Knowledge-Management im Xerox-Kundendienst

Techniker profitieren vom Know-how ihrer Kollegen

03.03.2000
Zur Firmenphilosophie der Xerox Corp. - nicht Geräte, sondern Lösungen zu liefern - zählt der reibungslose Support bei eventuellen Störungen. Mit der Xerox-eigenen Software "Eureka II" können die Kundendienst-Techniker demnächst nach Tipps und Lösungen suchen oder ihre eigenen "Patentideen" an die Kollegen weitergeben.Von Eva-Katharina Kunst*

Allein in Deutschland hat Xerox knapp 1000 Kundendienst-Techniker im Einsatz. Sie sind gefragt, wenn weder das Call-Center oder die Helpline noch das Customer Support Center dem Kunden telefonisch weiterhelfen können. Was aber, wenn der Besuch vor Ort auch den Techniker ratlos macht?

Bis vor fünf Jahren war jeder Xerox-Techniker mit etwa zehn Aktenordnern ausgestattet. Die dicken Mappen enthielten Service-Manuals und Bulletins - kurz: alles, was in etwa benötigt werden könnte, um Störungen zu beheben. "Aber kein Techniker nimmt neben der Werkzeugtasche noch seine Ordner mit zum Kunden", weiß Claus Nickel, Projektleiter für "Eureka II" in Deutschland. Allenfalls ein Laptop ergänze heute das obligatorische Reparaturarsenal.

Eureka II ist ein Baustein des konzernweiten Projekts "Portable Workstation" (siehe Kasten, Seite 54). Es zielt darauf, sämtliche Arbeitsprozesse der Servicemitarbeiter so weit wie möglich elektronisch zu unterstützen. Die Software dient dazu, das spezifische Know-how jedes einzelnen Technikers den weltweit 20000 Kollegen zur Verfügung zu stellen.

Das Vorgehen ist denkbar einfach: Hat ein Techniker ein Serviceproblem, schaltet er seinen Laptop ein und startet den "Internet Explorer". Die von Microsoft stammende Browsersoftware ist die transparente Schnittstelle zur Eureka-II-Wissensdatenbank.

Über ein Such-Icon wird "Search Lite" gestartet, die Eureka-II-eigene Suchmaschine. Der Techniker skizziert schlagwortartig das Erscheinungsbild der Störung; Search Lite sucht aus der Wissensdatenbank alle in diesem Zusammenhang relevanten Einträge heraus und listet sie systematisch auf. So findet der Vor-Ort-Kundendienst im Idealfall die Problembeschreibung, eine Diagnose der Ursache und den Weg zur Lösung, oftmals ergänzt um grafische Schaltbilder.

Da der Techniker beim Kunden nicht unbedingt einen Zugang zum Internet vorfindet, wurde das Wissens-Management-System für den Offline-Betrieb konzipiert. Allerdings ist die hinter Eureka II stehende, im Microsoft-Produkt "SQL Server" gespeicherte Datenbank viel zu groß, um sie komplett auf den Laptop des Servicemitarbeiters transferieren zu können. Daher "abonniert" der Techniker lediglich die von ihm betreuten zwei oder drei Produktfamilien. Wegen des eingeschränkten Portfolios läuft die jeweilige Datenbankabfrage recht schnell ab.

Zwei- bis dreimal pro Woche geht jeder Techniker online. Per Push-Technologie werden die neu hinzugekommenen Daten automatisch von den in der US-Zentrale des Unternehmens stehenden Servern, einer "IBM-Netfinity"-Rechnerfarm, heruntergeladen.

Eureka II löst - wie der Name ahnen lässt - das Projekt Eureka I ab. Mit dem Vorgängersystem musste der Servicetechniker die benötigten Informationen selbst auf dem Server suchen, sie dann herunterladen und als E-Mails lesen. Zudem gab es keine Möglichkeit für ein Feedback.

Mit dem deutlich flexibleren und komfortableren Eureka II zielt Xerox auch darauf ab, das Wissen jedes einzelnen Technikers als Input zu nutzen. Glaubt der Kundendienstler, auf eine neuartige Lösung gestoßen zu sein, kann er den Tipp maskengesteuert in das System eingeben. Intern werden die Daten im XML-Format (XML = Extensible Markup Language) abgelegt. Bei der nächsten Internet-Verbindung gelangt die neu eingegebene Problemlösung automatisch an den für die jeweilige Produktgruppe verantwortlichen Manager, der Validierung und Freigabe des Eintrags übernimmt.

Doch die zwölf deutschen Produkt-Manager müssen die neuen Lösungen nicht nur auf Richtigkeit und Neuartigkeit prüfen. Darüber hinaus gilt es, die Tipps zu übersetzen. Xerox lässt für Eureka II konzernweit nur eine Sprache gelten: Englisch. Inzwischen unterzieht das Unternehmen jeden Servicetechniker vor der Einstellung einem Sprachtest. Die meisten Trainings finden - auch in Deutschland - auf Englisch statt. "Wir können voraussetzen, dass jeder Techniker die Abfragebegriffe für Eureka II beherrscht", bestätigt Nickel. Beim Schreiben von Tipps sei jedoch die jeweilige Landessprache zugelassen. Folglich müsse die Übersetzung nachträglich vorgenommen werden.

