Thema der Woche

Thema der Woche Novell plant die Zukunft mit Partnern

12.02.1999
Innerhalb von knapp zwei Jahren hat der ehemalige Sun-Manager Eric Schmidt aus der angeschlagenen Networking-Company Novell wieder ein profitables Unternehmen gemacht. Mit dem CEO und Chairman of the Board diskutierte CW-Redakteur Jürgen Hill über den künftigen Kurs des Unternehmens und seine Stellung im Markt.

CW: Sie sind nun fast zwei Jahre bei Novell. Anfangs reduzierten Sie die Zahl der Mitarbeiter und fokussierten die Company auf ihre Kernprodukte. Wo sehen Sie nun Ihre Hauptaufgabe?

SCHMIDT: In der ersten Phase ging es mir darum, das Unternehmen zu stabilisieren, im zweiten Abschnitt will ich ein neues Wachstumsumfeld aufbauen. Die Kronjuwelen unseres Unternehmens sind dabei die Novell Directory Services (NDS).

CW: In welcher Phase befindet sich das Unternehmen gegenwärtig?

SCHMIDT: Den Turnaround haben wir geschafft, die letzten fünf Quartale schrieben wir schwarze Zahlen. Zudem besteht das Management zu 50 Prozent aus neuen Mitarbeitern, die den gewandelten Kurs mittragen. Nun müssen wir weiter neue Produkte auf den Markt bringen und Partnerschaften schließen.

CW: Also Kooperation statt Konfrontation?

SCHMIDT: Der Glaube, sich nach der Übernahme von DR- DOS und Wordperfect ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Microsoft liefern zu können, war ein Fehler. Unsere Anwender sind gleichzeitig auch Microsoft-Kunden. Und sie haben nur einen einfachen Wunsch: Ihre Netze sollen funktionieren. Um dies zu gewährleisten, setzen wir in unserem Geschäftsmodell stark auf Partnerschaften. Nehmen Sie nur die Kooperation mit Unternehmen wie Lucent, Cisco, Nortel und anderen als Beispiel. Ziel ist es, Directory-fähige Produkte zu entwickeln, die die Leistung der Netze verbessern. Verzeichnisdienste weisen auf Orte im Netz hin, an denen Anwender ihre Informationen, ihre "digital assets", speichern.

CW: Sie hatten letztes Jahr im Interview mit der CW die Möglichkeit eines Franchise-Modells angedeutet. Wie ist der aktuelle Stand?

SCHMIDT: Bevor wir ein Franchise-Modell anbieten können, mußten wir das Ansehen unseres Markennamens wiederherstellen. Entsprechend konzentrierten wir uns auf die pünktliche Auslieferung von Netware 5.0. Hätten wir dies nicht geschafft, hätte es geheißen, Novell hat das Internet verschlafen. Die Auslieferung von Netware 5.0 mit seiner nativen IP-Implementierung hatte also oberste Priorität. Darauf bauen wir nun Applikationen auf, die einen Mehrwert bieten. Zudem konzentriere ich mich darauf, Netware 5.0 in sehr kleine und kostengünstige Pakete aufzuteilen, um das Geschäft mit kleineren Anwendern zu revitalisieren. Ein Franchising könnte ich mir am ehesten auf Basis der NDS vorstellen.

CW: Novell ist sehr stolz auf seine, eigenen Angaben zufolge, schnellste Java Virtual Machine. Programmieren die Entwickler nun für Java oder für die Netware Loadable Modules (NLMs)?

SCHMIDT: In der Praxis tun sie beides. Vor einem Jahr sprach ich hauptsächlich über Java. Heute spreche ich auch über C. Die Java- Gemeinde wächst leider nicht so schnell, wie ich mir das wünschte. Es gibt solide Software, die auf C basiert, so daß die Leute nicht von heute auf morgen mit dieser Welt brechen. Als Konsequenz haben wir zusätzliche Tools entwickelt, die dem NLM-Entwickler, der in C programmiert, bei seiner Arbeit helfen.

CW: Wir sprachen gerade über Entwickler. Wie stehen Sie eigentlich zur Open-Source-Bewegung?

SCHMIDT: Ich mag die Open-Source-Community, da sie sehr innovativ ist. Zudem habe ich als Student an BSD-Unix mitgearbeitet. Allerdings glaube ich die euphorischen Berichte, wonach die Zukunft der Open-Source-Bewegung gehört, nicht. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Der Anwender wird immer Hersteller zur Unterstützung brauchen. Dies wird aber nicht, wie vor kurzem noch befürchtet, nur ein einziger Hersteller sein. Als Unternehmen Novell haben wir noch keine Entscheidung in Sachen Open-Source- Code gefällt. Amerikanische Presseberichte, die etwas anderes behaupten, kann ich nur mit einem Schmunzeln kommentieren. Was wir getan haben, ist, die NDS an Caldera zu lizenzieren. Zudem stehen wir in Verhandlungen mit anderen Linux-Distributoren.

