IT in der Automobilindustrie/Auftrags- und Projekt-Management bei A. Raymond

Time-to-Market verbessert nach der Devise: Think big - act small

01.09.2000
Beim Befestigungsspezialisten A. Raymond wollte man sich nicht länger an Papier festhalten müssen. Mangelnde Jahr-2000-Fähigkeit einer älteren Software war Anlass, auf ein umfassendes Auftrags- und Projekt-Management-System umzustellen. Klaus Bauer und Pascal Fontaine* berichten über die Einführung.

In einem einzigen Auto befestigen zwischen 500 und 1000 verschiedene Elemente in 200 unterschiedlichen Formen Kotflügel, Innenverkleidungen und vieles mehr. Doch damit nicht genug: Ständig kommen Varianten hinzu. Dabei muss schnelle Lieferbarkeit jederzeit gewährleistet sein.

Bei den in Deutschland montierten Autos stammt die Hälfte der verbauten Clipse, Schellen, Blechmuttern, Stopfen und Tüllen aus dem Dreiländereck Deutschland, Schweiz und Frankreich. Hier entwickelt und produziert der Anbieter von Befestigern A. Raymond an seinen Standorten Lörrach und Weil am Rhein pass- und zeitgenau nach den Vorgaben der Automobilhersteller. Damit alles wie am Schnürchen läuft, arbeiten die an den Verkaufs- und Entwicklungsprozessen beteiligten Bereiche abteilungsübergreifend mit einem Auftrags- und Projekt-Management-System.

Zu den mehr als 6300 bereits existierenden Befestigern kommen in den Werken in Lörrach und Weil am Rhein täglich zwei Neuentwicklungen hinzu. Im Zusammenspiel zwischen Vertrieb, Konstruktion und Qualitätssicherung durchläuft der Entwicklungsprozess von der Anfrage und ersten Lösung bis zur Serienreife einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren. Anschließend muss die Fertigung so geplant werden, dass trotz mehrerer Tausend Auftragsänderungen pro Tag die Lieferfähigkeit gewährleistet bleibt. Einige Auszeichnungen wie der Q-Award von Ford, der Titel Lieferant des Jahres bei Opel und die Formel Q von VW zeugen von zufriedenen Kunden.

Die Anforderungen an einen übergreifenden, DV-gestützten Informationsfluss erfüllte das bis dahin in Lörrach eingesetzte Vertriebsinformationssystem nur bedingt: Es fehlten unter anderem Schnittstellen zu den ERP- und Projektplanungssystemen. Für eine Kommunikation zwischen den Bereichen generierte das System Word-Dokumente, die ausgedruckt und weiter bearbeitet wurden. Die Folge: noch mehr Papier.

Den Anstoß für Geschäftsleitung und DV, sich von dem vorhandenen System zu trennen, gab dessen fehlende Jahr-2000-Fähigkeit.

Mit einer neuen Software bot sich den Lörrachern die Chance, ein System auszuwählen, das durch Workflow-Funktionen das papiergestützte Verfahren ablöst und die Abläufe beschleunigt. Dabei sollte auch die Produktionsstätte in Weil am Rhein einbezogen werden.

Darüber hinaus musste das zukünftige System

-die Geschäftsprozesse abteilungsübergreifend von A wie Auftragsannahme bis Z wie Zulieferung flexibel abbilden und deren Abarbeitung jederzeit transparent darstellen,

-später für ein einheitliches und verknüpftes Projekt-Management auch in den weltweiten A. Raymond-Standorten eingesetzt werden können und

-Daten mit dem ab 2002 international eingesetzten SAP-System integriert verarbeiten.

Geschäftsleitung und beteiligte Fachbereiche entschlossen sich, den Weg zum Ziel über eine individuell angepasste Standardsoftware zu beschreiten. Der Partner für die Entwicklungsarbeit fand sich in der Collogia Unternehmensberatung, Köln.

Ein gemeinsames Projektteam aus zehn Mitarbeitern erfasste die Anforderungen, um die veränderten künftigen Geschäftsprozesse zu definieren. Diese werden in der Projekt-Management-Software der Kölner als Schablonen hinterlegt, die auch alternative Bearbeitungswege und die Regeln zur Pfadbestimmung beinhalten.

