Thueringer Mikroelektronik: Chip-Boom bringt Geschaefte

07.07.1995

In die ostdeutschen Silicon-Zentren kommt neue Bewegung. Neben Standorten wie Frankfurt/Oder und Dresden wird seit 1992 auch wieder in Thueringen an der Entwicklung und Produktion von Schaltkreisen gearbeitet. Vor allem in Erfurt und Jena scheint sich ein High-Tech-Potential zu etablieren, das der Mikroelektronik-Region wieder zu Ansehen verhelfen kann.

Thueringen: Dem Dichter Friedrich Gottlob Wetzel war der heutige Freistaat bereits vor zwei Jahrhunderten "mir der liebste Strich in Deutschland". Auch heute scheint hier die Natur noch in Ordnung zu sein: Ein Drittel des mitteldeutschen Bundeslandes ist von gesunden Waeldern bedeckt, und das eher milde Klima locke jaehrlich sogar in Wintermonaten Millionen Besucher an, heisst es.

Derzeit leben in der Region, wo um 470 n. Chr. das Herzogtum Thueringen gegruendet wurde, etwa 2,5 Millionen Menschen in 1700 Gemeinden. Obwohl die Arbeitslosenquote um die 16, 5 Prozent pendelt, stieg laut dem Thueringer Landesamt fuer Statistik das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 11,6 Prozent.

Neben Branchen wie der Holzverarbeitung, Glas- und Porzellan- sowie Textilindustrie ist das Land stolz auf seine Tradition in der Herstellung von Bueromaschinen.

Fuer das zu DDR-Zeiten Anfang der 80er Jahre gegruendete Kombinat Mikroelektronik (1989: insgesamt etwa 60 000 Mitarbeiter) waren allein in der Landeshauptstadt Erfurt etwa 9000 Menschen taetig, davon rund 2000 in der Prozessor- und Speicherfertigung (DRAMs, EPROMs etc.).

Diese Manpower war nach der Wende die Basis fuer den Neustart. Mit Ausgruendungen aus dem ehemaligen Kombinatsverbund entstanden zahlreiche Firmen, die sich einen Platz im Markt suchten.

Zu ihnen gehoert die Erfurter Thesys Gesellschaft fuer Mikroelektronik. Gegruendet 1992 aus dem frueheren VEB Mikroelektronik Karl Marx, zaehlt der Produzent von Schaltkreisen mit rund 500 Mitarbeitern heute zu den erfolgreichsten ostdeutschen Anbietern.

Neben der Entwicklung und Produktion von Chips (TH6205,TH6206) gehoeren zum Hauptgeschaeft der Firma die Entwicklung und Produktion von kundenspezifischen integrierten Schaltungen (ASICs), anwendergerechte Standardprodukte (ASSPs) sowie die Fertigung von Baugruppen anderer Halbleiteranbieter.

Ferner, so die Geschaeftsfuehrer Hans-Juergen-Straub und Claudio Loddo, biete das Unternehmen fuer den multimedialen Bereich Loesungen an, die um 50 Prozent preiswerter seien als traditionelle Systeme. Man habe sich "auf das konzentriert, was wir koennen und mit unseren Ideen andere Architekturen und Technologien genutzt".

Straub, der seit 1982 in der Erfurter Mikroelektronik zu Hause ist, weiter: "Als wir vor drei Jahren in die Marktwirtschaft gingen, schleppten wir keine veralteten Produkte mit." Das ausschlaggebende Potential seien die Fachleute gewesen.

Ein weiterer Vorteil: 1989 hatte das Kombinat noch eine neue Wafer-Fabrik (Waferab) gebaut. Das moderne Fertigungs-Center konnte nach der Wende fuer die Produktion genutzt werden.

Mit den neuen Chips will Geschaeftspartner Loddo - der gebuertige Italiener war bis 1992 Direktor bei LSI Logic Europa, Muenchen, und verantwortlich fuer Vertrieb und Marketing in Osteuropa sowie der ehemaligen DDR - "die Zukunft mitgestalten". Dennoch: Nur mit eigenen Kraeften waere das Ganze wohl kaum zu schaffen gewesen.

