Arbeitsmarkt- und betriebliche Personalpolitik vor Irrwegen

Technischer Fortschritt braucht eine bessere Personalanpassung

05.04.1991

In der zunehmenden Weltmarktkonkurrenz werden sieh die heute führenden Industriefirmen weniger durch Preis- als vielmehr durch Technologieführerschaft behaupten müssen. Dies stellt nach Auffassung von Klaus Semlinger* Anforderungen an die Flexibilität der Belegschaften und damit an die Qualität betrieblicher Personalentwicklung.

Viele Unternehmen setzen heute neue Marketing- und Rationalisierungsstrategien ein: Einerseits sollen forcierte Produktentwicklung und wachsende Produktdifferenzierung dabei helfen, sich dem zunehmenden internationalen Preiswettbewerb etwas zu entziehen. Andererseits wird versucht, mit "systemischer" Rationalisierung nicht mehr nur einzelne Bearbeitungsvorgänge zu verkürzen, sondern den gesamten Betriebsablauf - vom Auftragseingang bis zum Versand - unter Kosten- und Flexibilitätsgesichtspunkten zu optimieren.

Ohne Computer-Technologie und Mikroelektronik wäre die dafür erforderliche Revolutionierung der betrieblichen Informations- und Steuerungsprozesse nicht denkbar. Diese Revolution kommt jedoch in der betrieblichen Praxis - unbeschadet ihrer publizistischen Beschwörung - auf leisen Sohlen. So ergab eine repräsentative Befragung in der Investitionsgüterindustrie (l), daß dort zwar bereits 1986/87 fast alle Betriebe Computer im Büro einsetzten und rund die Hälfte in der Fertigung das Potential computergestützer (CNC-)Werkzeugmaschinen nutzte.

Die viel diskutierten komplexen und hochflexiblen Fertigungszellen (FFZ) und Fertigungssysteme (FFS) waren dagegen nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Unternehmen installiert, und auch in den produktionsnahen Dienstleistungsbereichen verfügte nur jeweils weniger als ein Fünftel der Unternehmen über computergestützte Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsysteme (wie PPS, BDE, CAP, CAD, CAQ). Eine bereichs- oder gar betriebsübergreifende Vernetzung der einzelnen Komponenten im Sinne von CIM existierte allenfalls in einigen wenigen Unternehmen.

Dennoch, die computergestützte Integration sämtlicher betrieblicher Planungs- und Steuerungsfunktionen stellt in vielen Unternehmen das Leitbild der anstehenden Organisationsentwicklung, und gemessen an den bekundeten Planungen ist hier mit einer erheblichen Dynamik im Verbreitungsprozeß zu rechnen.

Rein informationstechnisch dürften der Vernetzung mittlerweile auch keine prinzipiellen Hürden mehr im Wege stehen. Die eigentlichen Schwierigkeiten einer weitergehenden Computer-Integration liegen vielmehr in organisatorischen Problemen bei der

Technikeinführung und dabei nicht zuletzt in Qualifikationsengpässen und Flexibilitätsbarrieren der betrieblichen Personalpolitik.

Verwerfungen in den Organisationsstrukturen

Die neuen Marktanforderungen beziehungsweise Marktstrategien, das neue Rationalisierungsmuster sowie die dazu erforderlichen modernen computergestützen Informations- und Steuerungstechniken setzen ein schneidende Veränderungen in den betrieblichen Organisationsstrukturen voraus - oder sie führen zu ungesteuerten Verwerfungen.

Dabei verschiebt sich nicht nur das betriebliche Informations- und Hierarchiegefüge; neue Positionen entstehen, alte fallen weg und viele der verbleibenden Arbeitsplätze sind einem gravierenden Wandel unterworfen. Entsprechend groß sind die Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft der Arbeitskräfte.

Hier nun - so verbreitete Kritik - würden die vielfältigen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen der betrieblichen Personalpolitik Fesseln anlegen. Ein vorgeblich in seinen institutionellen Regelungen verknöcherter Arbeitsmarkt hindere die Betriebe, sich von ungeeigneten Arbeitskräften zu trennen, Arbeitnehmern, die mit den neuen Anforderungen nicht Schritt halten können, ein geringeres Entgelt zu zahlen und den Erfordernissen angemessene, flexiblere Arbeitszeit regelungen einzuführen. Gleichzeitig untergrabe eine überzogene soziale Absicherung die Qualifizierungs- und Mobilitätsbereitschaft der Arbeitnehmer.

In der unzureichenden Flexibilität des Arbeitsmarktes sei jedenfalls eine der Ursachen dafür zu sehen, daß für manche Arbeitskräfte keine Arbeit mehr da sei, während gleichzeitig viele Betriebe nahezu verzweifelt nach Fachkräften suchte, die sie

auf dem Arbeitsmarkt nicht finden können. Auch wenn sich der Schlachtenlärm der politischen Kontroverse um eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gelegt hat, so sind die Forderungen nach einer Deregulierung der Arbeitsbeziehungen doch nicht verstummt.

