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TKÜV gerät immer mehr unter Beschuss

06.07.2001

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Anlässlich einer öffentlichen Anhörung zum Thema Cybercrime und Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) kritisierten Experten aus Forschung und Wirtschaft die Pläne der Regierung. Den Vertretern des Innenministeriums und der Bundesstaatsanwaltschaft gelang es nicht, Vorwürfe wie Standortnachteile, Rechtsunsicherheiten und mangelnde Effektivität bei der Verbrechensbekämpfung, die aus der geplanten Verordnung resultierten, zu entkräften.

Das eigentliche Problem ist das schon seit langem geltende Telekommunikationsgesetz, schimpft Ina Pernice, Vertreterin des Industrie- und Handelskammertages. Das Gesetz legt fest, dass die Telekommunikationsanbieter das für die Überwachung notwendige Gerät auf eigene Kosten den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen. Um Internet-Anbieter und Online-Dienste stärker in die Überwachungspflicht zu nehmen hat das Bundeswirtschaftsministerium mit der TKÜV einen Entwurf vorgelegt, der die Details des Lauschangriffs im Netz regeln soll.

Passiert die TKÜV wie geplant im September alle parlamentarischen Instanzen, können die Diensteanbieter per richterlicher Anordnung dazu verpflichtet werden, Kommunikationsdaten abzufangen und zu speichern. Außerdem sollen Verschlüsselungsmechanismen deaktiviert werden, um Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst möglichst einfachen Zugang zu den abgefangenen Informationen zu bieten.

Gegen diese Pläne laufen Provider, Verbände und IT-Experten Sturm. Tobias Gramm, Vertreter des Internet-Dienstleisters UUnet, rechnet mit Kosten von etwa 60 Millionen Mark allein für sein Unternehmen. Damit seien jedoch nur die Aufwendungen für die Überwachungsgeräte gedeckt. Dazu kämen laufende Belastungen, wie zum Beispiel Personalkosten, die pro Jahr mehrere Hunderttausend Mark ausmachen könnten.

Neben den Kosten kritisiert Gramm die mangelnde Effizienz der Überwachungsmaßnahmen. So sei es für Kriminelle ein Leichtes, sich über anonymisierte Internet-by-Call-Verbindungen ins Netz einzuklinken. Außerdem gebe es viele Möglichkeiten, sich unter falschem Namen anzumelden beziehungsweise sich über einen ausländischen Provider einzuwählen. Eine internationale Harmonisierung der Überwachungsgesetze liege in weiter Ferne.

Der Dresdner Informatikprofessor Andreas Pfitzmann bemängelt in erster Linie die technischen Unzulänglichkeiten der Verordnung. So sei es heute kein Problem, seine Daten mit Kryptographie oder Steganographie zu verbergen. Entsprechende Software lasse sich kostenlos aus dem Internet herunterladen. Jürgen-Peter Graf von der Bundesanwaltschaft versucht diesen Vorwurf mit dem Hinweis darauf zu kontern, dass die wenigsten Anwender im Netz ihre Daten verschlüsseln würden. Einen Beleg für diese These kann er jedoch nicht beibringen.

Pfitzmann fürchtet, dass die Abhöreinrichtungen zusätzliche Sicherheitslöcher ins Netz reißen. Hier könne außer der Polizei auch die organisierte Kriminalität mitlauschen. Ziel der Verbrechensbekämpfung sollte vielmehr sein, sichere IT-Infrastrukturen, statt mit zweifelhaften Verordnungen neue Unsicherheit zu schaffen.

Andreas Bogk vom Chaos Computer Club (CCC) geht in seiner Kritik noch einen Schritt weiter. Mit der TKÜV würde ein Überwachungsinstrumentarium geschaffen, "bei dem die Stasi feuchte Finger bekommen hätte". Außerdem könnten die Abhörvorrichtungen ohne weiteres dazu genutzt werden, "ein totalitäres Regime aufzubauen."

Diese Vorwürfe weisen Torsten Akmann und Andreas Reisen, Oberregierungsräte im Bundesministerium des Innern, zurück. So würde gerade die neue TKÜV die Überwachungsmaßnahmen regeln. Ein Lauschangriff sei nur auf Anordnung der Behörden zulässig. Dadurch schaffe die Regierung Rechtssicherheit. Ferner hätten die Behörden durch Lauschangriffen zahlreiche Fahndungserfolge vorzuweisen. Zahlen und Statistiken kann das Duo aus dem Innenministerium allerdings nicht bieten.

Pfitzmann kritisiert die Strategie, statt mit ausgewogenen Erkenntnissen lieber mit spektakulären Einzelfällen zu argumentieren: "Mit so einer Vorgehensweise wäre es ein Leichtes, auch die Einführung der Folter in den Strafprozess oder die Benutzung von zwangsweise verabreichten Drogen beim Verhör zu rechtfertigen."