Anbieter in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwar leicht um 1,1 Prozent auf 1,323 Milliarden Euro, doch wichtige Bereiche weisen bereits wieder deutlichen Zuwachs aus. So stiegen die indirekt zusätzlich erreichten Umsätze um 5,5 Prozent auf 459,8 Millionen Euro, und der Service legte sogar um 33,5 Prozent auf 290 Millionen Euro zu. 2002 waren demgegenüber sämtliche Umsatzergebnisse der Branche negativ ausgefallen.

Ein Grund für das Wachstum ist die Ausbreitung von PDM/PLM in verschiedene Branchen, wie Analysten von Giga Research konstatieren. Galten bislang Produktionsunternehmen mit diskreter Fertigung aus Maschinen- oder Anlagenbau als Zielmärkte, setzen mittlerweile auch Unternehmen der Prozess- und der Konsumgüterindustrie oder auch der Bekleidungsbranche solche Software ein. Diese Firmen legen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte beim Einsatz der Lösungen. Für den Maschinenbau liegt der Fokus auf der Stückliste und einem Varianten-Management, während sich die Prozessindustrie aus dem Blickwinkel der Dokumentation, Validierung und Zulassung von Präparaten mit PLM/PDM auseinander setzt. Auch die Nahrungs- und Genussmittelindustrie zeigt verstärkt Interesse an den übergreifenden Ansätzen. (ue)

*Herwig Fölster und Dirk Zint sind Berater bei der CSC Ploenzke AG.

Hier lesen Sie ...

- welche Potenziale sich im Unternehmen durch die Einführung eines PLM-Systems ergeben;

- wo die Herausforderungen einer PLM-Einführung liegen;

- wie sich der Markt entwickelt und welche Industriezweige auf PLM setzen.

Welchen Nutzen bringt PDM/PLM?

- PDM/PLM hilft, das Wissen um Produkte im Unternehmen zu halten, auch wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen.

- Durch ein integriertes Wissens-Management verkürzt es die Anlaufzeit für neue Entwicklungen, Wiederholungsfehler werden vermieden.

- Derzeit verknüpfen viele Unternehmen CAD-Aktivitäten mit Digital Mockup (DMU), um sehr früh zu sehen, wie Bauteile aussehen und wie Komponenten zusammenpassen. Dadurch lässt sich Geld für den Bau von Prototypen, Formen und Werkzeugen sparen. Wenn CAD und der Werkzeugbau verbunden sind, ist es überdies möglich, Werkzeuge im Voraus anzufertigen und dadurch den Produktionsanlauf zu beschleunigen.

- Bei PDM/PLM gewinnt die frühe Gestaltung der Servicephase zunehmend an Bedeutung. Unternehmen haben erkannt, dass sich mit Dienstleistungen um ein Produkt Geld verdienen lässt. Dazu gehört es, in frühen Phasen darauf zu achten, ein Produkt servicefreundlich zu entwickeln. PLM/PDM kann hierbei unterstützen und hilft Servicemitarbeitern gleichzeitig, Informationen über den Status des Produkts zu finden.

- Stark entwickelt sich auch der Bereich Software-Konfiguration in Maschinen und Fahrzeugen. Sie muss bezogen auf die verbaute Hardware und die Produktvariante verwaltet werden.

- Großen Wert legen Unternehmen derzeit auf die Etablierung von Fehlerabstellprozessen: Was passiert in der Garantiezeit, wie werden Fehler abgestellt, wer dokumentiert die Ausfälle und wie geht man damit um? Im PDM/PLM werden diese Vorgänge dokumentiert.

PLM-Kernfunktionen

- Verwaltung verschiedenster Dokumentarten (CAD, Zeichnungen, Texte, Produktbeschreibungen, Spezifikationen);

- Klassifikation, Sachmerkmalleisten;

- technisches Teilestamm-Management;

- Produktstrukturverwaltung;

- Stücklisten generieren und verwalten;

- Änderungs-Management;

- Historien- und Versions-Management;

- Workflow-Unterstützung;

- Produktkonfiguration;

- Konfigurations-Management;

- Integration (Schnittstellen zu CAx-, ERP-, SCM- und CRM-Systemen);

- Projekt-Management-Funktionen;

- verteilte Datenhaltung;

- Plot-Management;

- Benutzer-Management.

Abb: Das Problem mit Produktdaten ...

... besteht heute noch darin, dass sie mehrfach lokal und in einer für die jeweilige Anwendung geeigneten Form vorliegen. Quelle: CSC Ploenzke