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Tom Siebel: „SAPs CRM-Umsatz ist nicht überprüfbar“

02.12.2002
Siebel Systems ist Marktführer für CRM-Software. Obwohl die Konkurrenz aufholt, macht sich Firmenchef Tom Siebel keine Sorgen. Im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE erklärt er, warum.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Siebel Systems ist der Marktführer bei Software für das Kundenbeziehungs-Management. Doch die Konkurrenz holt auf. Firmenchef Tom Siebel erklärt im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Ottomeier, warum er sich keine Sorgen um die Zukunft macht.

Tom Siebel: "Einige Projekte haben Probleme, die wir noch nicht gelöst haben."

CW: Siebel Systems hat im dritten Quartal einen starken Rückgang der Lizenzeinnahmen verbucht. Auch der Ausblick auf das vierte Quartal war nicht sehr optimistisch. Wie steht es um Ihr Unternehmen?

SIEBEL: Wir haben in den vergangenen sieben Quartalen einen massiven Umsatzrückgang in der IT-Branche verzeichnet. Das ist traurig. Viele IT-Firmen sind heute kleiner als noch vor einem Jahr - das gilt für SAP und Oracle genauso wie für uns. Aber Siebel gewinnt Marktanteile im Markt für Kundenbeziehungssoftware (Customer-Relationship-Management = CRM) - sogar im gesamten Markt für Unternehmenssoftware. Das ist wichtig.

CW: Im dritten Quartal ist SAPs CRM-Lizenzumsatz um 19 Prozent gestiegen, der von Siebel Systems um 34 Prozent gesunken. Wieso gewinnen Sie Marktanteile?

SIEBEL: Wie kommt SAP zu diesen Zahlen? Der von ihnen ausgewiesene CRM-Umsatz basiert nicht auf allgemein anerkannten Rechnungslegungsregeln, wie sie beispielsweise die amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) aufstellt. Wir hatten das schon einmal. Vor Jahren ist der CRM-Umsatz von Oracle in jedem Quartal gestiegen. Und jedesmal haben sie eine lange Liste mit neuen CRM-Kunden präsentiert. Der Grund war: Oracle hat einen Teil seiner Upgrade-Umsätze auf die „E-Business Suite 11i“ als CRM-Umsatz verbucht, weil die entsprechenden Lösungen kostenlos in der Suite enthalten waren. Aber vor einem Jahr hat sich ein Journalist vom „Wall Street Journal“ die Mühe gemacht, diese Kunden anzurufen und zu fragen, ob sie für die Software bezahlt haben und sie nutzen. Die Antwort war jedesmal: Nein. Auch bei den SAP-Kunden wird früher oder später ein Journalist die Angaben zum CRM-Umsatz untersuchen und die wahren Fakten ermitteln.

CW: Sie glauben also, SAP weist den CRM-Umsatz zu hoch aus?

SIEBEL: Es fehlt die objektive Überprüfbarkeit. Die meisten Journalisten nehmen das, was Unternehmen erzählen, nicht für bare Münze. Sie hinterfragen die Angaben von Unternehmen und Regierungen mit kritischem und scharfsichtigem Auge.

CW: Aber selbst der gesamte Lizenzumsatz von SAP ist um nur drei Prozent gesunken. Der Ihre um 34 Prozent.

SIEBEL: Ein Quartal zeigt keinen Trend an. Lassen Sie uns die vergangenen fünf Jahre ansehen. Da hat SAP deutlich Marktanteile verloren. Vor fünf Jahren waren sie der größte Unternehmenssoftwareanbieter in den USA. Gemessen am Lizenzumsatz der vier größten Anbieter - Oracle, Peoplesoft, SAP und Siebel - hatten sie einen Marktanteil von 40 Prozent. Jetzt haben sie noch 20 Prozent und sind nur noch die Nummer vier. Weltweit ist ihr Marktanteil von 56 Prozent auf 43 Prozent gesunken. Nur eines dieser vier Unternehmen hat Marktanteile gewonnen, und das ist Siebel Systems. Wir sind mittlerweile der größte Unternehmenssoftwareanbieter in den USA und der zweitgrößte weltweit.

CW: Im zweiten Quartal haben Sie 18 Prozent Ihres Umsatzes mit Tauschgeschäften (Concurrent Transactions) erzielt. Bleibt das so?

