Automobilhersteller läßt seine Programme automatisch prüfen

Testdateien werden bei BMW jetzt mit ESC-Tools generiert

16.02.1990

Automobilhersteller profitieren im besonderen Maße auch davon, daß sie nicht für jedes

Auto das Rad neu erfinden müssen. Warum also nicht auch in der DV dafür Sorge tragen, daß zum Beispiel Testdateien nicht jedesmal von Hand aus neu zu stricken sind? BMW in München hat sich letztes Jahr entschieden, durch den Einsatz von Programmierer-Produktivitätstools diesen Bereich der hauseigenen Datenverarbeitung weitestgehend zu automatisieren.

Rund 2000 produktive Datenbanken und Indizes sind bei der BMW AG im zentralen Rechenzentrum (ZRZ1) in München im Zugriff - von der Teileverwaltung bis hin zur Fakturierung des schnellen Traumautos vom Typ BMW 735i wird mit ihnen im Online-Betrieb von 6 bis 23 Uhr und im nächtlichen Batch gearbeitet.

Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die Entwickler von Programmen, die für neue Anwendungen neue Datenbanken erstellen oder auf bereits bestehende Datenbestände zugreifen müssen.

Der übliche Weg zum Aufbau einer Testdatei für das Anwendungsprogramm besteht darin, für die Extraktion von Daten aus einer Datenbank ein Programm zu schreiben, zu testen und die Ergebnisse zu überprüfen. "Dabei geht schon leicht ein Arbeitstag drauf", meint Datenmanagementberater Michael Brunner. Dazu kommt, daß ein PL/1-Programm nicht sonderlich flexibel ist, sondern nur für einen ganz speziellen Fall seine Aufgabe erfüllt. Auch bei kleinen Änderungen begann also die Prozedur mit Editieren, Compilieren und Linken von vorne.

Insbesondere in der Phase der Prüfung neuer Programme mit Testdateien ermittelten die BMW-Systemspezialisten einen Bedarf zur Automatisierung: Zum Aufbau einer für diese Läufe notwendigen Testdatei als Extrakt aus vorhandenen

Produktionsdatenbanken war es gelebte Arbeit, diese Testdatei mühsam "per Hand und Bit für Bit" zu generieren. Gefordert wurden Tools, die über Parameter in einer Selektionsdatei geändert werden können.

Das seit Ende letzten Jahres auf dem IBM-System 3090 installierte Tool IMS-XPERT von der ESC European Software Company verbessert bei BMW die rationelle Testabwicklung. Im gleichen Zug ist auch ein inhaltliches Problem bei der Erstellung von Testdaten gelöst: Der Anwendungsprogrammierer hatte in vielen Fällen rein organisatorisch bedingte Schwierigkeiten, sich ohne größeren Aufwand sinnvolle Testdaten zusammenzustellen.

So ist es durchaus vorgekommen, daß in der früheren Abwicklung eine definierte Testdatenbank mit den entsprechenden, möglichst aus der Realität stammenden Testdaten gefüttert werden sollte - aber es fehlte die Berechtigung, über Tag und online in der entsprechenden Produktionsdatenbank zu recherchieren und sich diese echten Praxisfälle zu kopieren.

Der Anwendungsentwicklung machen diese Probleme und Routinearbeiten nun nicht mehr zu schaffen. Dieses Programmierer-Produktivitätstool ist sowohl in ISPF- wie auch in CICS- und DC-Versionen verfügbar.

Der Anwender ist im Falle des absoluten Berechtigungsausschlusses nun auch tagsüber mit diesem Tool in der Lage, anhand der vorgegebenen Strukturen Eingaben zu tätigen, um so die benötigten Updates in seiner Testdatenbank zu erzeugen.

Aufbau der Testdatenbank weitgehend automatisiert

"Es braucht lediglich ein Satz in eine Testdatenbank geholt zu werden", erläutert Systemspezialistin Beate Moellmann, "der dann kopiert und verändert werden kann, um so zu der in der Testdatei benötigten Anzahl von Sätzen zu kommen."

