Tarif-Gerangel um Bildschirm-Einsatz

30.09.1977

Wahrscheinlich gibt es zur Zeit keine Branche, deren technischer Fortschritt die Arbeitswelt so sehr verändert (oder zumindest verändern könnte), wie sich dies für die Druckindustrie und das Verlagsgewerbe abzeichnet.

Die Datenverarbeitung hat daran großen Anteil. Rechnergesteuerte Lichtsetzmaschinen verdrängen das Blei der Drucker und damit auch die Setzer üblicher Art. Bildschirme in den Redaktionen machen aus Redakteuren direkteingebende "Redaktroniker".

Die Auswirkungen sind einerseits weniger Bedarf an Arbeitsplätzen und andererseits veränderte Aufgaben für die Beschäftigten, wozu viel Umschulung erforderlich sein wird.

Seit langem bemühen sich die Tarifpartner der Druckindustrie und des Verlagsgewerbes (IG Druck und Papier und der Bundesverband Druck), beiderseits befriedigende Regelungen für die weitreichenden Konsequenzen der Einführung neuer EDV-Verfahren zu finden. daß diese Verhandlungen jetzt in Stuttgart gescheitert sind, überrascht keineswegs; zu unterschiedlich sind die Interessen. Hinzu kommt, daß diese Verhandlungen Präzedenzwirkung für viele weitere Branchen haben werden. Überall, wo in den Büros der Bildschirm an den Arbeitsplatz kommt oder in den Fabriken der Prozeßrechner die Produktionssteuerung übernimmt, geht es um die gleichen Probleme. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gespräche mußte zu verhärteten Positionen führen.

Gefährdete Arbeitsplätze

Man kennt die Argumente seit der Automations-Debatte der frühen 60er Jahre. Einigung war damals leichter als heute möglich, weil das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen zu einer Zeit erfolgte, in der auf jeden freigesetzten Mitarbeiter mehrere offene Stellen warteten. Heute - bei anhaltender Arbeitslosigkeit - müssen die Probleme anders gesehen werden, ist das vorrangige Bemühen der Gewerkschaften um dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze verständlich. Es läßt sich nun einmal nicht wegdiskutieren, daß die nicht unerheblichen Kosten der neuen Elektronik-Verfahren nur durch Einsparungen von Lohn- und Gehaltskosten zu rechtfertigen sind. Ein derart sprunghafter Anstieg der Arbeitslast, der die verbesserte Effizienz aller derzeit im Produktionsprozeß Beschäftigten kompensieren würde, ist nicht zu erwarten. Vor Jahren noch hieß es lapidar zum Bildschirm-Einsatz, er sei nur gerechtfertigt, wenn zwei Sachbearbeiter mit Terminals die Aufgaben von bisher dreien erledigen können. Mittlerweile sind Terminals und EDV-Leistung billiger geworden und Personalkosten teurer. Aber die Logik bleibt die gleiche.

Heizer für den Computer?

Was nach dem Scheitern der bisherigen Verhandlungen zwischen IG Druck und Bundesverband Druck im weiteren Verlauf nach Einschaltung des im gültigen Tarifvertrag vorgesehenen Schiedsgerichts-Verfahrens letztlich vereinbart werden wird, hat Signalwirkung für viele Branchen und EDV-Einsatzgebiete.

In England und in den USA gibt es auf Elektro-Loks heute noch mitfahrende Heizer, obwohl es nichts zu heizen gibt. Wird es in den Redaktionen und Druckereien zu ähnlichen Situationen kommen? Oder müssen gar in den Büros, in denen computergestützte Textverarbeitungsverfahren eingesetzt werden, Hunderttausende Schreibkräfte freigesetzt werden?

Es mag notwendig erscheinen, die Einführung neuer EDV-Verfahren zu verzögern (das dürfte dadurch erfolgen, daß die sozialen Nebenkosten die neuen Lösungen erheblich verteuern). Wenn aber neue DV-Verfahren eingeführt werden, dann muß auf den sprichwörtlichen Heizer für Computersysteme allerdings verzichtet werden.

Und vor noch einer Entwicklung ist zu warnen: Die Stuttgarter Verhandlungen scheiterten auch deshalb, weil - so die Arbeitgeber-Seite - die Gewerkschaft IG Druck und Papier die tarifpolitische Zuständigkeit für die Arbeitsplatzsicherung auf eine Zuständigkeit für die gesamte Datenverarbeitung in Verlagen und Druckereien ausdehnen wollte. So wurde eine einheitliche Vergütung für alle an Bildschirmen Beschäftigten gefordert, die sich natürlich an höheren Löhnen und Gehältern orientiert hätte. Man stelle sich jeweils die Konsequenzen solch mißverstandener Besitzstandswahrung im eigenen Betrieb vor.