SIEBEL: Concurrent Transactions sind eine Rechnungslegungsvorschrift der SEC mit der Bezeichnung APB 39. Diese besagt, wenn binnen sechs Monaten vor oder nach einem Verkauf an einen Zulieferer dieser etwas an uns verkauft, dann ist das eine Concurrent Transaction - zum Beispiel, wenn der Computerwoche Verlag unsere Software kauft und wir binnen sechs Monaten eine Anzeige in der COMPUTERWOCHE schalten. Das ist also kein Tauschgeschäft. Wir wollen bei unseren Finanzberichten so offen wie möglich sein, daher weisen wir Umsätze nach dieser Rechnungslegungsvorschrift aus - übrigens als einziges Unternehmen. Ich weiß nicht, warum unsere Mitbewerber dem nicht folgen. Auch SAP wird Umsatz mit seinen Zulieferern machen.

CW: SAP sagt, dass sie keine Gegengeschäfte mit Partnern macht.

SIEBEL: Glauben Sie, SAP kauft keine PCs von IBM oder Compaq oder Hewlett-Packard? Und setzen sie Software an diese Unternehmen ab?

CW: Ich denke schon.

SIEBEL: Das sind Concurrent Transactions. Das ist keine schlimme Sache. Nur wenn man das negativ auslegt, ist es etwas Verwerfliches. Aber im Geschäftsleben ist das normal.

CW: Vor ein paar Jahren hat SAP Sie verklagt, weil eine Reihe von Führungskräften zu Siebel Systems gewechselt ist. Nun ist Ihr ehemaliger Vertriebschef, William McDermott, als CEO für SAP America abgeworben worden. Gibt es jetzt eine Gegenbewegung?

SIEBEL: Bill ist nicht von Siebel zu SAP gewechselt. Er war arbeitslos, als er zu SAP ging.

CW: Für ein paar Wochen. Da hat es sicher vorher schon Gespräche gegeben.

SIEBEL: Bill arbeitete zuletzt auf Bewährung bei uns. Insofern würde es mich nicht wundern, wenn er sich schon damals nach einem neuen Job umgesehen hat.

CW: Und was war der Grund, warum er zuletzt auf Bewährung arbeitete?

SIEBEL: Bill ist gegangen, weil der Umsatz in den USA, der Region, für die er zuständig war, inakzeptabel ausfiel. Der Vertrieb dort hat nicht die notwendigen Ergebnisse gebracht.

CW: Sie erwarten also nicht, dass andere McDermott folgen?

SIEBEL: Ich weiß es nicht. Siebel und SAP sind beides große Unternehmen. Da wird es schon einmal einen Wechsel geben. Aber wenn eine Person, die irgendwann einmal für Siebel gearbeitet hat, zu SAP geht, das ist doch kein Trend. Als SAP uns verklagt hat, waren 27 Führungskräfte von SAP zu uns gewechselt - inklusive des SAP-America-Chefs und mehrerer Vice Presidents.

CW: Ein Wort zur Kundenzufriedenheit. Bei einer Studie des Marktforschungsunternehmens Nucleus hat Siebel nicht gut abgeschnitten: Viele Ihrer Referenzkunden finden die Benutzerfreundlichkeit unzureichend, 60 Prozent haben noch keinen Return on Investment erzielt, und die Hälfte der Projekte hat die Zeit- und Budgetvorgaben überschritten. Woran liegt das?

SIEBEL: Haben Sie sich die Studie angesehen? Wissen Sie, wie viele Kunden sie befragt haben? Es waren 21.

CW: Aber 21 von 66 Ihrer Referenzkunden.

SIEBEL: Das ist Guerilla-Marketing. Die Methode ist armselig. Die Studie ist statistisch nicht signifikant. Und sie ist in weiten Bereichen falsch. Eine Aussage in der Studie besagt, der durchschnittliche Siebel-Kunde habe 11.000 Dollar pro Arbeitsplatzlizenz bezahlt. Niemand hat das jemals bezahlt. Das ist absurd. Der durchschnittliche Lizenzpreis liegt bei 2000 Dollar. Jeder weiß das. Einer der befragten Kunden ist der CIO von BMC Software, Jay Gardner. Das ist ein sehr zufriedener Kunde von uns. Als er von Nucleus angerufen worden war, erzählte er unter anderem, dass sein Unternehmen 1996 einmal ein Problem mit der Implementierung gehabt hat. Nucleus hat diese eine Aussage genommen und BMC zum unzufriedenen Problemkunden gedreht. Es gibt noch mehr Ungereimtheiten. Die Studie wurde an dem Montag der letzten Woche unseres Quartals herausgebracht. Zuvor hat Nucleus nie kostenlos Studien herausgegeben - diese aber schon. Sie wurde an praktisch jeden Journalisten und jeden Analysten in unserer

Branche geschickt. Und sie wurde auch an praktisch alle unsere Kunden geschickt. Die interessante Frage für einen kritischen Journalisten ist, wie es zu diesem Report gekommen ist.