Mehr Flexibilität des Arbeitsmarktes würde den Strukturwandel beflügeln und die betriebliche Modernisierung unterstützen. Damit wird nicht nur die Hoffnung auf (noch) mehr Wachstum und (noch) mehr Beschäftigung verknüpft. Häufig wird aus den skizzierten informationstechnischen Integrationsprozessen auch ein Trend zur Rücknahme der Arbeitsteilung und eine Renaissance qualifizierter Facharbeit abgeleitet, der den Arbeitnehmern insbesondere in der industriellen Produktion eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen verspricht.

Derartige Ergebnisse stellen sich jedoch nicht zwangsläufig ein. Ausschlaggebend ist vielmehr, worauf die Flexibilität des Arbeitsmarktes basiert, wozu sie genutzt wird, wofür die neuen Techniken betrieblich eingesetzt und wie sie dabei arbeitsorganisatorisch eingebettet werden (2).

So stützen die neuen Techniken zwar die Marketing-Strategie für eine flexible Qualitätsproduktion, sie können jedoch auch für eine forcierte Rationalisierung herangezogen werden, um im Preiswettbewerb mit Billiganbietern - wenn vielleicht auch nur vorübergehend - eine bessere Überlebenschance zu haben.

Ebenso können die neuen Techniken sowohl einer Re-Integration von Arbeitsaufgaben dienen als auch der weitern Arbeitszerlegung.

Trend zur Rücknahme der Arbeitsteilung

Wie die neuen Techniken betrieblich tatsächlich genutzt und eingesetzt werden, ist nun allerdings nicht beliebig. Eine ganz wesentliche Rolle spielt dabei, mit welchen Marktanforderungen ein Betrieb konfrontiert ist aber auch, für welche Wettbewerbsstrategie er sich entschieden hat. Wichtig ist zudem, an welche arbeitsorganisatorische Struktur die Modernisierung eines Betriebes anknüpft, auf welches Qualifikations- und Qualifizierungspotential in der Belegschaft zurückgegriffen werden kann und mit welcher Kompetenz und Orientierung die betriebliche Personalpolitik betrieben wird.

Auch die gesetzlichen und tarifvertraglichen Regulierungen des Arbeitsmarktes sind hier nicht ohne Einfluß, indem sie manche Entwicklungen begünstigen und andere behindern. Deregulierung würde hier aber lediglich größere Freiräume öffnen, ohne daß damit sichergestellt wäre; daß diese dann auch in der erhofften Richtung genutzt werden.

So zeigen die praktischen Erfahrungen mit der stärkeren Freigabe befristeter Arbeitsverträge, daß dieser neue Freiraum vornehmlich von solchen Betrieben in Anspruch genommen wird, die nicht zu den wirtschafts-, struktur- und beschäftigungspolitischen Hoffnungsträgern gerechnet werden können, nämlich insbesondere von lohnkostenintensiven Klein- und Mittelbetrieben mit häufigen Auslastungsschwankungen, ohnehin hoher Personalfluktuation, niedrigem Qualifikationsniveau der Belegschaft und deutlich negativer Beschäftigungsentwicklung.

Demgegenüber greifen innovative und beschäftigungsexpansive Unternehmen kaum darauf zurück; sie kamen auch in der Vergangenheit gut ohne einen forcierten Austausch ihrer Belegschaft über den externen Arbeitsmarkt aus.

Der technische und strukturelle Wandel mag eine größere Flexibilität des Arbeitsmarktes erfordern. Diese ist jedoch nicht durch schlichte Deregulierung zu erreichen. Um moderne Produktion und qualifizierte Arbeit zu fördern, ist sowohl den Arbeitnehmern als auch den Betrieben besser gedient, wenn öffentliche Arbeitsmarktpolitik und betriebliche Personalpolitik flexiblere Beschäftigung und einen flexibleren Personaleinsatz durch Qualifizierung vorbereiten und durch finanzielle Kompensation absichern.

Literatur: 1) Rainer Schultz-Wild u.a., An der Schwelle zu CIM. Strategien, Verbreitung, Auswirkungen; Verlag TÜV Rheinland, Köln 1989.

2) Klaus Semlinger (Hrsg.), Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Interessen, Wirkungen, Perspektiven; Campus Verlag, Frankfurt a.M. 1991.

*Dr. Klaus Semlinger arbeitet am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF München). Seine Forschungsarbeit gilt den Zusammenhängen zwischen Technikentwicklung, betrieblicher Personalpolitik und Arbeitsmarktdynamik.