An den Definitionsarbeiten waren neben dem Vertrieb auch die Bereiche Konstruktion und Qualitätssicherung maßgeblich beteiligt. Die tatsächlichen Prozesse laufen individuell für jedes Projekt ab und orientieren sich an den jeweiligen Kundenanforderungen sowie den eigenen Möglichkeiten.

Am Anfang steht die Anfrage eines Kunden oder eines Außendienstmitarbeiters mit einer Befestigungsaufgabenstellung. Die einfache Lösung besteht im Rückgriff auf ein bestehendes Teil. Ist das nicht möglich, wird ein Entwicklungsprojekt gestartet, das über mehrere Phasen von der Konstruktion der Lösung, der Angebotserstellung für Prototypen und Serienteile über die Fertigung von Prototypteilen bis zur Anfertigung der Serienwerkzeuge und Beginn der Serienfertigung reichen kann. Die gesamte Planung und Produktion unterliegt ständigen Qualitätskontrollen nach ISO 9000, VDA 6.1 und QS 9000. Es war daher für Raymond von essenzieller Bedeutung, dass das neue System Geschäftsprozesse verwaltet, welche die QS-Vorschriften beinhalten und alle Beteiligten in der Durchführung der Aufgabe durch transparente Darstellung und regelbasierende, individuelle Kontrollmechanismen aktiv unterstützen.

Rechtzeitig zum Jahreswechsel 2000 löste das System im Vertrieb die bisher eingesetzte Software ab. Bei den Transaktionen greift die Software Collinor auf das Raymond-Data-Warehouse zu, das unter anderem Daten aus den PPS-, CAD- und CAQ-Anwendungen verfügbar macht.

Geschäftsprozesse auch international unterstützenFür einen maximalen Informationstransport in kürzester Zeit laufen die Serverkomponenten von Collinor auf einem NT-Rechner mit einem 500-MHz-Dualprozessor und Zwei-Gigabyte-Hauptspeicher. Die Ausführung operativer Aufgaben wird an dezentrale Komponenten "vor Ort" delegiert. In der Praxis heißt das, dass Collinor aus im Netz verteilten Komponenten und Applikationen besteht.

Die Anwender erhalten über eine grafisch interaktive Dialogführung Projektinformationen oder stoßen neue Projekte an. Eine Plantafel mit Gantt-Diagrammen gibt Auskunft über Ressourcenverteilung und Termine (siehe Abbildung).

Aufgaben können kontrolliert, delegiert und Projekte durch mehrere Mitarbeiter simultan bearbeitet werden. Für einen internationalen Einsatz mit gleichen Funktionen lassen sich die Beschreibungen der Benutzermasken in Word-Dokumente exportieren, in eine andere Sprache übersetzen und wieder importieren.

Dem Einsatz im Vertrieb folgten zum Mai 2000 die ersten Installationen in der Konstruktion: Der Zugriff auf das Projekt- und Ressourcen-Management-System bestand bereits über einen Arbeitsplatz, an dem sich die Mitarbeiter parallel zu den bisher eingesetzten Arbeitsmethoden mit den neuen Funktionen vertraut machen konnten.

Den bisherigen Projektverlauf wertet die DV nicht nur aufgrund der positiven Anwenderresonanz als Erfolg. Nach der Devise "Think big, act small" verfolgte das Projektteam sein Ziel von der kleinen, auf einen Bereich beschränkten Implementierung bis zur standortübergreifenden Installation. Auf diese Weise kommen die gesammelten Erfahrungen den weiteren Projektschritten zugute. Die Software soll im Jahr 2001 auch international den Geschäftsprozess von der Auftragsannahme über die Designphase bis zur Serienproduktion unterstützen.

* Klaus Bauer und Pascal Lafontaine sind Projektverantwortliche (Finanzwesen/Controlling) bei der A. Raymond GmbH und Co. KG in Lörrach.

Das HausMit elf Standorten in zehn Ländern ist A. Raymond einer der führenden Hersteller von Befestigungssystemen. Die Produktpalette umfasst 20000 Systemlösungen. Der Jahres-Output beläuft sich auf mehr als fünf Milliarden Teile. Kernmarkt ist die Automobilindustrie. Zu den Kunden zählen unter anderen Audi, BMW, Daimler-Chrysler, Ford, Opel, Porsche, Volkswagen und Volvo. A. Raymond beschäftigt in Deutschland zirka 1000, weltweit 2400 Mitarbeiter.