Nur wenige profitieren von Gruppenarbeit

Teamarbeit - der große Mythos

13.09.2002
MÜNCHEN - In einer Studie der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft wird das Hohe Lied der Teamarbeit gesungen. In anderen Studien geben Manager zu, dass nur wenige Leistungsträger den Erfolg eines Unternehmens fördern. Der Rest sind Trittbrettfahrer. Ist Teamarbeit lediglich ein überstrapazierter Begriff? Von CW-Mitarbeiterin Katja Müller

Ohne Teamarbeit scheint in vielen Unternehmen nichts mehr zu laufen. In der Studie der Akademie für Führungskräfte, Bad Harzburg, gaben 95 Prozent von 376 befragten Managern an, in kurzfristig zusammengesetzten Teams zu arbeiten. 83 Prozent verstehen ihre gesamte Abteilung als Team. Auch der Teamglaube ist ungebrochen: 97 Prozent der Führungskräfte arbeiten gern zusammen, nur knapp drei Prozent "weniger gern".

Bahnbrechende Ideen kommen von Einzelnen

Während die Akademie-Studie bei deutschen Managern eine große Begeisterung für Teamarbeit registriert, sind die Vorzüge der Kollektivarbeit alles andere als bewiesen. Fredmund Malik, Verwaltungspräsident des Management Zentrums in Sankt Gallen (MZSG), hat seine eigene Auffassung von Teamarbeit: "Gut durchdachte Arbeitsteilung und strikte Disziplin - das macht die Gruppe zum Team, aber das Gegenteil wird praktiziert." Seit Jahren kritisiert Malik die "unnötige Idealisierung und Heroisierung" von Teams. Seiner Meinung nach existieren sehr allgemeine und undifferenzierte Vorstellungen von Teamarbeit. So würden Personalverantwortliche in ihren Stellengesuchen gedankenlos den Hinweis auf Teamarbeit übernehmen: "Ich habe etwas gegen Personaler, die das alles glauben", schimpft Malik. Die wahrhaft bahnbrechenden Ideen kämen von Einzelnen, die sich von der Gruppendisziplin oft ausgebremst fühlen: "Mitarbeiter, die wirklich gut sind, brechen aus Teams aus, weil sie sie als langweilig und langsam empfinden." Auch der Wegbereiter der Teamarbeit, Peter Drucker, emeritierter Professor für Management der Claremont University in Kalifornien, macht mittlerweile Einschränkungen und erklärt, dass Einzelleistungen die Unternehmen voranbringen.

Unklare Zuständigkeiten führen zu Konflikten

Bernd Riedel, Abteilungsleiter im IT-Vertrieb eines Münchner Großanwenders, arbeitet sowohl mit "Einzelkämpfern" als auch mit "Teamerprobten" seiner 20-köpfigen Mannschaft an bis zu 60 Projekten. "Die heutigen Anforderungen an die IT führen dazu, immer mehr Teams haben zu müssen." Seine Gruppe ist in die Bereiche IT-Strategien, -Architekturen und Daten-Management für Marketing & Vertrieb unterteilt. Riedel: "Fünf bis sieben Spezialisten sind ideal. Doch viele Projektleiter nehmen lieber noch zwei, drei Experten mehr dazu." Größere Teams müssten nochmals aufgeteilt werden, sonst "sitzen die Mitarbeiter nur noch jeden fünften Tag am Arbeitsplatz, weil sie sich ständig abstimmen müssen". Am effizientesten sei es aber, wenn jeder die Aufgaben allein bearbeiten kann. Ein weiterer Schwachpunkt von Teamarbeit seien unklare Zuständigkeiten, die zu verdeckten Konflikten führten: "Jeder denkt, der andere bearbeitet das Problem, und dann stellen die Mitarbeiter kurz vor Projektschluss fest, dass nichts funktioniert", konstatiert Riedel.

Damit alle Mitarbeiter klare Aufgabenstellungen bekommen und jeweils auch die Zuständigkeit der anderen kennen, stellt das Unternehmen Projekthandbücher ins Intranet. Dennoch bedarf die Teamarbeit der ständigen Kommunikation. "Wir müssen viel Energie in Gespräche investieren", berichtet Stefan Körner, Global Team Leader eines 20-köpfigen internationalen Teams bei IBM, Böblingen. Trotzdem glaubt man beim Stuttgarter Konzern, mit Teams am ehesten Forschungsaufträge abarbeiten zu können: So entwickeln hunderte IBM-Mitarbeiter innerhalb kleiner Projektgruppen in weltweiten Niederlassungen. "Die Entwickler, Vertriebsleute oder sonstigen Experten sind immer in Teams eingebunden. Der reine Einzelkämpfer ist ausgestorben", meint Walter Hospach, Abteilungsleiter im IBM-Personalbereich.

Diese Bedingungslosigkeit will Mario Zaleski, Geschäftsführer der Wiesbadener Case Consult (CC) GmbH, nicht gelten lassen: "Natürlich muss man Teamarbeit wieder splitten, wenn es durch die Struktur der Aufgaben und Ziele erforderlich wird." Vor allem in der Tool-Entwicklung erreiche der Einzelne mehr als das Team. Es gebe auch viele "Bremser und Blender", die sich nicht ins Team einbrächten. In einer Umfrage des Beratungs-Netzwerkes Team-Company geben deutsche Manager freimütig zu, dass die Resultate von Leistungsstarken erzielt würden, der Rest seien Trittbrettfahrer. Gut bewährt habe sich Teamarbeit lediglich in der Anfangsphase, die allerdings nur den Bruchteil eines Projektes ausmache. Hier denken die Mitarbeiter seiner Ansicht nach noch visionär, es geht noch nicht um konsequentes Handeln. "Mit zunehmendem Projektverlauf entsteht ein Drei-zu-Eins-Verhältnis: 75 Prozent der Aufgaben werden von 25 Prozent der Mitarbeiter erbracht", so Zaleski.

