IBM-Forschern gelang entscheidender Schritt zur Entwicklung von supraleitenden Computer-Chips:

Tiefgekühlte Rechner haben rosige Zukunft

19.06.1987

YORKTOWN HEIGHTS (pi) - Wissenschaftlern am Thomas J. Watson-Forschungszentrum der IBM ist es gelungen, erste supraleitende

Schaltelemente auf Dünnfilmbasis herzustellen, die bei so hohen Temperaturen arbeiten, daß sie von technischer Bedeutung sind. Diese

Entwicklung baut auf Arbeiten von J. Georg Bednorz und K. Alex Müller im Forschungslaboratorium Zürich der IBM auf, die 1986 die Supraleitfähigkeit bei höheren Temperaturen in metallischen Oxiden entdeckten. Hier nun einige Hintergrundinformationen.

Die Supraleitung wurde 1911 von dem holländischen Physiker Kamerlingh-Onnes entdeckt. Er fand heraus, daß bestimmte Metalle, Legierungen und andere metallische Verbindungen bei Abkühlung auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ihren elektrischen Widerstand vollständig verlieren: Elektrischer Strom kann ohne Energieverlust und somit ohne Wärmeabgabe fließen. Da der Widerstand sprungartig auf Null abnimmt, nennt man diese Temperaturen "Sprungtemperaturen". Kamerlingh-Onnes machte die Entdeckung mit Quecksilber, das seinen Widerstand unterhalb von - 2691 C verliert. Auf der absoluten Temperaturskala, beginnend bei 0 Kelvin (K) = -273,2° C, entsprechen -269° C einer Temperatur von 4,2 K.

Widerstand durch Kollision mit Atomen

Eine Theorie für die Supraleitung wurde erst 1957 von Bardeen, Cooper und Shrieffer an der Universität von Illinois gefunden. Fließt in normal leitenden Metallen ein elektrischer Strom, so bewegen sich Einzelelektronen. Der elektrische Widerstand rührt von der Kollision dieser Elektronen mit Metallatomen her. In einem Supraleiter dagegen wird der Strom von Elektronenpaaren getragen. Wenn ein Strom fließt, bewegen sich diese Elektronenpaare parallel zum Strom mit gleicher Geschwindigkeit. Auf diese geordnete Bewegung ist es zurückzuführen, daß sie nicht mit den Atomen des Metallgitters kollidieren und die Leitfähigkeit des Materials unendlich groß wird.

Die Elektronenpaare in Supraleitern werden durch eine indirekte Kraft, nämlich eine schwache Wechselwirkung mit dem sie umgebenden Metallgitter, zusammengehalten. Diese Bindung ist allerdings so schwach, daß schon die Bewegungsenergie der Elektronen bei gewöhnlichen Temperaturen ausreicht, um sie aufzubrechen. Dies ist auch der Grund, warum Supraleitung nur bei tiefen Temperaturen auftritt. Bei der im Züricher Forschungslaboratorium der IBM gefundenen neuen Klasse von metallischen Oxiden ist die Wechselwirkung der Elektronen mit dem Gitter größer, so daß Supraleitung schon früher einsetzt.

Seit der Entdeckung der Supraleitung wurden stetig höhere Sprungtemperaturen bei verschiedenen Metallen beobachtet, doch ging die Weiterentwicklung nur in kleinen Schritten voran. 1973 wurde bei einer intermetallischen Verbindung aus Niob und Germanium erst eine Sprungtemperatur von 23,3 K (etwa -250° C) erreicht.

Der Grund, warum höhere Sprungtemperaturen so wichtig sind, liegt in dem für die Supraleitung benötigten Kühlmittel. Bisher konnten die tiefen Temperaturen nur mit flüssigem Helium, einem seltenen und sehr teuren Gas, erreicht werden.

J. Georg Bednorz und K. Alex Müller vom Züricher Forschungslaboratorium der IBM schlugen bei der Suche nach supraleitenden Materialien mit höheren Sprungtemperaturen einen anderen als den bisher üblichen Weg ein: die Abkehr von intermetallischen Verbindungen zugunsten von metallischen Oxiden. Bei der Analyse von Forschungsergebnissen aus verschiedenen Laboratorien waren sie auf eine Klasse von Oxiden gestoßen, bei denen die für die Supraleitung nötige Wechselwirkung der Elektronen mit dem Gitter größer war. Von 1983 an suchten sie systematisch nach metallischen Oxiden mit hoher Elektronenkonzentration und starken Bindungskräften. Im April 1986 waren sie schließlich erfolgreich: Sie fanden ein Metallisches Oxid aus Barium, Lanthan und Kupfer, bei dem die Supraleitung schon bei 35 K einsetzte - gegenüber den bis dahin bekannten 23,3 K eine bahnbrechende Erhöhung.

Einen weiteren Meilenstein in der Supraleitung stellen jetzt die am Forschungszentrum der IBM in Yorktown Heights hergestellten dünnen Filme dar, die auf den Entwicklungen von Bednorz und Müller aufbauen und bei 87 K supraleitend werden. Die daraus hergestellt en SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices) arbeiten bei 68 K. Bei diesen Temperaturen läßt sich der im Vergleich zu Helium wesentlich billigere flüssige Stickstoff zur Kühlung heranziehen, dessen Siedepunkt bei 77 K liegt, der sich jedoch bis 68 K noch als Kühlmittel verwenden läßt.