Entscheidend ist die veränderte Unternehmensphilosophie

Theoretisch ließe sich CIM auch ohne Computer machen

24.05.1991

Das Computer Integrated Manufacturing (CIM) wird häufig in erster Linie unter technischen Aspekten betrachtet. Die Technik schafft jedoch, so Klaus Georg Götzer, nur die Basis, um unternehmerische Zielsetzungen wirtschaftlich zu verfolgen. Prinzipiell könnte man CIM auch ohne Computer verwirklichen.

Im allgemeinen wird CIM als die Integration bestehender DV-Systeme (CAD, PPS, CAM, NC, BDE etc.) aufgefaßt. CIM ist aber mehr als ein integriertes DV-System. Letztendlich ist diese Integration nur die technische Umsetzung einer anderen Unternehmensphilosophie und einer veränderten organisatorischen Abwicklung. Ein zentraler Aspekt von CIM ist, das gesamte Unternehmen auf eine neue Zielsetzung auszurichten. Dies ist primär eine unternehmensphilosophische und organisatorische Aufgabe.

Meist steht bei der Formulierung der CIM-Zielsetzung die Wettbewerbssituation im Vordergrund. Ereicht werden sollen:

- eine höhere Flexibilität,

- kürzere Durchlaufzeiten,

- eine Kostensenkung,

- die Steigerung der Qualität,

- höhere Produktivität,

- mehr Transparenz in den Betriebsabläufen,

- kürzere Reaktionszeiten,

- eine bessere Marktanpassung sowie

- eine verbesserte Verfügbarkeit und Aktualität der Information.

Die Veränderung der Unternehmensumwelt forciert den CIM-Gedanken. Es sind vor allem drei Faktoren, die auf das Unternehmen in diesem Zusammenhang einwirken: der Markt, die Mitarbeiter und die Technik.

Der Markt fordert heute qualitativ hochwertige, preisgünstige, schnell lieferbare und auf die speziellen Wünsche des Kunden zugeschnittene Produkte. Bisher können diese Anforderungen nur unzureichend erfüllt werden: So liefert die Serienfertigung zwar rasch preiswerte Produkte, aber die individuellen Wünsche werden auf diese Weise nicht befriedigt. Eine hohe individuell kombinierbare Typenvielfalt verursacht hier meistens lange Lieferzeiten.

Kleinere Unternehmen sind dagegen oft in der Lage, individuell gefertigte Produkte rasch herzustellen - aber nur zu hohen Kosten. Man kann nun einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzielen, wenn es gelingt, die Produkte erstens individuell, zweitens rasch und drittens kostengünstig zu fertigen. Vor allem die Individualisierung des Angebots gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Mitarbeiter wollen mehr Eigenverantwortung

In der Gesellschaft ist gegenwärtig ein Wertewandel feststellbar, der sich automatisch auch auf die Mitarbeiter des Unternehmens erstreckt. Der neue Mitarbeiter wünscht mehr Eigenverantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten; er will nicht mehr als mechanistischer Aufgabenträger gesehen werden, der einer permanenten Kontrolle unterliegt. Durch die Zusammenfassung bisher getrennter Teilvorgänge zu ganzheitlichen Bearbeitungsvorgängen lassen sich im Rahmen von CIM-Konzepten entsprechende Aufgabenstellungen schaffen, die der Mitarbeiter dann eigenverantwortlich abwickeln kann.

Die Weiterentwicklung der DV-Technik ermöglicht einen hochentwickelten Informationsverbund zwischen allen Bereichen des Unternehmens. Jede dem Unternehmen bekannte Information kann praktisch sofort an jeder beliebigen Stelle im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Hinter dem Schlagwort CIM verbirgt sich die Idee einer konsequenten Verbindung der Informationstechnik mit der Produktionstechnik. Durch das gegenseitige Verstärken der drei Einflußbereiche Markt, Mitarbeiter und Technik werden die Unternehmen zunehmend motiviert, sich mit CIM auseinanderzusetzen. Hierbei sollten sie sich aber über die organisatorischen Auswirkungen und Voraussetzungen im klaren sein.

Wesentlich für CIM ist die Orientierung an Vorgangsketten. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus zwei Forderungen: Einerseits soll das Produkt entsprechend den Kundenwünschen individuell gefertigt werden. Daher muß im Extremfall für jedes einzelne Produkt ein neuer Fertigungsprozeß definiert werden. Andererseits soll das Produkt möglichst schnell fertiggestellt werden. Der gesamte Prozeß ist damit Ziel der Optimierung und Beschleunigung.