Das System funktioniert selbstverständlich nur, wenn die Techniker keine Wissenshamsterer sind, sondern ihr Know-how unverzüglich weitergeben. Deshalb denkt Xerox über ein globales Incentive-System nach. Innerhalb von Eureka II gibt es bei jedem Tipp auch einen Link zum jeweiligen Autor. Zudem wird der Benutzer gefragt, ob der Tipp hilfreich war oder nicht. Für die als wertvoll beurteilten Lösungen winken Prämien.

"Natürlich gibt es auch bei uns Techniker, die sagen: Mir kann man nichts Neues mehr erzählen", räumt Projektleiter Nickel ein. Aber auch, wenn nicht die gesamte Zielgruppe das System nutze, sei das Einsparungspotenzial bei monatlich 50000 bis 60000 Kundenbesuchen enorm. Die deutsche Xerox-Niederlassung in Neuss rechnet mit fünf bis zehn Prozent Einsparung bezogen auf die Arbeitszeit ihrer Servicetechniker.

Dass diese Rechnung aufgeht, bewiesen die französischen Kollegen. Dort ist Eureka II - wie auch in den USA - bereits erfolgreich im Einsatz. Als dritte Ländergesellschaft wartet Deutschland in den Startlöchern. Derzeit laufen Tests mit 20 ausgewählten Benutzern, die später als Trainer für die anderen deutschen Techniker fungieren sollen. Der Start für die eigentliche Technikerschulung ist für Anfang April geplant, und etwa einen Monat später soll die Markteinführung von Eureka II in Deutschland abgeschlossen sein.

Heute schon überlegen die Verantwortlichen, wie die Software für weitere Adressaten von Nutzen sein könnte. Angedacht ist beispielsweise der Einsatz im europaweiten Call-Center, das Xerox in Dublin unterhält. Das Personal dort ist nur grundlagentechnisch geschult; es stellt dem Kunden drei bis fünf Fragen und versucht, auf dieser Grundlage einfache Probleme zu lösen. Eureka II könnte hier sehr hilfreich sein.

In einem späteren Schritt ist geplant, dem Kunden selbst Zugang zu dem Wissens-Management-System zu gewähren. Beispielsweise ließe sich eine schlanke Version - ohne die nur für die Techniker relevanten Informationen - im Internet freigeben.

Auch das folgende Szenario ist in der Diskussion: Für alle Xerox-Geräte im Kundengebäude oder -konzern wird ein zentraler Eureka-II-Server eingerichtet. Dann kann der Kunde selbst nach den jeweils relevanten Tipps suchen, also im günstigsten Fall den Schaden eigenständig beheben. Der Eureka-Verantwortliche Nickel würde sich darüber freuen, denn: "Die schönste Störung ist die, zu der wir nicht hin müssen."

* Eva-Katharina Kunst ist freie Journalistin in Kempen.

DAS UNTERNEHMENDie Xerox Corp. mit Hauptsitz in Stamford, Connecticut, beschäftigt insgesamt 86000 Mitarbeiter, davon 2500 in Deutschland. Zur großen Produktpalette der "Document Company" (Eigenwerbung) zählen insbesondere Kopiersysteme, Drucker, Faxgeräte, Dokumenten-Management-Lösungen und Dienstleistungen. Nahezu zwei Milliarden US-Dollar steckt Xerox jährlich in Forschung und Entwicklung. Dazu unterhält das Unternehmen weltweit fünf Forschungszentren, darunter das 1970 gegründete Palo Alto Research Center (Parc). Der Umsatz lag im Geschäftsjahr 1999 mit 19,2 Milliarden Dollar knapp unter dem des Vorjahres (19,4 Milliarden). Der Betriebsgewinn sank im selben Zeitraum um 16 Prozent - von 1,7 auf 1,4 Milliarden Dollar.

Portable WerkstattDas Knowledge-Management-System "Eureka II" ist Teil des Konzepts "Portable Workstation" (PWS). Jeder Xerox-Techniker erhält neben Werkzeugkasten und Ersatzteillager im Wagen einen Laptop des Typs Compaq Armada mit Windows 95 oder NT und der Xerox-Eigenentwicklung "PWS Lock". Das Softwarepaket soll alles bereitstellen, was der Techniker beim Einsatz benötigt. Mit dem "Field Information Terminal" (FIT), einem Tool unter SAP R3, wird jeder Kundendienstbesuch genau dokumentiert: Uhrzeit des Call, Fahrtzeit, Teileverbrauch und Zeit des Einsatzendes. Bei Reparaturproblemen tritt dann Eureka II in Aktion. Darüber hinaus hat der Techniker CDs mit den Informationen über seine Produktpalette zur Hand. Fehlende Ersatzteile lassen sich über das "Parts Logistic Module" (PLM) direkt in den Technikerwagen bestellen. Die Verbindung erfolgt über das Handy oder ein analoges Modem.