Test: Open Enterprise Server von Novell

24.06.2005
Von Christoph Lange
Mit dem "OES" eröffnet Novell einen Migrationspfad zu Linux. Gleichzeitig profitieren Linux-Netze von den Netware-Diensten, die nun auch auf dem Open-Source-Betriebssystem laufen.

Der Open Enterprise Server (OES) von Novell ist einer der wichtigsten Meilensteine des Herstellers seit der Übernahme von Suse Linux vor gut eineinhalb Jahren. Denn er stellt die zentralen Netware- und Linux-Services nun auf beiden Betriebssystem-Plattformen zur Verfügung. Der Administrator hat dadurch die freie Wahl, ob er einen neuen Server mit Suse Linux Enterprise Server 9 (SLES 9) oder mit Netware 6.5 SP3 betreiben möchte.

Auf der Linux-Seite integriert der OES bewährte Netware-Funktionen wie File- und Print-Services, den Verzeichnisdienst eDirectory, das Datei-Management-System iFolder oder die System-Management-Lösung Zenworks in SLES 9. Umgekehrt hat Novell auch Netware 6.5 um Linux-Dienste wie MySQL, Apache oder Open LDAP erweitert. Die Verwaltung beider Plattformen erfolgt mit den von Netware bekannten Tools Novell Remote Manager und iManager. Dies erleichtert Administratoren die Arbeit, da sie mit derselben Oberfläche beide Umgebungen verwalten können. Bei den einzelnen Admin-Funktionen unterscheiden sich Netware und Suse Linux zum Teil allerdings noch etwas, insbesondere in den eng mit dem Betriebssystem verbundenen Bereichen.

Durch die Integration der Netware-Services mit Suse Linux können Unternehmen nun gemischte Netzwerke betreiben, in denen die Server auf beiden Plattformen dieselben Dienste bereitstellen. Dies geht sogar so weit, dass sich ein Failover-Cluster auf Basis der Novell Cluster Services aus einem Rechner mit Netware 6.5 und einem mit SLES 9 zusammensetzen kann. Ein derartiges Szenario könnte zum Beispiel bei der Migration von bestehenden Netware-Clustern auf Linux-Server nutzbringend sein.

Für Netware-Anwender eröffnet der OES einen sanften Migrationspfad zu Suse Linux. Wer weiterhin auf Netware als primäre Betriebssystem-Plattform setzt, kann sein Netz mit dem OES sehr einfach um Linux-Server erweitern, zum Beispiel für das Application-Hosting. Ältere Netware-Versionen ab 4.x lassen sich über spezielle Schnittstellen in die OES-Umgebung einbinden.

Da die Novell-Services ähnlich wie eine Anwendung auf das Linux-Betriebssystem aufsetzen, lässt sich der von Novell gewählte Integrationsweg lizenzseitig mit der General Public License (GPL) vereinbaren.

Novell hegt die Hoffnung, auch Unternehmen für den OES gewinnen zu können, die bisher Windows NT 4 verwenden und aus Kostengründen vor dem Upgrade auf Windows 2003 zurückschrecken. Nachdem Microsoft für NT 4 nur noch bis Ende 2005 offiziellen Support leistet, besteht also ein gewisser Handlungsbedarf.

Um den Open Enterprise Server zu testen, wurde auf einem Rechner seine Netware-Version installiert und auf einem zweiten die Linux-Variante. Das Softwarepaket enthält die Setup-CDs und Server-Lizenzen für beide Plattformen. Die Netware-Installation umfasst insgesamt nur zwei CD-ROMs. Zum Suse-Paket gehören neben den zwei OES-CDs fünf weitere mit SLES 9. Hinzu kommen noch eine Scheibe mit dem Open-Source-Code des Linux OES und eine CD mit dem Novell Nsure Identity Manager 2 für eine einfachere Benutzer- und Passwortverwaltung.