Mit Hilfe von CIM soll das Unternehmen von der kundenneutralen Großserienfertigung auf kundenbezogene Einzelfertigung beziehungsweise Kleinserienfertigung bis zur "Losgröße 1" umgestellt werden. Dies bedeutet, daß das gesamte Unternehmen auf große technische Flexibilität, hohe organisatorische Reaktionsgeschwindigkeit und kurze Durchlaufzeit ausgerichtet wird.

Sekundär sind dabei Betrachtungen bezüglich optimaler Losgrößen oder Kapazitätsauslastungen, wie sie bisher oft im Vordergrund standen. Logischerweise endet eine Vorgangskette nicht am Firmentor. Es sind schon heute starke Tendenzen zu beobachten, Zulieferer konsequent in diese Prozesse einzubinden.

Ein wesentliches Element der Diskussion ist die Forderung der Mitarbeiter nach abgeschlossenen, eigenverantwortlichen Tätigkeiten. Daraus resultiert die Idee der ganzheitlichen Vorgangsbearbeitung.

Die Grundidee des Taylorismus ist, daß durch eine starke Spezialisierung eine Beschleunigung bei der Bearbeitung der Teilvorgänge erzielt werden kann. Reduzierte Bearbeitungszeiten, geringe Mitarbeiterausbildung und hohe Kapazitätsauslastung führten zu marktentscheidenden Kostenvorteilen.

Inzwischen wandelt sich jedoch die Zielsetzung: Individualisierung des Angebots und kurze Durchlaufzeiten gewinnen Priorität. Zwischen den vielen einzelnen Teilvorgängen entstehen Übertragungs- und Einarbeitungszeiten, die weit über die Hälfte der Gesamtdurchlaufzeit ausmachen können.

Eine entsprechende DV-Integration ermöglicht auch die Integration der Bearbeitungsschritte: Durch die reduzierte Anzahl der Schritte lassen sich Übertragungs- und Einarbeitungszeiten einsparen. Zwangsläufig entstehen dabei wieder größere Teilaufgaben, die dem Mitarbeiter mehr Kompetenz und Verantwortung geben.

Ein Aspekt, der eng damit zusammenhängt, ist die Dezentralisierung der Entscheidungen. Folgende Faktoren spielen hierbei eine Rolle:

- die wachsende Komplexität und die dadurch erschwerten zentralen Entscheidungen,

- die Integration der Vorgangsbearbeitung,

- der Aufbau selbststeuernder Regelkreise und

- das Streben der Mitarbeiter nach Verantwortung.

In diesem Zusammenhang werden oft Produktionssteuerungs-Verfahren wie Just-in-Time und Kanban genannt, die unter bestimmten Voraussetzungen den Aufbau von sich selbst regulierenden Abläufen ermöglichen. Die Integration der Vorgangsbearbeitung führt außerdem zu kleinen organisatorische Einheiten, in denen bestimmte Vorgänge selbständig abgearbeitet werden können. Diese Einheiten können sich unter Beachtung von Rahmenbedingungen und unter Verfolgung der vorgegebenen beziehungsweise vereinbarten Ziele weitgehend selbständig steuern und Entscheidungen treffen.

Das "I" in CIM läßt sich auf zwei Arten interpretieren: Zum einen bedeutet CIM eine Integration der DV-Technik. Bei genauerer Betrachtung stößt man hierbei auf die Notwendigkeit, die Daten der DV-Technik zu integrieren. Dies bedarf oft bereits einschneidender organisatorischer Maßnahmen.

Der Aspekt, der hier vor allem interessiert, ist jedoch die organisatorische Integration. Durch die Integration der Daten, der DV-Technik sowie der Produktionstechnik wird die Integration der Vorgangsbearbeitung möglich und notwendig. Dies bedeutet im Detail die Abkehr vom Taylorismus. Außerdem werden dadurch neue ablauforganisatorische Gegebenheiten geschaffen. Im großen und ganzen bewirkt die Integration der Vorgänge das Zusammenführen bisher vollkommen getrennter organisatorischer Bereiche im Unternehmen.

Der Vorteil einer Integration der Aufgaben liegt nicht nur in der ablauftechnischen Reduzierung der Durchlaufzeit. Der Mitarbeiter erkennt vielmehr auch wieder die Gesamtzusammenhänge, wodurch er sich mit der Aufgabe identifizieren kann und Selbständigkeit sowie Eigenverantwortung gewinnt.

