Tiscali lässt zweitgrößten europäischen Provider entstehen

Tiscali und World Online wollen T-Online unter Druck setzen

22.09.2000
MÜNCHEN (CW) - Mit der Übernahme von World Online durch den italienischen Internet-Service-Provider Tiscali bekommt T-Online ernst zu nehmende Konkurrenz: Tiscali verfügt eigenen Angaben zufolge über 4,7 Millionen Kunden in 15 Ländern und rückt damit an die zweite Stelle in Europa. Marktführer T-Online kommt nach der Akquisition des spanischen Online-Dienstes "Ya.com" auf 6,4 Millionen Abonnenten.

Dem neuen Internet-Service-Provider (ISP), der den Namen des italienischen Anbieters Tiscali tragen wird, kommt es aber nicht nur auf eine hohe Kundenzahl, sondern vor allem auf eine internationale Ausrichtung an. Erklärtes Ziel von Tiscali-Gründer Renato Soru ist es, die bestehende Präsenz in 15 europäischen Ländern auszubauen und hier eine möglichst starke Marktposition zu erlangen. Auch in Deutschland hat Tiscali vor ein paar Monaten mit der Übernahme des Telefon- und Internet-Anbieters Nikoma Fuß gefasst. "Wir wollen die europäische Version von AOL werden", beschreibt Soru das Firmenziel. AOL nimmt mit gut vier Millionen Nutzern zwar nur den dritten Platz in Europa ein - weltweit kommt das Unternehmen jedoch auf konkurrenzlose 24 Millionen Nutzer.

Analysten beurteilen die Fusion von Tiscali und World Online kritisch. Trotz seiner Größe spiele das entstehende Großunternehmen mit Ausnahme seiner Heimatländer Italien und den Niederlanden in den wichtigen europäischen Märkten keine wesentliche Rolle. Außerdem habe World Online noch immer schwer wiegende interne Probleme zu lösen. Das Unternehmen war unter skandalösen Umständen an die Börse gegangen, da die Gründerin Nina Brink im Vorfeld heimlich einen Gutteil ihrer Aktien abgestoßen hatte. Nun klagen zahlreiche Anteilseigner gegen das Unternehmen, da sie nach Bekanntwerden des Skandals unter dem dramatischen Kursverfall zu leiden hatten. Skeptisch betrachten Experten auch die finanzielle Situation des neuen Unternehmens. Mit den 1,6 Milliarden Dollar, die World Online in die Ehe bringt, ist die Zukunft des verlustreichen Tiscali-Konzerns zwar vorerst gesichert. Ein großer Teil davon soll jedoch in den Aufbau eines pan-europäischen Netzwerks, ein weiterer möglicherweise in die Teilnahme an der Ersteigerung der italienischen UMTS-Lizenzen fließen.

Die Übernahme von World Online durch Tiscali signalisiert, wie eng es im europäischen ISP-Markt geworden ist. Derzeit buhlen rund 3000 Anbieter um die Gunst der wachsenden Online-Gemeinde. Hinzu kommt, dass das reine Internet-Zugangsgeschäft angesichts des rasanten Preisverfalls längst nicht mehr lukrativ ist. Die ISPs sind gezwungen, sich nach neuen Einnahmequellen - etwa durch E-Commerce und Werbung - umzusehen.

Nach Einschätzung von Analysten wird auf lange Sicht nur noch eine Handvoll Anbieter übrig bleiben. Der Rest gebe auf oder werde von der Konkurrenz geschluckt - wie jetzt World Online von Tiscali oder der spanische Provider Ya.com von T-Online. Joachim Schlange, Chef von Tiscali Deutschland, sieht das ähnlich: "Wegen der dramatischen Preisentwickung werden viele Anbieter vom Markt verschwinden".

Im italienischen ISP-Markt ist Tiscali die Nummer Zwei - nach der Telecom-Italia-Tochter Tin.it. Als erster Anbieter, der in Italien einen kostenfreien Internet-Zugang einführte, konnte das Unternehmen seinen Kundenstamm in den gerade mal zwei Jahren seines Bestehens von Null auf 2,1 Millionen steigern. Zurzeit hat rund ein Drittel der italienischen Online-Anwender einen Tiscali-Zugang.