TK-Ausrüster finden keinen Ausweg

02.05.2002
Von 
Peter Gruber arbeitet für die Portale Computerwoche und CIO.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Branche der TK-Ausrüster geht weiter am Stock. Deprimierende Prognosen, enttäuschende Quartalszahlen und Massenentlassungen haben dem aufkeimenden Konjukturoptimismus einen starken Dämpfer versetzt. Lediglich auf den Abwärtstrend ist noch Verlass.

Foto: Lucent Technologies

Die Siemens AG hat in der vergangenen Woche mit ihren Halbjahreszahlen den Schlussstrich unter eine Berichtsaison gezogen, die als vorläufiger Tiefpunkt in die Geschichte der TK-Branche eingehen wird. Ein Sorgenkind der Münchner bleibt die Festnetzsparte Information and Communication Networks (ICN), auf die nun „tiefere Einschnitte als erwartet“ zukommen. Der Bereich erzielte im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres einen Verlust vor Steuern und Zinsen von 158 Millionen Euro. Hatte die Presse im Vorfeld bereits über 5000 Entlassungen spekuliert, setzte Konzernchef Heinrich von Pierer noch einen drauf: 6500 Stellen werden bis Ende 2003 gestrichen, weil Siemens ICN im kommenden Geschäftsjahr 1,5 Milliarden Euro einsparen muss. Erst im vergangenen Oktober hatte die Sparte 10000 ihrer 53000 Stellen verloren.

Abgestürzt wie Ikarus

Damit liegen die Münchner voll im Branchentrend, denn kaum ein Industriesegment hat im vergangenen Jahr derart Federn lassen müssen wie das der einst hoch bewerteten TK-Ausrüster. Ericsson kündigte vergangene Woche an, 20000 Mitarbeiter oder ein Fünftel der Belegschaft mittelfristig abzubauen; Lucent will weitere 6000 Stellen streichen, obwohl von den einst 106000 Mitarbeitern ohnehin nur noch 56000 auf der Lohnliste stehen; Marconi hat seit Anfang Januar ein Viertel der Jobs durch Entlassung oder Outsourcing abgebaut; 3000 der lediglich noch 47000 Mitarbeiter von Nortel Networks müssen ihren Hut nehmen.

Schlecht begonnen, schlecht verlaufen, schlecht beendet - für die TK-Ausrüster hat sich das vergangene Jahr zu einem Alptraum entwickelt. Konzerne wie Lucent oder Nortel befanden sich schon vor zwölf Monaten in einem Umstrukturierungsprozess, massive Verluste waren aufgelaufen, erste Entlassungswellen angekündigt. „2001 ist ein Jahr der Transformation“, hatte Lucents Deutschland-Chef Hans Huber damals gesagt. Die Frage war, ob es im Herbst 2001 wieder aufwärts gehen würde. Heute hingegen ist klar, dass von der viel zitierten Talsohle noch immer nichts zu sehen ist; Betroffene wie Beobachter lagen mit ihren Prognosen voll daneben. Die vermeintliche Bodenbildung hat sich im Nachhinein als Treibsand erwiesen.

Skandinavische Eröffnung

Als Erste hatten die Nordlichter Ericsson und Nokia vor zwei Wochen die TK- und Mobilfunkwelt erneut geschockt: die Schweden mit tiefroten Zahlen und weiteren Entlassungen, der finnische Handy-Primus Nokia vor allem durch revidierte Absatzzahlen. Infolge der vorgelegten Quartalsergebnisse beider Unternehmen kippte die Stimmung am Markt, es kam zu starken Kurseinbrüchen. Dabei reagierten Analysten und Anleger weniger auf die Quartalsergebnisse der Finnen als vielmehr auf eine Umsatzkorrektur von Nokia-Chef Jorma Ollila, die er aufgrund weltweit rückläufiger Verkaufszahlen für Handys aussprach. Ollila rechnet in diesem Jahr nicht mehr mit bis zu 440 Millionen abgesetzten Mobiltelefonen, sondern korrigierte die Zahl auf 400 bis 420 Millionen Geräte. Eine Prognose, die Tage später von Ericsson-Boss Kurt Hellström sowie dem US-amerikanischen Konkurrenten Motorola bekräftigt wurde.