Auswirkungen auf das Management

Die Änderungen in der Unternehmensumwelt bewirken, daß verstärkt in Prozeßketten gedacht wird, daß die starke Arbeitsteilung (Taylorismus) und Entscheidungszentralisierung in den Hintergrund tritt und daß bisher getrennt arbeitende funktionale Bereiche zusammenwachsen. Derartige Ideen können nicht ohne Auswirkung auf die Aufbauorganisation bleiben.

Gegenwärtig orientiert sich der Aufbau - sowohl in der Makro- als auch in der Mikrostruktur - an gleichartigen Funktionen. Danach ausgerichtet sind alle Anreiz-Beitragssysteme, Verantwortlichkeiten etc. Ein Denken und Handeln in Vorgangsketten erfordert jedoch ihm entsprechende Verantwortlichkeiten und Anreiz-Beitragssysteme, weshalb die Aufbauorganisation ebenfalls darauf ausgerichtet werden muß.

Derzeit findet man in den Unternehmen häufig eine sogenannte Matrixorganisation, in der meist die Funktionalbereiche wie Konstruktion und Fertigung dominieren, während die "horizontalen" Projektgruppenleiter starke Durchsetzungsschwierigkeiten haben. Solche Strukturen unterstützen Ziele wie die Erhöhung der Kapazitätsauslastung und die Minimierung der Bearbeitungszeiten, erschweren jedoch die Betrachtung von Gesamtprozessen.

In Zukunft könnten sich die Machtverhältnisse jedoch umkehren. Im Zuge einer sehr starken Betonung der Vorgangsketten gewinnen die Prozesse eine höhere Priorität. Nur dadurch kann letztendlich sichergestellt werden, daß die neuen, an den Vorgangsketten orientierten Ziele erreicht werden.

Indem eigenständig agierende kleine Einheiten entstehen, die durch sich selbst regulierende Regelkreise (beispielsweise beim Kanban-Prinzip) miteinander verbunden sind, reduziert sich die Anzahl der benötigten Koordinations- und Steuerungsfunktionen. Dies bedeutet, daß das Middle-Management einen Teil seiner bisherigen Bedeutung verliert.

Daraus läßt sich weiter folgern, daß es künftig wesentlich weniger Managementebenen geben wird. Aber die Umstrukturierung eröffnet auch neue Chancen: Eine wichtige Aufgabe für das heutige Middle-Management kann darin liegen, die Verantwortung für die Vorgangsketten zu übernehmen. Diese Ketten müssen nämlich implementiert, angepaßt und modifiziert werden. Außerdem sind die Vorgänge in den Ketten permanent zu steuern und zu kontrollieren. Für eine bestimmte Vorgangskette sollte die Verantwortung bei einem so H.-D. Striening - "Process Owner" liegen, der weitreichende Kompetenz und Verantwortung für die Effizienz und Effektivität des gesamten Prozesses hat.

Die Integration verschiedener Aufgabengebiete führt automatisch zu Überlegungen, eine andere aufbauorganisatorische Struktur zu schaffen. Konsequenterweise sollte sich die Aufbauorganisation stärker an den Vorgangsketten orientieren.

Gero Panskus entwickelte folgenden Vorschlag zur Neustrukturierung des Unternehmens: Im Bereich Gesamtlogistik sollten alle planerischen und logistischen Funktionen (PPS) inklusive der Vertriebs- und Beschaffungslogistik vereinigt sein. Der Bereich Produktion ist für alle technischen und organisatorischen Abläufe in seinem Bereich zuständig.

Den Technischen Diensten hingegen obliegen die permanente Technologieanpassung sowie die Qualität der Produkte und der Produktion. August-Wilhelm Scheer stellte ebenfalls eine derartige Funktion vor unter der Bezeichnung CIM-Designer.

In der Administration schließlich findet man die üblichen Aufgaben wie Buchhaltung, Controlling, Kostenrechnung, Personalwesen und "zentrale Informatik-Koordination". Die Aufbauorganisation orientiert sich sicher stärker an den "Vorgangsketten"; aber die zentrale Vorgangskette "Produkterstellung" läuft quer durch alle Bereiche, so daß dieser Ansatz keine grundsätzliche Problemlösung bringt.

Hier besteht also weiterhin eine Herausforderung an die Organisatoren in der Wissenschaft und in der Praxis.

