Wachsende Märkte in Südeuropa ziehen Kooperationen nach sich:

Tele-Markt-Puzzle weckt Begehrlichkeiten

07.08.1987

MÜNCHEN (bi/sch) - Das Tauziehen um Anteile im europäischen Telekommunikationsmarkt hält an. Im Zentrum des Interesses stehen zur Zeit die staatliche italienische Stet samt Neugründung Telit und die gleichfalls staatliche spanische Telefonica. Während Siemens um eine Beteiligung an Telit buhlt, versucht Big Blue, über ein direktes Abkommen mit den Spaniern und durch weitere Joint-ventures ihre Position für künftige Value-Added-Networks/Services (VAN/S) zu stärken.

Nach jüngsten Ankündigungen wollen auch die beiden umworbenen Unternehmen ihrerseits Möglichkeiten für gemeinsame Projekte untersuchen. Die Stet, die eine Bereichsholding für das Fernmelde- und Nachrichtenwesen ist und damit eine Tochter der staatlichen IRI (Istituto per la Ricostruzione Industriale), und die Compania Telefonica Nacional de Espania erwägen beispielsweise, ihre Telefonnetze gemeinsam zu betreiben, neue Technologien und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen, Herstellungsverfahren zu verbessern und Standards gemeinsam zu entwickeln. Zudem wollen sich die staatlichen Unternehmen für allgemeine Telekommunikations-Standards innerhalb der Europäischen Gemeinschaft starkmachen.

Die potentiellen Partner sollen unabhängig davon bereits vereinbart haben, die Verhandlungen über einen ausländischen Partner für Italiens größten Hersteller in der Fernmelde- und Nachrichtentechnik, nämlich die erst im Mai dieses Jahres gegründete Telit SpA, Mailand, gemeinsam zu führen. Die Telit ist ein Sproß der Stet und der Fiat-Tochter Telettra.

Als Bewerber für eine künftige Zusammenarbeit mit der attraktiven Stet-Fiat-Gründung liegen gegenwärtig mehrere Gruppen im Rennen: AT&T, Alcatel ITT, Northern Telecom, die britische Plessey, die schwedische Ericsson und Siemens. Bis Ende September will sich die Stet entscheiden, mit welchen dieser Fünf sie Verhandlungen führen wird.

Die Beteiligungsgespräche mit dem Münchner Elektro- und Elektronikkonzern sollen sich laut vwd noch in einem frühen Stadium befinden. Anderen Pressequellen zufolge hat der deutsche Kandidat gute Chancen, zumal er bereits auf einigen Gebieten mit Stet im Geschäft beziehungsweise engstens verbunden ist. Zum Beispiel ist die Stet an der Vertriebsgesellschaft für Kommunikations- und Datentechnik Siemens Data SpA, Mailand, mit 49 Prozent beteiligt - 51 Prozent hält das deutsche Amtsbau-Unternehmen selbst. Italien ist für die Münchner übrigens der drittwichtigste ausländische Absatzmarkt nach den USA und Österreich. Mehr als 1,5 Milliarden Mark setzt die italienische Tochter um.

Weiter verstärken will Siemens schon seit geraumer Zeit auch seine Präsenz in Frankreich, Großbritannien und den USA. Bei CGCT (Compagnie Générale des Constructions Téléphonique) hatte allerdings die schwedische Ericsson AB L. M. die besseren Karten. Sie erhielt bereits im Frühjahr zusammen mit dem französischen Konzern Matra den Zuschlag für die CGCT-Beteiligung. Siemens hatte bei dem westlichen Nachbarn außerdem versucht, den Unternehmenssektor private Telefonanlagen der Jeumont Schneider SA, Paris, zu erwerben, blieb jedoch auch hier ohne Erfolg, da Jeumont Schneider diesen Bereich nicht separat verkaufen wollte. Immerhin wurde eine Zusammenarbeit auf technischem Gebiet vereinbart.

Frankreich wiederum gelang es, über die Compagnie Générale Électricité (CGE) die Kontrolle über die meisten europäischen ITT-Telekommunikationsaktivitäten zu erringen. Und ITT selbst kündigte weiter an, daß sie den Verkauf ihres 24prozentigen Anteils an der britischen STC-Telekommunikationsgruppe in Betracht zieht.

Den Fuß in der Tür zum VAN/S-Markt

Die lBM, die sich bereits vor drei Jahren mit der italienischen Telekommunikationsholding Stet in den Bereichen Kommunikationsforschung, Mikroelektronik und Fertigungsautomatisierung zusammengetan hat, verstärkte gleichfalls ihr Engagement in Italien. Mit rund sieben Millionen Mark haben Fiat und die IBM Italia ihre neue Tochtergesellschaft Intesa (Iniziative Telematiche per Servizi Applicativi) aus Turin ausgestattet. Intesa will Dienstleistungen anbieten, die den Materialfluß zwischen Produzenten und Zulieferern, Spediteuren und Händlern kontrollieren und verbessern sollen. Ab Mitte 1988, wenn das neue Logistik-Unternehmen seine Mehrwert-Dienste erstmals anbieten will, sollen über 40 Orte an das IBM-Rechenzentrum in Turin angeschlossen werden.

Auf französischem Boden plant IBM noch in diesem Sommer die Gründung eines VAN-Ventures mit den beiden Banken-Gruppen Paribas und Credit Agricole sowie der Service- und Software-Compagnie Sema Matra. Dafür muß allerdings erst die französische Regierung, die sich gegenwärtig "zögerlich und vorsichtig" mit einem Programm zur Liberalisierung des staatlich kontrollierten Telekommunikationsmarktes beschäftigt, grünes Licht geben. IBM-Aussagen zufolge ist das Projekt jedoch schon auf vorläufige Zustimmung gestoßen. IBM France wird 45 Prozent, Paribas zusammen mit ihrer Tochterfirma Crédit du Nord 30 Prozent, die Crédit Agricole 20 Prozent und Sema Matra die verbleibenden fünf Prozent an dem Venture halten.

Auch in Dänemark und in Spanien hat Big Blue Projekte für die Realisierung von VA-Netzen und Diensten in Angriff genommen. Mitte Juni kündigte der Branchenprimus die Gründung einer Kooperation mit der Copenhagen Telephone Ltd. an, um Electronic-Mail-Dienste und andere Datenkommunikations-Dienste über das Land zu verteilen. Die Verhandlungen mit der spanischen Telefongesellschaft sind ebenfalls im Gange. Die Compania Telefonica Nacional de Espana will zusammen mit Big Blue ebenfalls ein gemeinsames VAN-Projekt aus der Taufe heben. 30 Prozent der Anteile sollen auf die spanische Telefongesellschaft und 20 Prozent auf IBM entfallen. Weitere Partner wurden bisher nicht genannt.