"In vielen Firmen trauen sich Mitarbeiter nicht einmal mehr, ihre Kollegen in fachlichen Dingen zu befragen, aus Angst, es könnte als Schwäche ausgelegt werden", kritisiert Rüdiger Haupt, selbständiger Berater für IT-Projekte in Karlsruhe-Durlach, das inzwischen schlechte Klima in vielen IT-Teams. Der Diplomphysiker hat während seiner 37-jährigen Tätigkeit in der DV-Branche Einblicke in die verschiedensten IT-Abteilungen Deutschlands bekommen.

Früher habe eine rege Kommunikation zwischen allen Mitgliedern und dem Teamchef stattgefunden. In den vergangenen zehn Jahren sei die Qualität der Teams jedoch deutlich gesunken. "Der Futterneid überwiegt. Die Mitarbeiter behalten ihr Wissen für sich, sind unkollegial und aggressiv - außer zum Chef", sagt Haupt. Viele hackten auf den Tasten herum und erzeugten laut vernehmliche Arbeitsgeräusche - ob etwas dabei herauskommt, stehe auf einem anderen Blatt.

Ungerechte Arbeitsverteilung

Ähnliche Erfahrungen machte auch Heinz Mandl, Lehrstuhlinhaber an der Ludwigs-Maximilians-Universität München: In einer Untersuchung zur Gruppenarbeit meinten nur etwa zehn Prozent der Versuchspersonen, dass die Arbeit gerecht verteilt wäre. "Der Hauptwiderstand resultiert aus der egoistischen, aber natürlichen Frage, was es der Person bringt, in einer Gruppe zu arbeiten, welchen Gewinn sie davon hat und ob das Wissen, das sie abgibt, von anderen zu deren Karriereaufstieg benutzt wird", erklärt der Professor.

Auf einen anderen wichtigen Aspekt weist Bernhard Hirth, Chef der Projekt Team Hirth GmbH hin. Sein Beratungsunternehmen umfasst etwa 50 Mitarbeiter und hilft Firmen beim IT-Projekt-Management. In lediglich 30 bis 50 Prozent der Projekte, die Hirth kennt, werden die Mitarbeiter der Unternehmen vorab ausreichend vorbereitet, um im Team arbeiten und bestehen zu können. Mit zu hohen Trainingskosten habe diese Nachlässigkeit nichts zu tun: "Reibereien, Probleme, Leerlauf, und Zeitverzug - das Geld, was durch diese Missstände aufgewendet werden muss, würde für mehrere Trainings reichen." Dennoch habe er exzellente Ergebnisse in Teams erzielen können. Oft ging die Arbeit schneller, der Aufwand für den Einzelnen sank und Termine konnten gehalten werden, resümiert Hirth.

Interessenskonflikte

Der Psychologe Armin Windel von der Bundesanstalt für Arbeit, Dortmund, wies in einer Studie nach, dass Interessenkonflikte Teamarbeit erschweren. In einer Untersuchung von vier großen Firmen aus den Bereichen Maschinenbau, Bauindustrie, Forschung und Wissenschaft sowie Mikroelektronik stellte Windel fest: Die Arbeitgeber erwarten in erster Linie schnellere Durchlaufzeiten für Aufträge und bessere Arbeitsergebnisse. Die Mitarbeiter hingegen wünschen sich ein gutes Arbeitsklima und interessante Aufgaben, die sie fordern und motivieren.

Da die notwendigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse der Teamarbeit aber zu Missverständnissen und Ärger führen können, entstehen neuartige soziale Belastungen. Auch der oft beschworene Zusammenhalt einer Gruppe zahlt sich nicht so aus, wie viele Führungskräfte meinen. So fand Günter Müller, Professor im Fachbereich Psychologie des Arbeits- und Sozialverhaltens an der Universität Koblenz-Landau, in einer Untersuchung von Projektgruppen heraus, dass es für die Leistung des gesamten Teams kaum von Bedeutung ist, ob sich Mitarbeiter gegenseitig helfen oder füreinander einspringen. Viel entscheidender sei das Know-how, mit dem die Einzelnen in der Gruppe agieren.

Das gilt auch für hochkarätige Führungsteams. Der amerikanische Gruppenforscher und Unternehmensberater Jon Katzenbach bilanzierte in der "Harvard Business Review", dass ganze Führungsetagen einer "Armee von Gurus" aufgesessen seien, die Teamwerte wie "Kompetenzerweiterung und Problemsensibilisierung" propagierten. Stecke aber die Firma oder das Management in Schwierigkeiten, die einer kreativen Lösung bedürfen, müsse eine Einzelentscheidung getroffen werden.

Angesichts dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse schlägt der St. Gallener Professor Malik in seinem Aufsatz "Der Mythos vom Team" denn auch vor, gelegentlich die eine oder andere Arbeitsgruppe einmal nicht einzusetzen. Stattdessen rät der Management-Experte zu einer effizienteren Arbeitsform: "Einzelne kompetente Personen sollten mit einem klaren Auftrag ungestört arbeiten können." Bislang erhielt der Professor noch keine Einwände gegen seine These.