CW: Sie betonen immer wieder die zentrale Bedeutung der NDS. Wohin geht die Entwicklung?

SCHMIDT: Die Zukunft der NDS heißt Skads (Scalable Kick Ass Directory Service), so der Arbeitstitel. Vereinfacht ausgedrückt ist Skads eine etwa 1000mal schnellere Version der NDS. Zudem skaliert sie aufgrund der anderen Datenbank-Engine besser als die NDS.

Konnte ein Anwender mit den NDS rund eine Million Einträge verwalten, verarbeitet Skads auf dem Papier eine Milliarde Objekte. Das ist aber ein Wert, den wir in der Praxis noch nicht überprüft haben. Damit liefert Novell in zwei bis drei Wochen mit der "NDS Version 8" - so der Produktname - einen Verzeichnisdienst, der den Anforderungen von Großunternehmen, Telefongesellschaften oder Internet-Service-Providern gerecht wird, die Millionen von Kunden haben.

Für diese brauchen sie viele Einträge etwa zu Rechnungen, Adressen, Telefonnummern etc. Ferner werden wir die NDS weiter auf andere Plattformen portieren.

CW: Und wie sieht diese Zukunft in einer von Jini geprägten Netzlandschaft aus?

SCHMIDT: Novell integriert Jini in künftige Versionen von Netware sowie in die NDS. Das ist kein Problem, da Jini aus 100 Prozent Pure-Java-Code besteht. Zudem pflegten wir von Anfang an einen engen Kontakt zu Sun. Außerdem habe ich zu Jini ein besonderes Verhältnis: Ich war Executive bei Sun, als das Jini-Projekt gestartet wurde.

CW: Welche Rolle hat ein Netware-Server in Jini-Umgebungen?

SCHMIDT: Hier müssen Sie differenzieren. Ich spreche genaugenommen nicht von Netware, sondern den NDS. Jini wird unsere Directory- Services als Back-end-Dataobject-Store verwenden. Weil Jini selbst über keinen Verzeichnisdienst verfügt, benötigt es einen solchen Service, um alle Java-Applets abzulegen. Zudem müssen sich die Geräte im Netz ja irgendwo registrieren. Das übernehmen beispielsweise die NDS. Dabei ist es egal, ob sie auf NT, Unix oder Netware laufen. Ich glaube aber, daß es Netware sein wird, da die NDS hier am schnellsten sind. Wir können aber auch damit leben, wenn ein Anwender NT oder Unix bevorzugt.

CW: Jini benötigt also zwingend die NDS?

SCHMIDT: Nein, Jini setzt nur einen Directory-Lookup-Service voraus. Das kann jeder mit dem Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) konforme Dienst sein. In der Praxis sind dafür aber unsere NDS prädestiniert, da sie ja hervorragend skalierbar sind, wie ich bereits erläutert habe. Dies weiß man auch bei Sun.

CW: Das klingt alles plausibel. Wie überzeugen Sie aber Großunternehmen davon, Ihren Verzeichnisdienst zu nutzen, wenn ihn Applikationen wie Notes nicht unterstützen?

SCHMIDT: Ich würde es gern sehen, wenn Lotus die NDS unterstützt. Jeder Hersteller ist uns willkommen. Aber selbst wenn eine Company nicht auf die NDS setzt, so dürfte sie zumindest das LDAP implementieren. Das wäre der kleinste gemeinsame Nenner, um einen Teil der NDS-Funktionalität zu nutzen. Als Netzwerk-Infrastruktur- Company verfolgt Novell das Ziel eines Full-Service-Directorys mit Vererbung etc. Aber dies ist technisch zu kompliziert, um es gegenüber dem Durchschnittskunden zu vertreten.

CW: Wie erklären Sie es dann?

SCHMIDT: Unsere Antwort lautet deshalb: Mit der NDS sind Applikationen realisierbar, die Sie anders nicht verwirklichen können. Zudem interessiert die Anwender nicht die Technologie, sondern die Lösung. Ein Beispiel hierfür ist "Zenworks". Den Anwendern ist es egal, daß das Produkt auf den NDS aufsetzt. Für sie ist es wichtig, ein Tool zu haben, das die Softwaredistribution und das Desktop-Management vereinfacht. Unter diesem Aspekt liefern wir in diesem Jahr noch weitere Zenworks- Produkte aus, die etwa das Management von Routern vereinfachen oder die Zuweisung von Netzbandbreiten für Videokonferenzen erlauben. Die Applikationen sind wichtiger als der Vergleich zwischen Windows NT und Netware als Netz-Betriebssystem.

CW: Dennoch wird Netware an Windows NT gemessen. Welche Konsequenzen hat die Verzögerung von Windows 2000 für Novell?

