Gespräche über eine Fusion von Voicestream mit AT&T Wireless

Telekom wird zum Spielball der Politik

19.07.2002
MÜNCHEN (CW) - Nach der von der Bundesregierung unprofessionell betriebenen Ablösung von Telekom-Vorstandschef Ron Sommer war der Flurschaden schon vor der Klärung der Führungsfrage durch den Aufsichtsrat immens. Der vom Bund favorisierte Technikvorstand Gerd Tenzer stieß auf massive Vorbehalte bei Analysten und den eigenen Vorstandskollegen. Indes wird immer deutlicher: Die Telekom hat nicht die falsche Strategie, aber ein Kommunikationsproblem.

Ein Verlierer des politischen Sommertheaters um die Ablösung des Telekom-Chefs stand schon vor der vermeintlich klärenden Sitzung des Telekom-Aufsichtsrates am vergangenen Dienstag fest: Gerhard Schröder. Der Bundeskanzler hatte sich auf Druck des Union-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber und anderer CDU/CSU-Politiker zu einer schnellen Abberufung Sommers noch vor der Bundestagswahl drängen lassen, um bei den Millionen T-Aktionären zu punkten. Doch aus der "Chefsache" Sommer wurde eine Schmierenkomödie ersten Ranges. Binnen weniger Tage wurden hochrangige Namen wie der frühere Volkswagen-Boss Ferdinand Piech, Ex-Thyssen-Krupp-Manager Gerhard Cromme, Porsche-Frontmann Wendelin Wiedeking oder TUI-Vorstand Michael Frenzel als mögliche Nachfolger des umstrittenen Telekom-Chefs gehandelt. Doch alle genannten Manager, denen der Ruf eines beinharten Sanierers vorauseilt, winkten ab. Am Ende blieb mit dem langjährigen Telekom-Technikvorstand und SPD-Mitglied Gerd Tenzer ein "1-B-Kandidat" übrig, der sich einer bis Redaktionsschluss völlig offenen Kampfabstimmung im Telekom-Aufsichtsrat stellen musste.

Diese war notwendig geworden, weil Sommer bis zuletzt einen freiwilligen Rücktritt ausgeschlossen hatte. Er habe sich nichts vorzuwerfen, ließ er im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung am Dienstag immer wieder erklären. In einer in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis dato einmaligen Aktion wandte sich das Telekom-Management zudem in einem offenen Brief der Mitarbeiter an die politisch Verantwortlichen, der in allen überregionalen Tageszeitungen abgedruckt wurde. "Wenn eines der größten deutschen Unternehmen politischer Spielball wird, nimmt der Standort Deutschland als Ganzes Schaden", hieß es dort. Gleichzeitig mobilisierte Sommer hinter den Kulissen seine Verbündeten in Vorstand und Aufsichtsrat. Im Vorstand der Telekom gebe es "eine Front" gegen die Berufung Tenzers auf den Chefsessel des Unternehmens, kolportierten Insider, nachdem sich offenbar nicht nur die Sommer-Vertrauten Jo Brauner (Vorstand der Festnetzsparte T-Com) und Kai-Uwe Ricke (Vorstand T-Mobile), sondern auch Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick gegen einen Wechsel an der Spitze ausgesprochen hatten.

Zerstrittener Aufsichtsrat

Auch die Fronten im Aufsichtsrat schienen bis zuletzt verhärtet. Finanzstaatssekretär Manfred Overhaus, der im Auftrag seines Dienstherrn Hans Eichel die formelle Ablösung des Telekom-Chefs organisieren sollte, hatte die für einen Sommer-Rausschmiss notwendige Zweidrittel-Mehrheit im obersten Aufsichtsgremium des Bonner Carriers nicht sicher. Quer durch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlager beständen Bedenken gegen die offensichtliche und sehr plumpe Einflussnahme des Großaktionärs Bund, hieß es. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet auch Aufsichtsratschef Hans-Dietrich Winkhaus, der noch vor kurzem Sommer öffentlich den Rücken gestärkt hatte, sich nun aber nach Ansicht einiger Aufsichtsratsmitglieder "ohne Not" auf die Seite von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel gestellt hat.