Falls ein Entwickler oder Programmtester die Berechtigung besitzt, auf eine reale Produktions-DB zuzugreifen, dann hauptsächlich nachts, erzählt die BMW-Mitarbeiterin, um den normalen DV-Tagesbetrieb nicht zu stören. Mit dem jetzt eingesetzten Produktivitäts-Tool können in diesem Fall bestimmte Selektionskriterien zur Extraktion der Daten aus der Produktionsdatenbank definiert werden. Die Extrakt- und Load-Funktion des neuen Tools sorgt dann dafür, daß nachts per Batch-Job weitestgehend automatisiert die Testdatenbank aufgebaut wird.

Rein theoretisch reiche es für ein Projekt also, sich nur einmal einen Batch-Job zusammenzustellen, um sich damit jede Nacht eine neue Testdatenbank aufbauen zu lassen, meint Frau Moellmann. Zudem wird die gesamte JCL zur Verfügung gestellt, so daß Batch-Jobs eigentlich nur noch ohne großen Aufwand abgerufen werden müssen.

Den großen Vorteil sieht die Expertin darin, "vernünftige" Testdaten in der Datenbank zu haben - die großen Volumina mancher Datenbanken erschweren die Auswahl allerdings immens (es gibt bei BMW teilweise Datenbanken, die quantitativ zwei Platten belegen). Hier gezielt Datensätze, die für einen Test benötigt werden, schnell und korrekt herauszuziehen, ist einer der positiven Aspekte, die sich bei der Verwendung des neuen Werkzeugs beim täglichen Arbeitseinsatz ergeben.

Die Zeitersparnis in der Testphase ist immens, meint Michael Brunner. Generell entspreche die Arbeit mit Testdatenbanken einem Regelkreis, bei dem konsequent Soll- und Ist-Werte miteinander abgeglichen und verfeinert werden müssen. Mit diesem iterativen Prozeß ist man als Programmentwickler oder -tester schon längere Zeit beschäftigt, weiß der DB-Experte, zumal mindestens ein Blackbox-Test mit Ein- und Ausgabeüberprüfung und ein weiterer Randwerttest mit zulässigen, aber seltenen Werten sowie ein Whitebox-Check mit Durchlauf jedes Statements gefahren werden müssen.

Als praktisch erweist sich die Möglichkeit, PL/1- und Cobol-Satzstrukturen direkt auf dem Schirm verwenden zu können, um formatiert Datenbankinhalte zu verarbeiten.

Eigentliche Grundlage des IMS-XPERT ist DATA-XPERT, ein Programm zur Erstellung und Modifizierung von Testdateien. Als besonderer Vorteil dieser Software, die IMS-Datenbanken in den Verarbeitungsspielraum einbezieht, werden die Utilities bei BMW genannt - zum Beispiel die Möglichkeit des Global Change oder die Allokierung von VSAM-Datasets.

"ln der Praxis hat sich gezeigt, daß mit ein- bis zweitausend extrahierten Datensätzen ein durchaus realistisches Abbild der gesamten Datenbank verfügbar ist", erklärt Beate Moellmann.

Das neue Produktivitäts-Tool ist vorerst bei BMW nur in der Testumgebung zugelassen, in der Produktion wird das Produkt seitens der Systemtechnik nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen fehlerhafter Datenbanken eingesetzt. Der Grund dafür liegt - so paradox es klingt - in der einfachen Handhabung des Produktes.

Größere Schulungen wurden nicht durchgeführt

Die Akzeptanz der beiden Werkzeuge durch die DV-Mitarbeiter ist bemerkenswert. Nach dem Start mit drei Projekten arbeiteten nach kurzer Zeit rund 50 Mitarbeiter aus der 800 Mitarbeiter starken Anwendungsentwicklung mit dem Werkzeug; seit Februar dieses Jahres wird es verstärkt eingesetzt, so daß sich diese Zahl bereits auf gut 100 erhöht hat. Entsprechend hoch ist die Zahl der derzeit in Arbeit befindlichen Projekte.

