Telekom steht zu deutscher ISDN-Schnittstelle Nationale Interessen berauben CAPI seiner Chancen in Europa CW-Bericht, Peter Gruber

04.03.1994

FRANKFURT/M. - Der deutschen ISDN-Initiative droht international ein Tiefschlag. Das Common Application Programming Interface (CAPI) - eine Schoepfung der deutschen Industrie und der Telekom - laeuft Gefahr, ausgebremst zu werden. Die Gegenfraktion unter Fuehrung von France Telecom versucht, im European Telecommunications Standards Institute (ETSI) eine andere Schnittstelle durchzu- setzen.

Stein des Anstosses ist das Protocol Control Information Interface, in Fachkreisen kurz PCI genannt. Heimlich, still und leise haben die Normierer, so argumentiert jedenfalls ein Teil der deutschen Industrie, das PCI auf das ETSI-Schild gehoben. Urspruenglich enthaltene CAPI-Features seien dagegen hinter dem Ruecken der deutschen Vertreter gekippt worden. Die Folge: Bei der fuer April oder Mai erwarteten Abstimmung der ETSI-Mitglieder ueber einen einheitlichen europaeischen Standard stehen die Chancen fuer PCI gut, fuer CAPI hingegen schlecht.

Zur Vorgeschichte: Die deutschen Hersteller AVM, Stollmann und Systec hatten sich 1989 an einen Tisch gesetzt und Dokumente fuer ein offenes Interface, das CAPI, erarbeitet. Ziel der Initiative war, eine einheitliche Schnittstelle zu schaffen, die dem Anwender freie Wahl zwischen ISDN-Controllern und ISDN-Anwendungen laesst. Den Markt beherrschten damals herstellerspezifische Loesungen, die Controller und Applikationen nur im Paket und inkompatibel zu anderen Produkten anboten.

Von der Aktion der drei ISDN-Mittelstaendler angetan, sprangen die Telekom, der ZVEI, Siemens, SEL, PKI und andere namhafte Branchenvertreter auf den CAPI-Zug auf. Das gemeinsame Engagement in diesem Arbeitskreis fuehrte 1990 zur Verabschiedung der CAPI, 1991 zu ersten Grossauftraegen durch die Telekom und Datev. Im darauffolgenden Jahr wurden Merkmale wie Unix, OS/2, Bitraten- Adaption und Fax Gruppe 3 integriert und CAPI von allen wichtigen Herstellern national wie auch international unterstuetzt.

Mit ueber 100 000 Installationen und einem Marktangebot von mehreren hundert Controllern sowie Anwendungen hat sich die ISDN- De-facto-Norm zumindest in Deutschland etabliert, aber auch im Ausland Anerkennung gefunden. "Heute setzen alle Produkte auf dieser Schnittstelle auf", erklaert Horst Schaefers, Leiter des Bereiches Kommunikationstechnik der WestLB in Duesseldorf, den wesentlichen Vorteil von CAPI aus Anwendersicht. Auch Dieter Steuer, Geschaeftsfuehrer der auf Vernetzung spezialisierten DOK- Systeme GmbH, Hannover, weiss aus seiner Erfahrung als Berater zu berichten: "Die Unternehmen haben mit CAPI leben gelernt." Der Consultant warnt aber davor, die von Telekom und Industrie verkuendeten Zahlen ueber bereitgestellte ISDN-Anschluesse und Installationen ueberzubewerten. ISDN, so Steuer, laufe zumindest im Non-voice-Bereich immer noch sehr langsam an.

Die Telekom, die sich weltweit in der Rolle des ISDN- Spitzenreiters sieht, und die deutschen Hersteller, die auf einen Return on invest hoffen, brauchen dringend den CAPI-Erfolg. Deshalb wurden die Features der ISDN-Schnittstelle in den zustaendigen Arbeitskreis der ETSI eingebracht und, so ein Insider, auch festgeschrieben.