Netware-Basisinstallation

Die Basisinstallation von Netware 6.5 SP3 war nach knapp einer Stunde abgeschlossen. Das Setup erfolgt zunächst in klas- sischer Manier mit blauem Bildschirm und Textmenü. Für den Test wurde die deutsche Standardinstallation gewählt. Dabei konfiguriert Netware die Trei- ber automatisch und richtet den Server mit Standardeinstellungen ein. Der Administrator kann auch eine Antwortdatei angeben, aus der das Setup eine individuelle Konfiguration ausliest.

Im ersten Anlauf konnte das Setup die von Netware benötigte Standard-DOS-Partition nicht erstellen, weil auf der Festplatte bereits andere Partitionen vorhanden waren. Nachdem diese gelöscht worden waren, ließ sich eine DOS-Partition mit 500 MB einrichten. Anschließend lief das Setup normal weiter und stellte zur Wahl, ob der Open Enterprise Server oder Netware 6.5 SP 3 installiert werden sollte. Für den Test wurde die OES-Variante gewählt, die zusätzlich die Produkte iManager 2.5, Virtual Office 1.5 und Quick Finder Server umfasst.

Konfigurationen zur Auswahl

Im nächsten Schritt kann der Administrator zwischen mehreren vorkonfigurierten Servern wählen, darunter zum Beispiel DNS/DHCP, J2EE Web Application Server oder MySQL. Für das Testsetup wurden die Option "Angepasster Netware-Server" aktiviert und anschließend alle vorhandenen Komponenten ausgewählt.

Bei der Netzwerkinitialisierung erkannte das Setup die drei im Test-Server vorhandenen Netzwerkkarten korrekt. Sie wurden anschließend mit IP- und DNS-Adressen sowie Host-Namen konfiguriert. Zum Abschluss der Installation erstellte die Setup-Routine einen neuen eDirectory-Baum, der das Stammverzeichnis des Testnetzwerks bildete.

Nachdem der erste Server mit Netware 6.5 aufgesetzt worden war, ging es im nächsten Schritt darum, auf dem zweiten Testrechner Suse Linux ES 9 in der OES-Variante zu installieren. Das grafische Setup erfolgt wie gewohnt mit Yast 2. Auch diesmal wurde für die Installation die deutsche Version gewählt. Die Setup-Routine formatierte die Swap- und die Root-Partition automatisch mit den Standardvorgaben. Bei der Auswahl des Betriebssystems wurde Novell OES mit allen Features gewählt. Alternativ wäre es auch möglich, "nur" den SLES 9 zu installieren. Die für den Test verwendete Linux-Version basierte auf dem Kernel 2.6.5.

Die Basisinstallation war nach etwa 40 Minuten abgeschlossen. Anschließend wurden mit Yast 2 die Netzwerkeinstellungen konfiguriert und der neue Server zum bereits vorhandenen eDirectory-Baum hinzugefügt. Nach gut einer Stunde stellte auch der Linux-Server seine Novell-Services im Netzwerk zur Verfügung.

Um diese Dienste zu nutzen, ist kein Netware-Server notwendig. Wie schon erwähnt, laufen alle wichtigen Komponenten inklusive des Verzeichnisdienstes eDirectory auch eigenstän- dig auf Linux-Servern. Unternehmen können es also durchaus in Erwägung ziehen, ein OES-Netzwerk mit Windows-Clients zu betreiben, in dem die Novell-Services ausschließlich von Linux-Servern angeboten werden.

Wenn die Installation des Linux OES abgeschlossen ist, erscheint ein Fenster mit einem Link zu einer Web-Seite, die der Linux-Server lokal bereitstellt. Sie enthält in der linken Navigationsleiste die unter Linux verfügbaren Novell-Services wie eDirectory, iFolder, iPrint, Netstorage, Quick Finder oder Virtual Office. Unter dem Punkt Server-Verwaltung finden sich zudem der Remote Manager und die Network Storage Services (NSS). Diese unterstützen neben Netware und Linux auch die File-Services für Windows und Unix.

Novell OES kann zudem die Verzeichnisdienste von Windows NT und Windows 2000/2003 mit dem eDirectory synchronisieren. Der iManager 2.5 lässt sich über den Menüpunkt Netzwerkverwaltung aufrufen. Die Novell Cluster Services ver- bergen sich unter "Weitere Dienste".