Größere Schulungen für dieses Produkt sind nicht durchgeführt worden. "Bereits beim Einstieg hat man einen ziemlich guten Überblick - und auf Grund der Funktionen, die angeboten werden, besitzt der Anwender auch durch die Help-Funktion eine gute Möglichkeit, sich ohne Manuals zurechtzufinden", berichten beide DV-Spezialisten übereinstimmend.

"Aber so ein Werkzeug ist ja nicht nur dazu da, Testdateien zu extrahieren und zu bearbeiten", meint Brunner. Auch in der echten Anwendung ebenso wie bei den Testarbeiten sei die Möglichkeit notwendig, mal schnell in eine Datenbank hineinzuschauen... Auch hier war es früher notwendig, erst ein PL/1-Programm zu schreiben. "Ein gewisser Anwendungsstau war somit programmiert", so Brunner aus seiner Erfahrung als Datenbankberater.

Hier allerdings haben die BMW-Systemspezialisten noch eine Bremse eingebaut. Grundsätzlich sind die BMW-Datenbanken so eingerichtet, daß im täglichen Produktionsbetrieb nur ein Anwender online auf eine Datenbank zugreifen darf. Im Testbetrieb bei BMW ist die in diesem Produkt vorgesehene Sperre aus organisatorischen Gründen aufgehoben; deshalb ist dieses Tool für die Anwender in den Fachabteilungen nicht zugänglich.

So kann es nämlich jetzt durchaus passieren, daß ein Berechnungslauf und ein Update eines bestimmten Segmentes konkurrieren - und nichts stimmt mehr. Im Gegensatz zur Anwendung an der Front kann im überschaubaren Bereich der Entwicklungsabteilung so ein Datensalat durch Kommunikation vermieden werden, aber auch hier sind bei BMW Überlegungen im Gange, eine Datenbank in bestimmte Bereiche aufzuteilen, die nur einem Anwender zur Verfügung stehen. Dennoch sind im Fall der Fälle Reparaturen kein Grund für Kopfschmerzen und Überstunden.

Vereinfachung bietet das neu eingesetzte Produktivitäts-Produkt aber auch im Bereich des Datenbank-Designs. Früher mußte ein Datenbank-Design gemacht werden, die

DB wurde physisch erstellt, die Daten eingegeben. Designänderungen bedeuteten: Alles mußte von vorn neu aufgesetzt werden. Die Vorzüge des Tooleinsatzes für Layout und Design aber kommen nach Brunners Erfahrung nur dann voll zum Tragen wenn eine sehr saubere Datenmodellierung im Vorfeld durchgeführt wurde - auf Semantik, Redundanzfreiheit und Konsistenz ist speziell zu achten.

Vorteile bieten sich durch die Tools auch bei der Logik der Datenverknüpfung - zum Beispiel bei der Verknüpfung einer Modell-Datenbank und einer Teile-Datenbank - und bei der Bearbeitung von Alt-Datenbeständen, die leicht auf neue Erfordernisse umformatiert werden können.

Individuelle Anpassung an OSAM-Datenbanken

Bei BMW ist nur die TSO-ISPF-Schnittstelle aktiv, da IMS-XPERT von vornherein nur für den Einsatz als Entwicklungstool geplant war. Ein kleineres Problem gab es bei der Installation. Der Automobilhersteller aus München hat hauptsächlich OSAM-Datenbanken eingesetzt - die Version des verwandten Tools, die zum Tragen kamen, deckte OSAM-Datenbanken bei bestimmten Funktionen nicht ab, erzählt Systemexpertin Moellmann. Die Anforderung wurde jedoch schnell erfüllt.

Mehr Raum für kreative Aktivitäten

Die Zeitersparnis durch den Einsatz der Tools ist nach Brunners Meinung nicht direkt quantifizierbar, aber "der Mitarbeiter ist nicht mehr den größten Teil seiner Zeit damit beschäftigt Testfälle zu programmieren, sondern seine eigentliche Arbeit zu tun". Mehr Raum also für Kreativität, Qualität und Gewissenhaftigkeit.