Den Providern drohen Kosten in Millionenhöhe

TKÜV gerät immer mehr in die Kritik

13.07.2001
BERLIN (ba) - Anlässlich einer öffentlichen Anhörung zum Thema Cybercrime und Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) kritisierten Experten aus Forschung und Wirtschaft die Pläne der Bundesregierung. Die Überwachung bringe in der Verbrechensbekämpfung nicht viel, führe aber zu Standortnachteilen für die TK-Anbieter. Außerdem bestehe die Gefahr einer totalitären Ausspionierung unbescholtener Bürger.

Passiert die TKÜV wie geplant im September alle parlamentarischen Instanzen, können die Internet-Diensteanbieter per richterliche Anordnung dazu verpflichtet werden, Kommunikationsdaten abzufangen und zu speichern. Außerdem können Verschlüsselungsmechanismen deaktiviert werden, um Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdiensten möglichst einfachen Zugang zu den abgefangenen Daten zu bieten.

Gegen diese Pläne laufen Provider, Verbände und IT-Experten aus verschiedenen Gründen Sturm. Tobias Gramm, Vertreter des Internet-Dienstleisters Uunet, rechnet mit Kosten von etwa 60 Millionen Mark allein für sein Unternehmen. Damit seien jedoch nur die Aufwendungen für die Überwachungsgeräte gedeckt. In jedem Einwahlknoten müsse ein entsprechendes Lauschsystem installiert und gewartet werden. Dazu kämen laufende Belastungen wie Personalkosten, die pro Jahr mehrere hunderttausend Mark ausmachen könnten. Durch diese Aufwendungen erleide der Standort Deutschland für Internet-Dienstleister klare Nachteile.

Neben den finanziellen Belastungen kritisiert der Provider-Vertreter den zweifelhaften Nutzen der Überwachungsmaßnahmen. So sei es für Kriminelle ein Leichtes, sich über anonymisierte Internet-by-Call-Verbindungen ins Netz einzuklinken. Außerdem gebe es viele Möglichkeiten, sich unter falschem Namen anzumelden beziehungsweise sich über einen ausländischen Provider einzuwählen. Eine internationale Harmonisierung der Überwachungsgesetze, die entsprechende Verschleierungstaktiken durchkreuzen könnte, liege jedoch in weiter Ferne.

Das eigentliche Problem ist das schon seit langem geltende Telekommunikationsgesetz (TKG), schimpft Ina Pernice, Vertreterin des Industrie- und Handelskammertages (IHKT). Dieses Gesetz legt in Paragraph 88 fest, dass die Telekommunikationsanbieter das für die Überwachung notwendige Gerät auf eigene Kosten anschaffen sowie den Strafverfolgungsbehörden bei Bedarf zur Verfügung stellen sollen.

Pernice wirft den Gesetzge-bern Fehler bei der Verabschiedung des TKG vor. So sei der Nutzen von Überwachungsmaßnahmen auf der einen Seite und der Eingriff in die Grundrechte auf der anderen nicht gründlich genug untersucht worden. Bis heute lägen keine empirischen Erkenntnisse über die Effizienz der Telekommunikationsüberwachung vor. Die gleichen Fehler drohten bei der TKÜV, deren Auswirkungen Pernice als "unverhältnismäßig" kritisiert. Der Staat bürde den Unternehmen hohe Kosten auf, ohne dass ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn der Strafverfolgungsbehörden gesichert sei.

Der Dresdner Informatikprofessor Andreas Pfitzmann bemängelt in erster Linie die technischen Unzulänglichkeiten der Verordnung. So sei es heute kein Problem, die eigenen Daten mit Kryptografie oder Steganografie zu verbergen. Entsprechende Software lasse sich kostenlos aus dem Internet herunterladen. Jürgen-Peter Graf von der Bundesanwaltschaft versucht diesen Vorwurf mit dem Hinweis darauf zu kontern, dass die wenigsten Anwender im Netz ihre Daten verschlüsseln würden.

Pfitzmann fürchtet, dass die Abhöreinrichtungen zusätzliche Sicherheitslöcher ins Netz reißen. Hier könne außer der Polizei auch die organisierte Kriminalität mitlauschen. Ziel der Verbrechensbekämpfung sollten aber sichere IT-Infrastrukturen sein, statt mit zweifelhaften Verordnungen neue Unsicherheit im Netz zu schaffen.

Andreas Bogk vom Chaos Computer Club (CCC) geht in seiner Kritik noch einen Schritt weiter. Mit der TKÜV würde ein Überwachungsinstrumentarium geschaffen, "bei dem die Stasi feuchte Finger bekommen hätte". Die Abhörvorrichtungen könnten ohne weiteres dazu genutzt werden, "ein totalitäres Regime aufzubauen".

Diese Vorwürfe weisen Torsten Akmann und Andreas Reisen, Oberregierungsräte im Bundesministerium des Innern, zurück. Die neue TKÜV werde die Überwachungsmaßnahmen regeln. Ein Lauschangriff sei nur auf Anordnung der Behörden zulässig. Dadurch schaffe die Regierung Rechtssicherheit. Ferner hätten die Behörden mit Hilfe von Lauschangriffen zahlreiche Fahndungserfolge erzielt. Zahlen und Statistiken kann das Duo aus dem Innenministerium allerdings nicht bieten.

Pfitzmann kritisiert die Strategie des Ministeriums, statt mit ausgewogenen Erkenntnissen lieber mit spektakulären Einzelfällen zu argumentieren: "Mit so einer Vorgehensweise wäre es ein Leichtes, auch die Einführung der Folter in den Strafprozess oder die Benutzung von zwangsweise verabreichten Drogen beim Verhör zu rechtfertigen."