Thueringer DV-Team: Zertifiziert und fuer gut befunden

07.07.1995

WEIMAR (ms) - Reich an produzierenden Firmen ist die kuenftige Kulturstadt Europas nicht. Das idyllische und konservative Weimar kann zwar auf die fruehere Anwesenheit von Dichtern und Denkern verweisen, deren Andenken den Ort praegen. Doch um die Ansiedlung innovativer Unternehmen ist es schlecht bestellt.

Die Vorschusslorbeeren sind bereits vergeben: 1999 wird Weimar Kulturstadt Europas. Gefoerdert wird das von der Europaeischen Union jaehrlich an eine andere Stadt vergebene Praedikat von Bund und Land mit 383 Millionen Mark. Den warmen Regen kann der etwa 65 000 Einwohner zaehlende Ort gut gebrauchen, denn die Kassen sind leer.

Wenn auch Groessen wie Schiller, Goethe, Herder und Liszt hier lebten und das vertraeumte Staedtchen noch heute aufwerten, von der ehemals hier ansaessigen Industrie ist dagegen nur noch wenig zu spueren. Weder das Uhrenwerk mit seinen frueher rund 6000 Beschaeftigten noch die Hersteller von Landmaschinen konnten sich in die marktwirtschaftliche Aera retten.

Mit dem Foerderschub der EU koennte Weimar aus seinem Dornroeschenschlaf erwachen, meinen einige Thueringer. Sie hoffen auf aktraktive Konzepte fuer die Stadt, die Investoren anziehen und Arbeitsplaetze bringen.

Allerdings passiert da derzeit recht wenig, weiss Wolfgang Hoelzer, Geschaeftsfuehrer der RZW EDV-Beratung GmbH, zu berichten. Als Weimarer vermisse er den innovativen Geist. Die Stadtvaeter beschaeftigten sich zwar recht emsig mit dem kulturellen Erbe, doch wuerde fremden Firmen wenig Mut gemacht, sich hier anzusiedeln. Somit fehlen vor Ort auch die potentiellen IT-Anwender aus den industriellen Bereichen. Hoelzer und sein 25koepfiges Team machen ihre Umsaetze - im letzten Jahr 6,8 Millionen Mark - vor allen in den alten Bundeslaendern.

Seit 1990 ist die RZW - anfangs als Rechenzentrum Weimar GmbH gegruendet - am Markt. Begonnen, so der ehemalige DV-Projektchef des Weimarer Uhrenwerks, haben er und sein Geschaeftspartner Guenter Mnich mit fuenf Mitarbeitern - und "dem Verkauf von Produkten anderer". Als Partner der IBM (AS/400, RS/6000, spaeter PS/2) und verschiedener westlicher Softwareanbieter "fanden wir zu Beginn schnell Kunden und machten gute Geschaefte", erinnert er sich. Allerdings sah man im Anbieten nur fremder Loesungen keine Basis fuer die Zukunft: "Nachdem wir Wissensluecken geschlossen hatten, wollten wir unsere IT-Power in eigene Produkte stecken." Nach zwei Jahren Entwicklungszeit und der Guendung einer Zweigstelle in Gotha lagen die ersten fertigen Projekte fuer den oeffentlichen Bereich auf dem Tisch.

Mehr als 20 selbstgeschneiderte Anwendungen koennen die Thueringer heute anbieten. Neben einem Gesundheits-Informationssystem und einer Software fuer die Verwaltung und den Besitz von Waffen, praesentierte die Firma auf der diesjaehrigen CeBIT ein Beitreibungs- und Vollstreckungssystem "Avviso/400" (fuer AS/400- Nutzer) - "eine bundesweit gefragte Loesung", meinen die beiden Geschaeftsfuehrer.

Die meisten derzeit genutzten Verfahren dieser Art wuerden bei der Berechnung von Versaeumnissen nach zwei bis drei Mahnlaeufen nicht mehr funktionieren. Mit grossem manuellen Aufwand versuchten die oeffentlichen Aemter, diesen Mangel zu beheben. Die dadurch jaehrlich anwachsenden finanziellen Verluste fuehrten zu einer Verschuldung der Kommunen, heisst es.

Das Avviso-Konzept "verbindet die Aufgaben der Vollstreckungsbehoerde mit den Forderungen der Beamten im Aussendienst", erklaeren Hoelzer und Mnich.

Fuer den Vertrieb ihrer Anwendungen haben die Ostdeutschen ein Partnernetz aufgebaut. Da der Markt vor der Haustuer

"viel zu eng und verschlossen" ist, agiert das Team vor allem in Niedersachsen, Baden-Wuerttemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Nach der finanziellen Hilfe aus Foerderprogrammen befragt, meint Hoelzer: "Die Toepfe des Bundesministeriums fuer Forschung und Technologie sind doch leer. Nur ueber die Investitionszulage oder Ausbildung sind noch Mittel zu bekommen." Fuer die neuen Softwarepakete habe man versucht, Foerderung zu erhalten. Allerdings sei man ueber die zahlreichen festgelegten Ausschliesslichkeitskriterien in den staatlichen Programmen nicht hinausgekommen. Software, wenn sie nicht unter dem derzeit aktuellen Schlagwort Multimedia eingeordnet sei, wecke hoechstens das Interesse der Verantwortlichen, bringe jedoch keine finanziellen Zuschuesse. Und so versucht das RZW - zertifiziert nach ISO 9001 - auch weiterhin mit eigener Kaft am Markt zu bestehen. Bisher scheint das zu gelingen. In diesem Jahr hoffen die Weimarer wieder an das gute Ergebis von 1993 anknuepfen zu koennen und einen Umsatz von acht Millionen Mark zu erwirtschaften.