Die Thueringer Landesvaeter, interessiert, den Standort und damit Arbeitsplaetze zu erhalten, uebernahmen nicht nur 80,2 Prozent der Firmenanteile - 19,8 Prozent hielt bis dato die amerikanische LSI Logic Corp. -, sondern unterstuetzten den Ausbau des Werks mit 6,9 Millionen Mark.

Bisher wurden rund 80 Millionen Mark in die neue Silicon-Basis im Suedosten Erfurts investiert. Fuer den weiteren Erfolg des ostdeutschen Halbleiterherstellers scheint erst einmal der zur Zeit weltweite Run auf die Siliziumscheiben zu sorgen. Auch wenn Chipfabriken wie Pilze aus der Erde schiessen, was immerhin neue Mitbewerber bedeutet: "Bis dort produziert werden kann, haben wir unsere Position gefestigt", ist das Management optimistisch.

ASICs fuer die kleinen Firmen

Um in Europa "der ASIC-Anbieter Nummer eins" zu werden, praesentieren sich die Erfurter seit dem 4. Juli dieses Jahres in neuer Struktur: 49 Prozent der Firmenanteile bleiben beim Freistaat Thueringen, 51 Prozent haelt kuenftig die Austria Mikro Systeme Internationale AG (AMS) aus Unterpremstaetten. Nach eigenen Angaben ist sie groesster europaeischer Anbieter von zellstrukturierten gemischten (analog/digital) Schaltkreisen mit einem Umsatz im vergangenen Jahr von 158 Millionen Mark. In den Ausbau der Entwicklungs- und Fertigungsstaetten sollen bis 1996 rund 50 Millionen Mark investiert werden.

Eine Ausgruendung aus dem frueheren Kombinat ist auch die X-Fab GmbH, Erfurt. Der Hersteller von Wafern ging 1992 ebenfalls in die Privatisierung. Einziger Gesellschafter ist der belgische Halbleiterproduzent Elex n.V. in Tessenderlo.

Die ostdeutsche Firma mit 100 Mitarbeitern ist das Waferzentrum fuer alle ICs (Integrated Circuits) der Belgier. Unter anderem seien das "mixed-mode ASICs fuer Pkws, Klimaanlagen und Wegfahrsperren", erklaert Werksleiter Volker Winkler.

Die Kapazitaet der Firma - investiert wurden in den letzten drei Jahren etwa drei Millionen Mark, 1995 will man vier Millionen ausgeben - habe man beim Ausbau bereits groesser geplant, um anderen Unternehmen Silicon-Foundary-Leistungen anbieten zu koennen. Nach der finanziellen Unterstuetzung befragt, sagt der Manager: "Wir nutzen spezielle Programme wie die Personalfoerderung. Unser derzeitiger Anteil liegt dabei, gemessen am Umsatz (1994: 12,5 Millionen Mark), bei etwa drei Prozent."

Nachdem man das erste Wendechaos ueberstanden hatte, war 1992 fuer viele Firmen in Ostdeutschland ein Gruendungsjahr.

Ein Produkt dieser Zeit ist auch die Erfurter Mikroelektronik Anwendungszentrum Thueringen GmbH (Mazet). Sie wurde als industrienahe Forschungseinrichtung von der Stadt Erfurt und der Sibeg GmbH, Hannover, initiiert.

Die Anteile am Systemhaus teilen sich seit Anfang Juni dieses Jahres vier Gesellschafter, wobei die Stadt Erfurt 46 Prozent haelt.

Mit Hard-, Software- und IC-Design "realisieren wir elektronische Komponenten und Geraete vom Systementwurf bis zur Serienreife", erklaert Geschaeftsfuehrer Wolfgang Hecker. Und zwar fuer kleine und mittelstaendische Firmen, "um ihnen den Einstieg in die ASICs- Technologie zu erleichtern". Das Know-how des Forschungszentrums wurde 1993 von der Europaeischen Union gewuerdigt: Das 36koepfige Team wurde im Rahmen des Eureka-Programms eines von vier deutschen Jessi-SCC-Service- und Kompetenz-Centern.

