Wie das "feine Gefühl" Sie weiterbringt

Trainieren Sie Ihr Situationsverhalten

29.05.2013
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Kernfrage: Welches Verhalten erfordert die Situation?

Dass wir unser Verhalten dem Gegenüber anpassen müssen, beruflich und privat, das ist eigentlich jedem Menschen (unbewusst) klar. Deshalb verhalten wir uns im Kontakt mit Freunden anders als im Kontakt mit Fremden. Und mit fachlichen Laien kommunizieren wir anders als mit Experten. Doch nicht nur an unser Gegenüber passen wir unser Verhalten an, sondern auch an die Situation. So treten wir einem Polizisten, den wir nur nach dem Weg fragen, recht selbstbewusst gegenüber. Ertappt uns derselbe Polizist aber bei einer Ordnungswidrigkeit und droht uns eine saftige Strafe, dann sind wir plötzlich ganz klein und devot.

In unserem Alltagsleben können wir auch gut beobachten, wie sich der Status, den Personen einnehmen, im Verlauf von Gesprächen oft stark ändert. Angenommen ein Kind kommt von der Schule nach Hause und gesteht seiner Mutter kleinlaut, dass es in Mathe eine Fünf geschrieben hat. Dann kann der sich daran anschließende Gesprächsverlauf wie folgt aussehen: Die Mutter sagt zunächst zu ihrer Tochter oder ihrem Sohn: "Das überrascht mich nicht. So wenig wie Du gelernt hast, musste ..." Sie nimmt also zunächst - wie dies in der Schauspielersprache heißt - den "Hoch-Status" ein und liest ihrem Kind die Leviten. Nach einiger Zeit ändert sich jedoch neben ihrem Ton auch ihre Sprache sowie ihre Mimik, Gestik und Körperhaltung, und sie sagt zu ihrem Nachwuchs beispielsweise: "Ich finde es schade, dass Du ..." "Liegt es eventuell daran, dass ...?" " Wie kann ich Dir helfen,...?"

Sie begibt sich also mit dem Kind scheinbar auf eine Ebene. Oder anders formuliert: Sie wechselt äußerlich in einen tieferen Status (ist also "innen hoch", spielt aber "außen tief"), um die Ursachen zu erforschen und mit dem Kind eine Lösung zu erarbeiten. Und gegen Ende des Gesprächs wechselt die Mutter erneut in einen höheren Status, indem sie zum Beispiel sagt: "Karla (oder Karl), dass Du mal eine Fünf geschrieben hast, ist kein Beinbruch. Doch ich erwarte von Dir, dass Du künftig ..."

Den Status gezielt wechseln

Solche für bestimmte Gesprächssituationen und -konstellationen typischen Verläufe kann man auch im Arbeitsalltag registrieren - unabhängig davon, ob Kollegen miteinander, Verkäufer mit ihren Kunden oder Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern reden. Hierfür zwei Beispiele. Angenommen ein Abteilungsleiter ist mit der Leistung seiner Mitarbeiter unzufrieden. Dann wird er in der Regel im Hoch-Status, der seine Funktion in der Organisation widerspiegelt, in das Gespräch einsteigen und zum Beispiel sagen: "Also Leute, in dem Projekt x geht es nur schleppend voran.

Unsere Aufgabe ist es .... Wenn wir so weiter machen, kriegen wir Riesenprobleme...." Nach dieser "Standpauke" ändert er den Status und sagt zu seinen Mitarbeitern zum Beispiel: "Leute, was muss passieren, damit ...?" "Drücke ich mich missverständlich aus?" "Wie kann ich Euch besser unterstützen?" Das Ziel dabei: die Problemlage ermitteln und eine Lösung erarbeiten. Danach wird die Führungskraft wieder in den Hoch-Status wechseln und zum Beispiel sagen: "Also, wir machen das ab jetzt wie besprochen. Erstens:.... Zweitens:.... Drittens:..." "Alles klar?" "Ja. Dann zurück an die Arbeit." (siehe Grafik)