Da die Finnen 77 Prozent ihres gesamten Umsatzes durch Handys generieren, musste Ollila in Helsinki seine Umsatzprognose vorsorglich nach unten revidieren. Während er Anfang des Jahres noch ein Wachstum der Einnahmen in Höhe von 15 Prozent erwartet hatte, sind es jetzt lediglich noch fünf bis neun Prozent. Analysten werteten die Umsatzwarnung allerdings als eine Art „Zweckpessimismus“, damit das Unternehmen im Lauf des Jahres in einem besseren Licht darstellen kann. Im Gegensatz zu Ericsson legte Nokia nämlich durchaus respektable Zahlen vor. Zwar sank der Umsatz im Vergleich zum ersten Quartal 2001 um zwölf Prozent auf 7,1 Milliarden Euro, das Unternehmen weist aber dennoch einen Nettogewinn von 863 Millionen Euro aus. Damit übertraf Nokia sogar die Erwartungen der Analysten, auch wenn im Vergleichszeitraum 2001 noch 975 Millionen Euro Gewinn verbucht wurde.

Margenverfall bei Systemtechnik

Viel härter traf es im ersten Geschäftsquartal Nokias skandinavischen Konkurrenten Ericsson. Hauptgrund für den massiven Einbruch ist die Tatsache, dass die Schweden rund 80 Prozent ihres Geschäfts mit Systemtechnik erwirtschaften und extrem unter dem Margenverfall in der Branche leiden. CEO Hellström konnte für die ersten drei Monate im Systemgeschäft zwar ein Auftragsplus von zehn Prozent melden, andererseits brach der Ertrag in diesem Segment um 40 Prozent ein. Insgesamt betrug das Minus vor Steuern 588 Millionen Euro.

Der Strohhalm, an den sich die Equipment-Hersteller - allen voran Ericsson - klammern, ist eine zunehmende Investitionsbereitschaft der Netzbetreiber. „Die zehn Prozent Auftragsplus sind ein ermutigendes Zeichen“, gibt sich Ericsson-Pressesprecher Jens Kürten hoffnungsfroh. Der Optimismus der Hersteller, dass die Netzbetreiber schnell Gelder für Infrastruktur lockermachen, klingt allerdings verdächtig nach den Durchhalteparolen des letzten Jahres: „Die Investitionsbereitschaft ist momentan sehr gering“, räumt Nokia-Sprecher Lauri Kivinen ein. Die Finnen mussten wie Ericsson im Netzgeschäft Federn lassen. Sie verbuchten im ersten Quartal in dem Bereich ein Minus von 29 Prozent.

Alcatel und Marconi ziehen nach

Ähnlich erging es dem französischen Ausrüster Alcatel, der im ersten Quartal mit 4,3 Milliarden Euro 27 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahreszeitraum machte. Der Nettogewinn von 210 Millionen Euro schmolz über das Jahr dahin, aktuell beläuft sich das Quartalsminus auf 836 Millionen Euro. Marconi, der britische Vertreter mit knapp fünf Milliarden Euro Schulden, befindet sich gerade in Sanierungsverhandlungen mit seinen Gläubigern. Wie diese enden werden, ist ungewiss.

Schlechte Ergebnisse kamen in den vergangenen Wochen auch von den nordamerikanischen Konkurrenten Nortel und Lucent. Letztere meldeten das achte Quartal in Folge rote Zahlen und verbuchten einen Pro-forma-Verlust von 631 Millionen Dollar. Der Umsatz schrumpfte von 5,9 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 3,52 Milliarden Dollar. Im Gegensatz zu Lucent konnte Nortel zwar die eigenen Erwartungen erfüllen, aber nur, weil das Unternehmen sie erst einige Wochen zuvor reduziert hatte. Der Nettoverlust belief sich auf 841 Millionen Dollar, die Einnahmen betrugen 2,9 Milliarden Dollar. Nach Angaben von Nortel-CEO Frank Dunn soll der Umsatz im laufenden Berichtszeitraum stagnieren. Wann es wieder aufwärts geht, sei wegen der Kaufzurückhaltung noch nicht abzuschätzen, hieß es.

In der Tat halten sich die TK-Gesellschaften mit Anschaffungen zurück, wofür es gute Gründe gibt: Einerseits ist ihr Traum vom ungebremsten Wachstum ausgeträumt, andererseits ist wegen Übernahmen und UMTS-Lizenzen vielerorts kein Geld mehr in der Kasse. Dies hat schließlich dazu geführt, dass sogar konkurrierende Carrier beim Netzaufbau zusammenarbeiten. Die arg strapazierte Phrase, vom Goldrausch würden nur die Anbieter von Spitzhacken und Eimern profitieren, trifft zumindest im Telecom-Bereich nicht zu - pragmatisch teilt man sich nun die Gerätschaften.