Zu den Produkten des Designerhauses gehoeren neben der Entwicklung von Boards und Mikrosystemen auch Dienstleistungen wie Schulung, Support und die "Bildung von vertraglich festgeschriebenen ASICs- Arbeitsgruppen". Im letzten Jahr machte die Firma damit einen Umsatz von 4,2 Millionen Mark.

Jena als neuer High-Tech-Pool

Fuer die Kleinen am Markt engagiert sich seit 1990 auch der CiS Institut fuer Mikrosensorik e.V. Der von Foerdermitteln lebende gemeinnuetzige Verein kuemmert sich um die wirtschaftsnahe Forschung sowie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie. Den 30 Mitarbeitern steht dafuer ein Budge von 4,4 Millionen Mark (Foerdergelder aus dem Landestopf) zur Verfuegung.

Oestlich der thueringischen Landeshauptstadt hat sich ein ehemals grosser Anbieter der DDR wieder stark machen koennen. Als Rechtsnachfolger des einstigen Kombinats Carl Zeiss Jena ist die Jenoptik GmbH in Jena seit 1991 wieder am Markt - und "auf fast allen High-Tech-Bereichen praesent, die Zukunft haben koennten", so Pressechef Joerg Hettmann. Ein Firmenkonzept, das nicht nur Vorteile bringt. Um neue Verfahren und Entwicklungen anzuwenden, "braucht es immer noch zuviel Zeit". Das entscheidene Wort habe hier leider die Buerokratie, und "das gefaehrdet die Wettbewerbsfaehigkeit der Thueringer Hersteller von Spitzentechnologien". Rund 4450 Mitarbeiter brachten dem Konzern im letzten Jahr einen Umsatz von 662 Millionen Mark. Kernstueck der zahlreichen Tochterunternehmen und Beteiligungsgesellschaften der Firmengruppe ist die Jenoptik Technologie GmbH - eine seit 1994 100prozentige Tochter.

Unter dem Leitmotiv "Kompetenz durch Licht" nutze man die Vorteile des Mediums auch in der Mikrofertigungstechnik, heisst es. Beispiele seien der "SLR" (SMIF Lean Robot), der in Reinstraeumen "eine optimale Produktivitaet garantiert", und der "Defectfinder 2000" zur Fehlererkennung auf Silizium-Chips. Obwohl die Technologen 1994 Auftraege fuer 108 Millionen Mark verbuchten, soll das Geschaeftsergebnis eher negativ ausgefallen sein. Grund: die "noch immer zu hohe Gemeinkostenbelastung und enormen Investitionen fuer Forschung und Entwicklung in neue Produkte und Maerkte". Rund um die Grossen der Thueringer Mikroelektronik haben sich zahlreiche kleine Servicehaeuser gegruendet, die ihre Dienstleistungen anbieten und ohne die Hersteller nur schwer auskommen wuerden. Ueber "zur Zeit gute Geschaefte" (1994: 750000 Mark Umsatz) freut sich die Erfurter Dekont Service GmbH. Das aus vier Mitarbeitern bestehende Wartungsteam repariert die Vakuumanlagen der Halbleiterfirmen und bietet Beratung sowie Vertrieb fuer dieses Segment an.

Die Thueringer Mikroelektroniker haben sich trotz vieler Probleme ihre Maerkte geschaffen. Die Gefahren des regionalen Wettbewerbs bewerten sie "nicht kritischer als gegenueber den vielen anderen Firmen weltweit". Wichtig sei es, die Vorteile des gemeinsamen Standorts zu erkennen und vorhandene Ressourcen zu nutzen. Schliesslich "wirbt der Erfolg eines Thrueringer oder ostdeutschen Unternehmens fuer den gesamten Standort".