In einer Sitzung der Projektgruppe, die ohne deutsche Vertreter stattfand, seien die CAPI-Elemente jedoch gestrichen und die Weichen in Richtung PCI gestellt worden.

Federfuehrend bei diesem Handstreich gegen die deutsche TK- Initiative war France Telecom. Der Carrier will damit, so die Spekulationen, die franzoesischen Hersteller schuetzen und einen Wettbewerbsvorteil der deutschen Anbieter mit CAPI verhindern. In Frankreich dominieren nach wie vor herstellerspezifische ISDN- Loesungen den Markt. Indiz dafuer ist das Ergebnis einer Dataquest- Studie. Die Marktforscher ermittelten, dass sich bei unseren Nachbarn das Verhaeltnis zwischen Terminaladaptern und ISDN-PC- Karten die Waage haelt. Hierzulande kehren die Anwender der Uebergangstechnik Terminaladapter hingegen immer mehr den Ruecken und steigen auf ISDN-Boards um (siehe Abbildung 1).

Trotz des nationalen Erfolgskurses, drohen den deutschen Herstellern in Europa ihre Felle davonzuschwimmen. Im Normierungspoker haben die Franzosen die besseren Karten, weil auch British Telecom wenig Interesse an CAPI als europaeischem Standard zeigt. Zudem scheint das deutsche Lager nicht an einem Strang zu ziehen. Indirekt wurde seitens der nationalen ISDN- Produzenten Kritik an der Telekom laut, sie habe sich im ETSI nicht ausreichend fuer CAPI eingesetzt.

Solche Vorwuerfe laesst Volker Fink, ISDN-Produktverantwortlicher in der Generaldirektion der Telekom, jedoch nicht gelten. "Die Telekom steht hinter CAPI, zur Schwarzmalerei besteht kein Grund", betonte Fink gegenueber der COMPUTERWOCHE die Haltung des Carriers und fuegte hinzu: "Ich gehen davon aus, dass unsere Vertreter in der ETSI die CAPI-Fahne hochhalten."

Dem Telekom-Manager zufolge fanden zwischen Bonn und Paris Gespraeche statt. Dabei haetten sich, so Fink, die Produktverantwortlichen beider Carrier darauf verstaendigt, CAPI zu favorisieren. Er raeumte jedoch auch ein, dass Denkrichtungen, die zum einen auf der Ebene der Standardgremien und zum anderen im Produkt-Management vertreten wuerden, nicht immer identisch seien.

Wenn aus Sicht der Telekom kein Grund zur Schwarzmalerei besteht, so doch seitens der Anwender. "Es werden ueber Jahre wieder zwei Schnittstellen nebeneinander existieren", skizziert Schaefers das moegliche Szenario und fuegt hinzu: "Das waere das Schlimmste was passieren kann." In der PCI kann Schaefers jedenfalls keine Vorteile gegenueber CAPI erkennen. Die Schnittstelle bedeute vielmehr einen Rueckschritt, weil lediglich der Level der Verbindung definiert werde. Im Klartext heisst das: Applikationen muss der Anwender bei der PCI selbst implementieren.

Eine Entscheidung der ETSI fuer PCI bedeutet fuer den User also eine muehsame Anpassung im Softwarebereich. Nach Ansicht von Johannes Nill, Geschaeftsfuehrer der AVM GmbH, ergeben sich groessere Probleme, weil die beiden konkurrierenden ISDN-Schnittstellen auf unterschiedlichen Architekturen beruhen.

Sollte sich in der ETSI dennoch eine Mehrheit fuer PCI finden, wollen die deutschen Hersteller weiter an CAPI festhalten. Sie hoffen dabei auf die Eigen- dynamik des Marktes, die Qualitaet der ISDN-Schnittstelle und das Urteil der Anwender. Als Beispiel dient ihnen der mittlerweile etablierte De-facto-Standard TCP/IP.