CW: Ich kenne Beispiele, bei denen Ihre Kundenzufriedenheitsbögen an die falsche Adresse geschickt worden sind. Und ich habe von Kunden gehört, die „unzufrieden“ angekreuzt haben.

SIEBEL: Wie viele Ausgaben der COMPUTERWOCHE gehen jede Woche an die falsche Adresse? Ich schätze Hunderte.

CW: Wir verkaufen keine Software zur Steigerung der Kundenzufriedenheit.

SIEBEL: Sie sind nicht an Kundenzufriedenheit interessiert? Okay, das ist Ihre Sache. Aber wir lassen Zufriedenheitsstudien machen. Das Unternehmen, das für uns die Umfragen macht, versendet bei jeder Studie 15.000 Fragebögen, und der eine oder andere geht an die falsche Adresse. Na und? Das passiert. Manche Kunden sind nicht zufrieden. Das ist wahr. Natürlich gibt es auch unzufriedene Kunden. Aber Tatsache ist: Die überwiegende Zahl unserer Kunden ist zufrieden. Sie beurteilen die Produkteffektivität als sehr gut und unseren Service als sehr gut. Einige Projekte haben Probleme, die wir noch nicht gelöst haben. Das kommt vor. Aber im Schnitt berichten mir meine 3500 Kunden, dass sie die Zufriedenheit ihrer Kunden um 23 Prozent erhöht haben, dass sie acht Prozent mehr Umsatz erzielen, dass sie die Kundenbindung um 13 Prozent gesteigert und die Produktivität ihrer Mitarbeiter um 23 Prozent erhöht haben.

CW: Larry Ellison hat während der Oracleworld gesagt, IT-Unternehmen mit nur einem Produkt würden es schwer haben, wieder auf die Siegerstraße zu kommen. Haben Sie eine schwere Zeit vor sich?

SIEBEL: Danke, dass Sie das fragen. Hier ist eine Übersicht über unsere Produktpalette. Wir liefern 380 Produkte in 25 Sprachen.

CW: Und Teile davon sind nicht CRM?

SIEBEL: Natürlich ist das alles CRM, aber es ist nicht nur ein Produkt. Sales Force Automation ist etwas anderes als Service oder Kampagnenunterstützung. Ein Call-Center für Banken ist etwas anderes als eine Software für Autoverkäufer. Das sind verschiedene Produkte, verschiedene Preise und verschiedene Märkte.

CW: Trotzdem konkurrieren Sie mit den Anbietern von umfassenden Lösungen, bei denen CRM nur Teil einer ganzen Palette betriebswirtschaftlicher Softwarelösungen ist.

SIEBEL: Die Suite-Anbieter sagen natürlich, dass darin die Zukunft liegt und dass ihre Kunden eine geringere Funktionalität akzeptieren, wenn sie dafür eine integrierte Lösung bekommen. Das sagen SAP und Oracle. Aber ich habe es Ihnen ja schon gesagt: Diese Unternehmen verlieren Marktanteile. Nur wir gewinnen Marktanteile. Das sind die Fakten.

CW: Sie fürchten nicht, dass sich das ändern könnte?

SIEBEL: Es gibt keinen Markt für integrierte Suiten. Es gibt einen Markt für Rechnungswesen, es gibt einen Markt für PPS-Systeme, es gibt einen Markt für E-Mail-Software. Sie werden niemals einen Kunden finden, der ein Budget für eine integrierte Suite aufstellt.

CW: Aber es ist leichter für einen Anbieter, der zum Beispiel bereits erfolgreich seine Buchhaltungssoftware an einen Kunden verkauft hat, diesem auch noch CRM-Software zu verkaufen.

SIEBEL: Diese Unternehmen behaupten das seit 1994 - ohne Erfolg. Sie verlieren Marktanteile an die Spezialisten. Die Geschichte ist einfach zu erzählen, aber die Kunden kaufen keine Versprechungen.