Benutzer wählt Anmelde-Server

Durch den integrierten NCP-Support (NCP = Netware Core Protocol) kann sich ein Linux-Server für Clients wie ein Netware-System verhalten. Um die Client-Funktionalität zu testen, wurde der neue Novell Client 4.91 für Windows 2000/XP auf zwei Testrechnern mit Windows 2000 und XP installiert. Zuvor waren im eDirectory zwei Testbenutzer angelegt worden. Sie konnten sich anschließend sowohl am Netware- als auch am Linux-Server anmelden und die zur Verfügung gestellten Netzwerkressourcen nutzen, ohne dass ein Unterschied bemerkbar war. Den gewünschten Anmelde-Server kann der Benutzer im Client-Konfigurationsmenü selber wählen.

Um eine einheitliche Verwaltung der Server und Netzdienste sowohl unter Netware als auch unter Linux zu ermöglichen, stellt Novell die Werkzeuge iManager und Remote Manager auch auf der Open-Source-Plattform bereit. Netware-Server lassen sich zudem wie gewohnt per Console One oder RConsoleJ verwalten. Der Remote-Zugriff auf Suse-Linux-Server ist ebenfalls wie üblich per Virtual Network Console (VNC) oder Remote Desktop Protocol (RDP) möglich.

Um auf einem Linux-OES-Server die Web-Seite mit den Verwaltungs-Tools zu öffnen, gibt der Administrator im Browser einfach die lokale Adresse des Hosts ein, also http://127.0.0.1 oder http://localhost. Der Novell Remote Manager lässt sich entweder auf dieser Seite unter dem Eintrag "Server Management" aufrufen oder direkt im Browser starten, indem die IP-Adresse des gewünschten Servers mit dem Port 8009 eingegeben wird (zum Beispiel https://192.168. 111.241:8009).

Unter Netware stellt der Remote Manager andere Optionen zur Verfügung als unter Linux. Insbesondere bei Betriebssystem-nahen Funktionen wie dem Kernel, dem File-System oder den I/O-Prozessen gibt es naturgemäß große Unterschiede. Der Neustart des Servers oder das Herunterfahren ist mit beiden Remote-Manager-Versionen möglich und funktionierte im Testbetrieb reibungslos.

Für die Verwaltung von Benutzern, Gruppen und Objekten ist der iManager zuständig. Um ihn auf einem Linux-OES-System zu starten, muss der Konqueror-Browser gewählt werden, da der mit SLES 9 installierte Mozilla-Browser den iManager nicht unterstützt.

Einheitliche Verwaltung

Dass sich sowohl Netware- als auch Linux-Server mit denselben Werkzeugen verwalten lassen, ist für Administratoren eine große Erleichterung. Um die jeweilige Betriebssystem-Plattform souverän zu beherrschen, sind aber nach wie vor tief gehende Spezialkenntnisse erforderlich. Dies gilt für beide Umgebungen. Unternehmen, die eine Neuausrichtung ihrer Plattformstrategie in Erwägung ziehen, sollten dies berücksichtigen. Denn ein eingefleischter Netware-Administrator wird sich mit Linux genauso schwer tun wie umgekehrt.

Für künftige OES-Versionen stellt Novell neue Clustering- und Hochverfügbarkeitslösungen in Aussicht, die ein Ressourcen-Management sowie geclusterte Dateisysteme unterstützen sollen. Auch bei der Virtualisierung von Speicher- und Server-Ressourcen ist Novell aktiv und unterstützt die Open-Source-Virtualisierungstechnik Xen. Sie soll in den Suse Linux Enterprise Server integriert werden und den simultanen Einsatz mehrerer Betriebssysteme auf einem Rechner ermöglichen. Zudem ist geplant, Yast zu einem übergreifenden Management-Tool für Rechenzentren auszubauen. Man darf deshalb gespannt sein, was die Novell-Zukunft bringt. (ue)