Zur Kaufzurückhaltung kommt hinzu, dass die Zahl der Telcos nicht mehr entscheidend wächst. Schlimmer noch, in Übersee ist längst das Carrier-Sterben ausgebrochen, was für die Ausrüster fatale Folgen hat. Nach den US-amerikanischen TK-Unternehmen McLeod und Global Crossing musste in der vergangenen Woche wie erwartet auch Williams Communications Gläubigerschutz beantragen.

Carrier in der Schuldenfalle

Der „globale“ Glasfasernetzbetreiber aus Tulsa, Oklahoma, hatte insgesamt 53000 Kilometer Kabel auf fünf Kontinenten verbuddelt. Das Ergebnis: knapp sechs Milliarden Dollar Schulden. Die Lieferanten: Cisco, Corvis, Sycamore, Nortel und Lucent. Wie hoch die ausstehenden Forderungen sind, ist nicht bekannt.

Vorbei sind die Zeiten, in denen jeder TK-Provider Kredite in beliebiger Höhe bekam. Williams hat eigenen Angaben zufolge optische Repeater alle 40 Meilen und nicht wie üblich alle 60 Meilen errichtet. Das kostete zwar mehr, sei aber nötig gewesen, um für „zukünftige Anforderungen“ gerüstet zu sein. Das vorhandene Equipment und die modernen Netze werden nun im ungünstigsten Fall weiterverkauft, ohne dass die ausstehenden Forderungen der Lieferanten befriedigt werden. Wieso sollten die Carrier und Provider neues Equipment kaufen, wenn sie sich ein einwandfreies Netz günstig aus der Konkursmasse einverleiben können? „Der Abschwung der Branche ist noch nicht vorbei, und es wird Jahre dauern, bis die Überkapazitäten in den Netzen abgebaut sind“, legt Craig Mathias, Analyst der Farpoint Group, den Finger in die Wunde.

„In der roten Tinte der Finanzchefs ertrunken“

Zudem ist die Pleitewelle in der Carrier-Szene nicht beendet, wie die Analysten von Forrester Research befürchten: Die finanzielle Situation etwa von Qwest, XO und Level 3 berge die Gefahr, dass die Unternehmen „in der roten Tinte ihrer Finanzchefs ertrinken“. Als Folge dieser Entwicklungen, schließt Forrester, wird die Leidenszeit der TK-Ausrüster andauern. Mit jedem schlechten Quartalsbericht haben potenzielle Kunden zudem bessere Chancen bei der Vertragsgestaltung, was den Druck zusätzlich erhöht. „2002 wird ein weiteres unprofitables Jahr für die Ausrüster“, äußert sich Bill Lesieur, Analyst von Technology Business Review, sehr zurückhaltend zum bevorstehenden Showdown in der Branche.

Als Reaktion auf das strategische Desaster ziehen sich betroffene Ausrüster in die Isolation zurück und halten sich bei öffentlichen Einschätzungen bedeckt. Weder die Lucent-Führung in den USA noch in Deutschland wollte sich zu den Aussichten im laufenden Quartal äußern. Seriöse Prognosen für das Investitionsverhalten der Kunden seien derzeit nicht möglich, hieß es. Stattdessen verweist der Konzern auf sinkende Verluste im Vergleich zum Vorjahr, stabile Quartalsumsätze, Barbestände von 4,8 Milliarden Dollar und die weitere Reduzierung von Lieferantenkrediten. Schwarze Zahlen sind jetzt offiziell für 2003 angepeilt.

Vieles spricht deshalb für eine bevorstehende Konsolidierungswelle. Bereits im vergangenen Sommer hatten Lucent und Alcatel über eine Komplettfusion verhandelt, die letztlich nicht zustande kam. Im Anschluss daran gab Lucent trotzig die Restrukturierungsparole „Aus eigener Kraft“ aus, die bislang auch für alle Konkurrenten gilt - vielleicht ein Fehler, wie sich langsam abzuzeichnen beginnt. Der aggressive Wettbewerb in dem Segment führt dazu, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird, urteilt die Yankee Group. Wer die Party verpasst, heißt es dort sinngemäß, kann als eigenständige Einheit nicht überleben. Abzuwarten bleibt, welcher TK-Ausrüster als Erster zum Tanz aufgefordert wird.