Software-Komplexität bei Staatsstellen

Teure Software-Pannen bei Vater Staat

08.10.2015
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Dr. Johannes Bohnet ist Gründer von Seerene. Vor seiner Arbeit bei Seerene war Bohnet als Senior Consultant bei einem renommierten IT-Beratungsunternehmen tätig. Zudem leitete er den Bereich "Automatisierte Software-Analyse und Visualisierung" am Hasso-Plattner-Institut, dem deutschen Exzellenzcenter für Software Engineering.
Staatliche Einrichtungen sind in vielfältiger Weise auf Software angewiesen und betreiben damit zahlreiche kritische Systeme. Umso mehr Aufwand, Kosten und Risiken bedeuten Softwarefehler, die leider an der Tagesordnung zu sein scheinen. Ursächlich dafür sind häufig die hohen Anforderungen, viele Anpassungen und der komplexe Aufbau der betreffenden Systeme.
Die Bundesagentur für Arbeit sei hier nur sinnbildlich für viele Behörden, bei denen es immer wieder zu teuren Software-Pannen kommt.
Die Bundesagentur für Arbeit sei hier nur sinnbildlich für viele Behörden, bei denen es immer wieder zu teuren Software-Pannen kommt.
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Wenn es um die Berechnung von Renten, die Erhebung von Steuern oder die Verwaltung von Millionen Nutzerprofilen geht, steht einiges auf dem Spiel und kommen komplexe Anforderungen zum Tragen.
Nur wenige Systeme

  • erfordern die Verarbeitung so immens vieler Daten,

  • blicken auf derart viele Schnittstellen,

  • benötigen solch häufige Anpassungen und

  • bedürfen dabei eines so hohen Levels an Sicherheit,

wie Softwaresysteme im Staatsdienst.
Diese sind nicht nur ungemein komplex und weit verzweigt, sie sind auch der Gatekeeper zu hochsensiblen und bedeutungsvollen Daten, deren Verarbeitung für den Staat mit Millionen an Steuergeldern verbunden ist. Umso wichtiger ist es also, dass diese Software-Bausteine reibungslos und fehlerfrei funktionieren.

Denn wie teuer und weitreichend Fehler in solchen Systemen ausfallen können, erfuhr unter anderem das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn, das zuletzt gleich eine ganze Pannenserie aufgrund fehlerhafter Software hinnehmen musste.

So erhielten bundesweit 28.787 Arbeitnehmer falsche Bescheide, in denen diese rückwirkend zum 01. Januar aus anderen Steuerklassen in die höchste Steuerklasse I für Unverheiratete gestuft wurden. Dies führte bei einigen der Betroffenen sogar dazu, dass sie im Juli kein Gehalt erhielten. Zwar versuchte das Bundeszentralamt Ende Juli das Problem mit einer Datenbereinigung in den Griff zu bekommen, doch wenngleich der Beziehungsstatus der Betroffenen zwar wieder auf "verheiratet" zurückgestellt wurde, landeten einige Tausend statt in der günstigen Steuerklasse III in der Steuerklasse IV.

Es gelang letztlich also nur, einen Teil des Problems in den Griff zu bekommen, während den Finanzbeamten gleichzeitig ein erheblicher Mehraufwand entstand, weil die Beamten bereits händisch einige der Steuerklassen korrigiert hatten, die mit der Datenbereinigung wieder überschrieben wurden. Dass der Fiskus mit entsprechenden Schadenersatzforderungen rechnen muss, darf als sehr wahrscheinlich gelten.

Von Ländern bis Bund: Softwaresysteme sind eine Herausforderung

Und Probleme dieser Art bleiben beileibe kein Einzelfall. Technische Probleme hatten bereits im April dieses Jahres für Chaos bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gesorgt. Das zentrale IT-Netz funktionierte nicht wie gewünscht und legte dadurch Arbeitsagenturen und Jobcenter im ganzen Land lahm. Mitarbeiter aller Dienststellen hatten - vermutlich aufgrund einer Softwareaktualisierung - keinen Zugriff auf die zentral laufende Software und konnten weder Stellenanzeigen abrufen, noch intern dokumentieren, oder E-Mails empfangen.

Im August konnte derweil das Statistische Bundesamt feststellen, dass mehr Menschen auf die Grundsicherung mittels Hartz IV angewiesen sind - wie viele genau blieb dem Amt jedoch verborgen, weil ein Softwarefehler die Auslesung der exakten Zahlen für das erste Quartal verhinderte. Zustande kam der Fehler, weil die Grundsicherung bis dato jährlich von den Landesämtern erfasst wurde, seit diesem Jahr allerdings auf eine vierteljährliche zentrale Erfassung vom Bundesamt umgestellt werden sollte. Nur dass die entsprechende Software die Umstellung der Erhebung offensichtlich nicht korrekt ermöglichte.

So lassen sich aufgrund der Allgegenwart von IT mit kurzer Suche schnell zahlreiche Softwarefehler bei staatlichen Institutionen finden und dies auf allen Bundesebenen, zumal Software von Bund über Länder bis zu den Kommunen eine zentrale Rolle spielt. Auch die Stadt Köln musste erst kürzlich eine Software-Panne einräumen, bei der rund zehn Prozent der 50.000 für städtische Kinderbetreuung verschickten Mitteilungen fehlerhaft ausgesendet worden waren.