Neben oder sogar statt Sommer könnte daher auch Winkhaus gehen (müssen), mutmaßten Beobachter. Gleichzeitig wurde auch über eine angeblich vom Telekom-Vorstand angebotene "Kompromisslösung" spekuliert: Diese sähe so aus, dass Sommer für eine angemessene "Schamfrist", also bis nach der Bundestagswahl, im Amt bleibt und danach, wenn ein passender Nachfolger gefunden ist, in den Aufsichtsrat wechselt. Ebenfalls nicht ausgeschlossen wurde allerdings auch, dass der Telekom-Chef das Kräftemessen mit seinen Gegnern fürs Erste gewinnt. Ohne Gesichtsverlust dürften aber, das war schon vor einem wie auch immer gearteten Votum des Aufsichtsrats klar, alle Beteiligten aus dieser Affäre nicht mehr herauskommen.

Doch das noch viel größere Problem ist, dass die Auseinandersetzungen um die Konzernspitze die Telekom als Unternehmen weiter in Verruf bringen - und zwar genau dort, wo man es derzeit am wenigsten gebrauchen kann: an den Finanzmärkten. Viele Investoren hatten sich schon im Vorfeld von einer "Lösung Tenzer" distanziert; der Kurs der T-Aktie, der nach einem kurzen Strohfeuer bei Bekanntwerden der angeblich bevorstehenden Ablösung Sommers wieder in einen Abwärtssog geriet, sprach eine unmissverständliche Sprache.

Besonders lautstarke Kritik kam aus den USA. In einem regelrechten Brandbrief hatte der Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs, Henry Paulson, den Aufsichtsrat der Deutschen Telekom gewarnt, dem Drängen der Bundesregierung nach einem Wechsel des Vorstandschefs nachzugeben. "Wir sind sehr besorgt, dass jede zurzeit stattfindende Veränderung im Management negative Konsequenzen für das Unternehmen und alle Anteilseigner haben wird", teilte Paulson Aufsichtsratschef Winkhaus mit.

Der Vorstoß von Goldman Sachs kam allerdings nicht von ungefähr. Die US-Investmentbanker gelten ebenfalls als Vertraute von Telekom-Chef Sommer und haben, so weit man weiß, unter anderem die Übernahme der US-amerikanischen Mobilfunk-Gesellschaft Voicestream sowie das Zweitlisting der T-Aktie an der New Yorker Wallstreet federführend abgewickelt. Jetzt ist Goldman Sachs wieder mit der Ron-Sommer-Company dick im Geschäft. So wurde vergangene Woche bekannt, dass Voicestream-Chef John Stanton unter tätiger Mithilfe von Goldman Sachs Fusionsverhandlungen mit der Mobilfunk-Division von AT&T führt.

Kurskorrektur in der US-Strategie

Branchenkenner, aber auch die meisten Finanzanalysten an der Wallstreet werten dies als weiteren Versuch eines Befreiungsschlages des unter Druck stehenden Telekom-Managements. Bisher hatte die Konzernspitze um Ron Sommer stets die Notwendigkeit eines Schwenks der eigenen US-Strategie verneint. Jetzt wurde T-Mobile-Chef Ricke zu den möglichen Fusionsplänen der US-Tochter Voicestream mit AT&T Wireless Services (angeblich gibt es auch Gespräche mit Cingular, der Nummer zwei im US-Mobilfunkmarkt) mit den Worten zitiert: "Wir werden alle Angebote prüfen, die uns vorliegen." Ricke deutete zudem an, dass sich Voicestream in einem Joint Venture auch mit der Rolle des Juniorpartners begnügen könnte. Für die Konzernmutter in Bonn lägen die Vorteile auf der Hand: Käme es zur Verschmelzung mit AT&T Wireless, würde der zweitgrößte Anbieter im US-amerikanischen Mobilfunkmarkt entstehen. Gleichzeitig ließen sich die eigenen finanziellen Anstrengungen - allein im kommenden Jahr wären bei Voicestream rund zehn Milliarden Dollar für die Kundengewinnung und den weiteren Netzausbau fällig - deutlich reduzieren.