SCHMIDT: Es wäre besser, wir hätten ein konkretes Erscheinungsdatum, dann könnten wir und die Anwender endlich planen. Durch die Brille eines Konkurrenten gesehen hat es aber auch Vorteile: Wir haben mehr Zeit, unser Networking-Modell zu etablieren. Insgesamt schadet es aber letztlich der IT-Industrie. Ich versuche deshalb immer von spezifischen, realistischen Auslieferungsterminen zu reden. So bringt Novell im Mai die nächste Version von NDS for NT mit voller IP-Unterstützung heraus. Diese läuft komplett auf Windows NT. Wann wir aber Microsofts Verzeichnisdienst Active Directory unterstützen, kann ich aus naheliegenden Gründen nicht sagen. Letztlich ist es für einen Hersteller, besonders als Infrastruktur-Provider, wichtig, Produkte pünktlich auf den Markt zu bringen, um Vertrauen zu erhalten und zu gewinnen.

CW: Paßt für den Infrastruktur-Provider Novell "Groupwise" noch in das Konzept?

SCHMIDT: Aber natürlich, Groupwise ist ein exzellentes Beispiel für eine Directory-verbundene Applikation. Die Zahl der Anwender steigt jeden Monat um 50 Prozent.

CW: Wenn ich aber die weltweiten Verkaufszahlen anschaue, scheint Exchange schneller zu wachsen. Laut IDC verkauften sich "Notes" und "Exchange" 1998 über zehn Millionen Male, während Groupwise irgendwo bei acht Millionen lag.

SCHMIDT: Das ist falsch. Absolut falsch. Das ist das übliche Spiel mit Marketing-Zahlen. Hier wird teilweise jede Auslieferung gezählt, egal ob Exchange dann tatsächlich verwendet wird. Es ist darauf zu achten, daß es sich um echte, genutzte Lizenzen handelt.

CW: Was tun Sie, um Groupwise zu fördern?

SCHMIDT: Nichts. Groupwise wächst hervorragend. Für ein Produkt, das keine Marketing-Unterstützung bekommt, ist das phänomenal. Groupwise ist primär als E-Mail-System mit Dokumenten-Management- Funktionalität konzipiert. Notes dagegen ist eine komplexe Plattform, deren Einführung sehr teuer ist.

CW: Mit welcher Konsequenz?

SCHMIDT: Anwender, die Notes einmal installiert haben, bleiben bei Notes. Allerdings sind die Kosten für Notes nach einer Analyse von Gartner über fünf Jahre berechnet achtmal höher als bei Groupwise. Letztlich installieren viele User Notes, weil es bereits an anderer Stelle im Unternehmen eingeführt ist oder sie eine der Funktionen benötigen, die Groupwise oder Exchange nicht offerieren. Bei Exchange ist das dagegen anders. Viele Benutzer bekommen Probleme, weil dieses Produkt auf der Domain-Struktur von Windows NT nicht gut funktioniert. Letztlich sind das Kunden für die NDS for NT, die diese Schwächen beheben. Solange Microsoft kein Auslieferungsdatum für Windows 2000 und das Active Directory nennt, verdienen wir daran sehr gut.

CW: Wie sieht es grundsätzlich mit der finanziellen Seite von No- vell aus?

SCHMIDT: Wir haben im Geschäftsjahr 1998 einen Umsatz von 1,084 Milliarden Dollar erzielt gegenüber 1,007 Milliarden im Vorjahr. Noch erfreulicher ist, daß der Gewinn im letzten Jahr bei 102 Millionen Dollar lag, verbuchte doch Novell davor einen Verlust von 78 Millionen Dollar.

CW: Und welches Produkt ist die Cash-cow des Unternehmens?

SCHMIDT: 60 Prozent des Umsatzes kommen von Netware. Dabei trägt vor allem Netware 4.0 zum Umsatz bei. Der Anteil der Version 3 fällt dagegen stark. Erfreulich ist auch die Entwicklung bei Netware 5. Bereits in einem Jahr dürften wir das Gros unserer Einnahmen damit erzielen. Ansonsten erwirtschaften wir zehn Prozent des Gesamtumsatzes mit Services und Consulting. Die restlichen 30 Prozent entfallen auf den Applikationsbereich mit Groupwise, "Managewise" oder "Bordermanager".

CW: Warum hat Novell zehn Prozent seiner Aktien zurückgekauft?

SCHMIDT: Die Erklärung ist einfach, wir hatten zuviel Geld. Wenn ein Unternehmen wächst und profitabel ist, hat es das Problem, das Geld wieder loszuwerden. Entweder es kauft seine eigenen Aktien, oder es übernimmt andere Firmen. Akquisitionen boten sich aber nicht an, da in meinen Augen die Preise zu hoch und der Gegenwert zu niedrig waren.