Möglicherweise wird ein neuer Typ von Unternehmen entstehen, ein Unternehmen, das einerseits geprägt ist durch die geänderten Ansprüche der Menschen als Konsumenten und Mitarbeiter, andererseits durch die Möglichkeiten einer neuen Technologie der Informationsverarbeitung. Typisch für ein solches Unternehmen sind folgende Eigenschaften:

- Es gibt kleine, flexible Organisationseinheiten, die weitgehend eigenverantwortlich handeln und durch übergeordnete Rahmenbedingungen und Zielvereinbarungen an das Gesamtunternehmen gebunden sind.

- Das Unternehmen selbst ist sehr stark an den Produkten ausgerichtet: Die primäre organisatorische Ausrichtung wird durch die Prozesse bestimmt.

- Die informationstechnische Infrastruktur schafft die Voraussetzung für eine durchgängige und rasche Versorgung aller Teile des Unternehmens mit Information, um ein Maximum an Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit zu erreichen.

- Durch ein höheres Maß an Selbststeuerung, Eigenverantwortung und Zielorientierung der Mitarbeiter sowie der Organisationseinheiten wird der Bedarf an steuernden und koordinierenden Einheiten geringer. Daher wird die Hierarchiepyramide flacher werden.

Es gibt allerdings auch eine andere Version des "CIM- Unternehmens". Danach wird das Unternehmen durch eine

Rechnerhierarchie zentral durchgesteuert. Eine Kaskade von Rechnern sorgt dafür, daß an jeder Stelle im Unternehmen sofort die entsprechenden Informationen und Anweisungen zur Verfügung stehen. Individuelle Entscheidungsspielräume gibt es dann nicht.

In dieser Vision, die zum Beispiel von Hans Martin und Niels Beckenbach geschildert wird, findet man in den Werkhallen NC-gesteuerte Werkzeugmaschinen, automatische Förderzeuge und Roboter; Menschen werden nur noch zur Pflege, Wartung und Reparatur der Maschinen benötigt. Die Masse der Arbeiter ist also dequalifiziert; es gibt nur noch wenige hochqualifizierte Fachkräfte zur Reparatur der Maschinen.

Die moderne Technik bietet im Prinzip auch die Möglichkeit, ein Unternehmen zu realisieren, das so aussieht wie oben beschrieben. Ob sich aber solche Ansätze generell durchsetzen werden, ist zweifelhaft, denn ein solches Unternehmen besitzt nicht die nötige Flexibilität, um sich den ständig wechselnden Anforderungen des Marktes anzupassen. Außerdem entsprechen die Arbeitsbedingungen nicht den Erwartungen, die hochqualifizierte Mitarbeiter an ein Unternehmen stehen. Es kann aber durchaus sein, daß sich derartige Unternehmen in bestimmten Märkten durchsetzen.

Bei der Betrachtung der organisatorischen Aspekte von CIM fällt auf, daß viele der hier diskutierten Punkte schon früher, meist im Zusammenhang mit DV-Einführungen, genannt wurden. So wurde das Denken in Prozeßketten bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um das "Büro der Zukunft" eingeführt.

Tatsächlich eigenen sich die modernen Systeme im Büro (LAN, Datenbanken, PC und Workstations) bereits für eine ganzheitliche Vorgangsbearbeitung. Auch die Dezentralisierung der Entscheidungen wird seit langem angekündigt und mit ihr die Ausdünnung des sogenannten "mittleren Managements".

Tatsächlich eingetroffen sind diese Phänomene bisher erst relativ selten. Ursachen hierfür könnte sein, daß der Durchsetzungsprozeß in den Unternehmen wegen der historisch gewachsenen Strukturen länger dauert als angenommen und die erwarteten Vorteile dieser technisch-organisatorischen Innovationen keine genügend hohe Motivation für deren Durchsetzung durch die Unternehmensleitung darstellen. Aber auch die "negativen" Folgen, die schon lange befürchtet werden, sind bisher nicht in signifikantem Umfang eingetroffen.

Die Quantität schlägt in Qualität um

Viele Fragen bleiben bislang offen, beispielsweise die nach den neuen aufbauorganisatorischen Strukturen oder nach dem Verhältnis zwischen dem neuen "Vorgangsketten-Management" und der bestehenden funktionsorientierten Unternehmensführung. Eines ist jedoch ziemlich sicher: Die "Quantität" der neuen Anforderungen, die sich aus dem Wertewandel sowie den daraus resultierenden Bedürfnissen der Kunden und Mitarbeiter ergeben, hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, daß sie in eine neue "Qualität" umschlagen wird.

Diese neue Qualität findet ihren Niederschlag in gewandelten Unternehmen, die vorgangsorientiert, flexibel und dezentralisiert agieren.