Damit käme man auch mit dem angekündigten weiteren Schuldenabbau voran - ein Punkt, der Telekom-Chef Sommer in den vergangenen Wochen und Monaten besonders angekreidet wurde. Den Abbau aller Verbindlichkeiten auf 30 Milliarden Euro bis 2001 hatte Sommer beim Börsengang im Jahr 1996 versprochen. Jetzt stehen rund 66 Milliarden Euro Schulden in der Konzernbilanz. Die wesentlichen Gründe hierfür sind bekannt: Der überteuerte Kauf von Voicestream (33 Milliarden Dollar, je zur Hälfte in Aktien und in bar), der Erwerb der UMTS-Lizenzen (15,3 Milliarden Euro) sowie die inzwischen daraus resultierenden Zinsbelastungen. Allein im vergangenen Jahr musste die Telekom mehr als vier Milliarden Euro für Zinsen aufbringen - ohne Tilgung wohlgemerkt. Viele Analysten hatten daher zuletzt den Bonner Carrier ähnlich wie Worldcom oder auch France Télécom als "Sanierungsfall" bezeichnet.

Glaubt man indes den ebenfalls vergangene Woche veröffentlichten vorläufigen Zahlen für das zweite Quartal beziehungsweise das erste Halbjahr, befindet sich das Unternehmen auf Kurs. Sowohl Festnetzvorstand Brauner als auch T-Mobile-Chef Ricke betonten, dass sich Umsätze und Ergebnisse in beiden Sparten deutlich verbessert hätten. So waren nach den Worten von Ricke die Monate April bis Juni "das beste Quartal aller Zeiten im Mobilfunkgeschäft". Gleichzeitig konnte Telekom-Angaben zufolge "T-Com" als immer noch ertragreichste Säule des Konzerns das Ebitda gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahrs trotz des harten Preiskampfs im Festnetzgeschäft auf dem Niveau von fünf Milliarden Euro "stabilisieren".

Was muss "ein Neuer" ändern?

Auch Gerd Tenzer werde deshalb als etwaiger Nachfolger Ron Sommers und vermutliche Übergangslösung nichts Gravierendes an der Konzernpolitik ändern müssen, zeigen sich viele Analysten überzeugt. Die von Konzernchef Sommer verfochtene Vier-Säulen-Strategie (Festnetz, Mobilfunk, Internet und IT-Services) gebe nach wie vor Sinn. Der Verkauf einzelner Sparten oder Teile davon wäre - so wie es momentan vielfach diskutiert wird - dagegen eher verhängnisvoll. Erst recht, nachdem immer mehr Experten weltweit mit einem Shakeout in der Telco-Szene rechnen, an dessen Ende maximal vier Vollsortimenter mit dann entsprechend guten Marktchancen übrig bleiben dürften.

Dennoch werden die Finanzmärkte auf Dauer "ein neues Gesicht" an der Telekom-Spitze sehen wollen. Sommer dürfte deshalb im besten Fall ein Vorstandschef auf Abruf bleiben. Was ihm fehlte und was seinen Nachfolger wird auszeichnen müssen, dürfte vor allem mehr Fortune im Tagesgeschäft (Beispiel: gescheiterter Verkauf des Kabelnetzes) und mehr Einsicht in unternehmerische Notwendigkeiten (Beispiele: Kostensenkung, Schuldenabbau, jetzt offenbar bevorstehender Teilrückzug aus den USA) sein. Und natürlich die Kommunikation mit den Finanzmärkten und Kleinaktionären. Die "Volksaktie Telekom" bei ihrem Allzeittief als "Schnäppchen" zu preisen und sich selbst gleichzeitig eine Erhöhung der Bezüge um mehr als 90 Prozent zu genehmigen, war eines "großen Kommunikators" nicht würdig. (gh)