Produktionsumgebung bestimmt die Entwicklungs-Effizienz:

Tool und Mensch müssen eine Einheit bilden

17.05.1985

In einer Software-Produktionsumgebung werden Systeme geplant, entwickelt und gewartet. Sie schließt die Hardware, die Software-Unterstützung, die Sprachen, die organisatorischen Bedingungen, die Arbeitsmethoden und sogar die Räumlichkeiten mit ein. Im Mittelpunkt der Umgebung steht allerdings der Mensch beziehungsweise der Entwickler selbst.

Der Mensch bleibt also das Maß aller Dinge. Alles in der Produktionsumgebung soll nur dazu dienen, seine Arbeit zu erleichtern und zu verbessern und gleichzeitig seine Produktivität und die Qualität seiner Produkte zu erhöhen. Daran wird die Effektivität der Umgebung gemessen.

Fluch eine anspruchsvolle Produktionsumgebung kann hemmend wirken

Dieses Ziel setzt voraus, daß der Entwickler und die Umgebung miteinander harmonisieren. Der Mensch muß in der Umgebung eine Ergänzung seiner eigenen geistigen

Fähigkeiten sehen. Die technisch raffinierteste Umgebung nützt wenig, wenn sie nicht im Einklang mit den Vorstellungen, Gewohnheiten und Fähigkeiten des Benutzers steht, und

da die Menschen bekanntlich sehr unterschiedliche Vorstellungen, Gewohnheiten und Fähigkeiten haben, muß es zwangsläufig unterschiedliche Produktionsumgebungen geben.

Die Tatsache, daß eine Software-Produktionsumgebung in einem Land oder in einem Betrieb gut funktioniert, ist keineswegs eine Garantie dafür, daß die gleiche Produkionsumgebung von den Menschen in einem anderen Land oder in einem

anderen Betrieb überhaupt angenommen wird. Die Umgebungen müssen zu ihren Anwendern passen. Daraus folgt, daß diejenigen, die eine Produktionsumgebung entwickeln, sich sehr intensiv mit den potentiellen Anwendern ihrer Umgebung auseinandersetzen müssen. Sie müssen mit ihren Problemen, ihrer Sprache

ihren Gewohnheiten und ihrer Denkweise vertraut sein; denn eine geistig anspruchsvolle Produktionsumgebung kann genauso produktionshemmend wirken wie eine zu anspruchslose Umgebung. Daher die Schwierigkeiten bei der Übertragung von Produktionsumgebungen von Betrieb zu Betrieb.

Zu jenen soziologischen Problemen kommen die technischen Probleme hinzu. Eine Software-Produktionsumgebung muß nicht nur mit ihren Anwendern im Einklang sein, sie muß auch in sich eine Einheit bilden, Hardware und Software müssen aufeinander abgestimmt sein. Die Software muß mit den Methoden und diese wiederum mit den organisatorischen Bedingungen übereinstimmen. Phasenkonzept, Entwicklungsmethodik und Werkzeug bilden ein Ganzes. Die Sprachen für Planung, Spezifikation, Implementation und Test müssen alle Subsets einer einzigen, allumfassenden Metasprache sein. Das heißt, das Phasenkonzept und die für jede Phase vorgesehenen Sprachen und Verfahrenstechniken werden von der Produktionsumgebung bestimmt.

Nur permanente Auseinandersetzung bringt Erfolg

Um so wichtiger ist es, daß ein Software-Entwicklungsbetrieb eine Produktionsumgebung wählt, die seinen Vorstellungen entspricht und deren Gestaltung er beeinflussen kann. Eine wirklich effektive Software-Produktionsumgebung entsteht nur durch eine permanente Auseinandersetzung zwischen Entwickler und Anwender. Deshalb muß sie bei und mit den Anwendern entwickelt werden, die stellvertretend für alle anderen zukünftigen Anwender sind. Es werden sich nur jene Produktionsumgebungen durchsetzen, die aus der Praxis hervorgehen. Die Entwicklung von Produktionsumgebungen an Hochschulen, in Forschungsinstituten oder in abgeschiedenen Entwicklungslabors ist zum Scheitern verurteilt.

All dies deutet darauf hin, wie schwierig es ist, eine geeignete Produktionsumgebung zu bauen beziehungsweise zu finden. Im Vergleich zur Konstruktion einer Software-Produktionsumgebung ist die Konstruktion eines Rechners eine fast trivale Aufgabe. Dennoch muß es gelingen, auch dieses scheinbar unlösbare Problem zu lösen. Denn nur mit solchen Produktionsumgebungen wird es möglich sein, die ständig komplexer werdenden Anwendungen der Zukunft kostengünstig und qualitativ ausreichend zu automatisieren.

Karl Marx hat schon im letzten Jahrhundert darauf hingewiesen, daß die Produktionsmittel die Produktionsbedingungen bestimmen. In der Welt der Hardwareproduktion haben verbesserte Produktionsmittel bereits zu einer Revolution in den Produktionsbedingungen geführt. Bedingungen, unter denen immer weniger Menschen immer mehr produzieren. Jetzt ist es an der Zeit, die gleiche Revolution in der Softwareproduktion nachzuvollziehen. Jenen Ländern beziehungsweise jenen Betrieben, die diese Revolution herbeibringen, gehört die Zukunft. Um Marx zu ergänzen: Wer über die Produktionsmittel verfügt, verfügt auch über die Arbeitsbedingungen der damit arbeitenden Menschen.

*Harry M. Sneed ist Geschäftsführer der SES Software Engineering Service GmbH, Neubiberg.