Anders ist die Status-Verlaufskurve, wenn der Chef möchte, dass seine Mitarbeiter Überstunden machen. Dann steht er zum Beispiel irgendwann in der Tür und sagt im Tief-Status: "Leute, wir haben ein Problem. Unser Kunde x möchte, dass wir bis morgen Abend .... Dass wir dies tun ist wichtig, weil .... Seid Ihr bereit, heute länger zu bleiben?" Und wenn seine Mitarbeiter zugestimmt haben, dann wechselt er in den Hoch-Status und sagt zum Beispiel: "Sehr gut! Ich schlage, weil die Zeit drängt, vor, dass Sie, Herr Müller, folgende Aufgabe übernehmen .... Und Sie, Frau Mayer, ...." Und nachdem die Aufgaben verteilt sind, wechselt er erneut in einen tieferen Status und sagt zum Beispiel: "Nochmals danke, dass Ihr länger bleibt. Das rechne ich Euch hoch an."

Das Status-Spiel kann man lernen

Ob Führung gelingt, hängt auch davon ab, inwieweit eine Führungskraft das Status-Spiel beherrscht. Denn was würde passieren, wenn eine Führungskraft, wenn kurzfristig Überstunden anfallen, im absoluten Hoch-Status verkünden würde: "Leute, Ihr müsst heute Abend länger bleiben - Punkt,aus, basta"? Die Mitarbeiter würden zumindest innerlich rebellieren und denken: "Der kann mich mal!" Entsprechend schlecht wäre die Stimmung und Arbeitsmoral. Und was würde passieren, wenn die Führungskraft, nachdem die Mitarbeiter ihre Bereitschaft zum Bleiben bekundet haben, nicht in den Hoch-Status wechseln würde? Dann würden die Mitarbeiter ebenfalls murren: "Wenn wir schon länger bleiben müssen, dann sollte uns der Chef wenigstens klare Anweisungen geben. Sonst sitzen wir noch heute Nacht um zwei Uhr hier."

Aus den Status-Verlaufskurven von Gesprächen, die Verkäufer, Projektleiter oder Führungskräfte führen, kann man denn auch - losgelöst vom Inhalt - vielfach bereits entnehmen, wie erfolgreich diese waren. Entsprechend wichtig ist es für den beruflichen Erfolg, das Status-Spiel zu beherrschen. Und das Erfreuliche ist: Man kann es lernen - ähnlich wie dies Schauspieler während ihrer Ausbildung tun, damit sie in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen können.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist es, bei anderen Personen - zum Beispiel erfolgreichen Verkäufern oder Führungskräften - zu analysieren: Wie verhalten sie sich in bestimmten Situationen? Wie sieht ihr Status-Spiel aus, wenn sie das Ziel x erreichen möchten? Danach kann man ermitteln: Wie ist mein eigenes Status-Spiel? Und wann wäre ein anderes Spiel sinnvoll, weil das bisherige nicht zielführend ist? Und sind die Schwachstellen ermittelt, dann heißt es üben, üben und nochmals üben - ähnlich wie dies ein Schauspieler tut, bis er eine Rolle sozusagen wie im Schlaf beherrscht. Doch Vorsicht! Das Ziel ist nicht, den Text der Rolle auswendig zu lernen. Dies wäre ein Leichtes. Es geht vielmehr darum zu lernen, sich gezielt in die Emotion zu versetzen, die die jeweilige Rolle sowie Situation erfordert. Denn nur, wenn sich in unserem Tun und Verhalten unsere innere Haltung widerspiegelt, wirken wir authentisch und somit glaubwürdig. Das heißt, wir und unsere Botschaften kommen an. (oe)
*Die Namen der erwähnten Personen wurden geändert.

Kontakt:

Der Autor Tom Schmitt arbeitet als Managementberater und Trainer für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Der Diplom-Pädagoge und ausgebildete Schauspieler schrieb mit Michael Esser das Buch "Status-Spiele: Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte". (E-Mail: info@kraus-und-partner.de; Tel.: 07251 989034).