Eltern war nach einer kurzfristigen und politisch bedingten Änderung der Elternbeiträge ermäßigtes Essen in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen nicht angerechnet worden. Gleichzeitig mussten Eltern, die keine Einkommensnachweise vorgelegt und sich stattdessen selbst in die höchste Einkommensgruppe eingeordnet hatten, nun doch entsprechende Einkommensunterlagen einreichen, weil sie vom System falsch ausgewiesen wurden.

Und während es in Nordrhein-Westfalen Eltern waren, die sich in diesem Sommer mit Software-Tücken herumschlagen mussten, betraf IT-Komplexität in Schleswig-Holstein vor allem Verwaltungsbeamte. Denn dort war die Landeshauptstadt Kiel gezwungen, bei der Umstellung seiner Verwaltung auf moderne Computertechnik einen erneuten Rückschlag hinzunehmen. Schon länger verzögert sich die Einführung eines Personalverwaltungsprogramms und auch ein Programm zur Abrechnung von Krankheitskosten an dem die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein gemeinsam bereits seit vier Jahren arbeiten, verzögert sich zusehends, weil der zuständige IT-Dienstleister wegen Problemen bei der Entwicklung mit der Entwicklungsarbeit nicht hinterherkommt.

Entsprechend wenig bleibt von den vier Millionen Euro, die man im Kieler Ministerium 2016 einsparen wollte.So sind die avisierten Kosten des Projekts doch bereits von 2,2 auf 4,4 Millionen gestiegen, zu denen nun noch einmal einige hunderttausend Euro hinzukommen werden.

Hohe Komplexität und Anpassungen erhöhen Fehlergefahr

Die Ursachen solcher Softwarepannen sind freilich vielfältig und es lässt sich oft nur spekulieren, was im individuellen Fall den Ausschlag gab. Dennoch lässt sich aber ganz grundlegend feststellen, dass staatliche Stellen aufgrund der sehr hohen Software-Komplexität, die ihren Anwendungen zugrunde liegt, in besonderem Maße anfällig für Softwarefehler sind.

Mit jeder Gesetzesänderung können zusätzlich zu den vielfältigen Aufgaben der betroffenen Software neue Anforderungen entstehen. Ohnehin verkomplizieren zahlreiche Schnittstellen zu eigenen Zweigstellen, anderen Ämtern, Dienstleistern oder Kunden den Aufbau der Software, sollen die vielfältigen Anwendungsfälle akkurat berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass sich mit dem Technologiewandel auch Neuerungen ergeben, auf die reagiert werden muss. So wurde Berlin etwa von einer Diskussion um Ämter-Termine erfasst, nachdem Programmierer Dienste entwickelt hatten, die frei werdende Termine registrierten, buchten und anschließend im Internet gegen Geld anboten.

Alles in allem müssen also ungemein viele Eventualitäten bedacht werden, während es gleichzeitig erforderlich ist, umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, insofern hochsensible Daten den Kern der meisten staatlich eingesetzten Softwaresysteme ausmachen. Entsprechend komplex gerät der Aufbau von Software im Staatsdienst, zumal es häufig auch nicht funktioniert, diese Anforderungen mit Standardsoftware umzusetzen. Stattdessen werden, wie etwa im Fall der Kieler Personalverwaltungsprogramme, entweder speziell für den jeweiligen Fall programmierte Lösungen beauftragt oder mehrere bestehende Software-Tools miteinander kombiniert. All dies produziert einen hohen Aufwand - sowohl in der Erstellung, als auch in der Wartung und der späteren Anpassung - und erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit.

Software-Management schafft Abhilfe

Angesichts all dieser Umstände nimmt das Thema Software-Management bei Softwaresystemen in Ämtern und Staatsstellen eine umso wichtigere Rolle ein. Für die jeweiligen Akteure ist es von zentraler Bedeutung, die "Großwetterlage" ihrer gesamten Systemlandschaft und die Softwarequalität anhand eigener Qualitätsmaßstäbe und -kriterien im Blick zu behalten.

Es gilt, die Lage der Systeme behördenweit und einheitlich zu überblicken und Softwareentwicklungsprozesse effizienter zu managen, um eine optimale Grundlage für schnelle und fundierte Entscheidungen zu besitzen. Dazu gehört auch die Bewertung der eigenen Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Risikominimierung, um bei kritischen Situationen volle Handlungsfähigkeit sicherzustellen und Ursachen, Fortschritte oder Bremsfaktoren glaubwürdig beurteilen zu können. Denn gerade hochkomplexe verschachtelte Funktionen mit hoher Änderungsfrequenz erweisen sich für gewöhnlich als wahre Produktivitätsbremsen und Kostentreiber. Und im schlimmsten Fall als Startpunkt für weitreichende Softwarefehler. Eine zuverlässige Projektkalkulation erschweren sie ohnehin.

Gleichzeitig sind für staatliche Stellen Compliance- und Dokumentationspflichten von besonderer Bedeutung. Es bedarf jederzeit einer genauen Übersicht über Risiken und Hürden der Softwareentwicklung und -Wartung. Quasi eines "Frühwarnsystems" für Regelverstöße. Und da es sich bei vielen der im Staatsdienst verwendeten Software-Lösungen um Eigenentwicklungen handelt, wird es darüber hinaus wichtig, die Zukunftsfähigkeit der eigenen Systeme zu gewährleisten, um es nicht mit so genannter "Legacy-Software" zu tun zu bekommen, die nach langer Betriebsdauer ein umfangreiches "Vermächtnis" mit sich bringt und deren Einfluss das Manager Magazin ausführlich beleuchtet hat.