Pilotanwender für R3 auf AS400

Tapetenwechsel für das Rechnungswesen

14.02.1997

Der Name des in Reutlingen beheimateten Unternehmens suggeriert einen Kleinbetrieb. Doch bei der Heinrich Schmid GmbH & Co. handelt es sich um ein internationales Firmenkonglomerat mit mehr als einer halben Milliarde Mark Umsatz und 4500 Mitarbeitern (siehe Kasten Seite 70).

Anders als die meisten Unternehmen dieser Größenordung ist die Firmengruppe Heinrich Schmid extrem dezentral organisiert: Sie setzt sich aus rund 160 selbständigen Betrieben zusammen, die wiederum in Abteilungen und Arbeitsgruppen untergliedert sind.

Jede der etwa 800 drei- bis fünfköpfigen Arbeitsgruppen bildet ein separates Profit-Center: Die Teammitglieder müssen nicht nur Sorge tragen, daß sie am Ende des Geschäftsjahres einen Gewinn erwirtschaften, sondern sie sind auch dafür verantwortlich, daß sie stets über flüssige Geldmittel verfügen.

Die gängigen Standardsoftwarepakete sind nicht dafür konzipiert, eine solche Struktur abzubilden, also beispielsweise Cash-flow-Berechnungen für jede Unternehmensebene zu ermöglichen. Das gilt auch für die Lösung, mit der sich die Heinrich-Schmid-Gruppe bislang beholfen hat, das AS/400-Paket "EDW" der EDV-Beratung Dr.-Ing. Westernacher GmbH, Karlsruhe. Dazu der unternehmensinterne DV-Experte Peter Pendt: "Die bislang eingesetzte Software konnte unseren Ansprüchen nach Internationalisierung und betriebswirtschaftlicher Tiefe nicht mehr gerecht werden."

Im September 1995 fiel die Entscheidung, das Rechnungswesen auf die SAP-Software R/3 umzustellen. Es gab da nur einen kleinen Haken: Das Standardpaket war auf der IBM-Maschine noch nicht lauffähig. Von der Hardware wollte sich Heinrich Schmid jedoch nicht trennen.

Insofern waren die Reutlinger ein idealer Kandidat für ein Pilotkundenprojekt. Pendt übernahm die Projektleitung, der bisherige Programmlieferant Westernacher stellte sein Know-how als Dienstleister zur Verfügung, IBM schickte Berater ins Feld, und SAP legte bei der Software-Anpassung Hand an.

Pendts Darstellung zufolge bietet die SAP-Software dank der Funktion "Finanzmittelrechnung" die Möglichkeit, nicht nur Erlöse und Kosten, sondern auch die Liquidität jeder Arbeitsgruppe zu berechnen. Zudem kann ein Anwender mit der SAP-Software relativ schnell und einfach zwischen unterschiedlichen Länderversionen hin- und herschalten.

Dieser Punkt ist insofern von Belang, als das Ziel der Umstellung unter anderem darin besteht, die ausländischen Niederlassungen unter zentrale Kontrolle zu bringen. Innerhalb der kommenden Jahre wollen die Reutlinger eine Infrastruktur schaffen, mit der sie die DV-Unterstützung remote leisten können. Wie Pendt erläutert, soll das Rechnungswesen für alle Länder auf einer Maschine integriert und von dem Serviceableger Heinrich Schmid Consulting & Controlling GmbH & Co. KG verarbeitet werden.

Das zugrunde liegende Konzept ähnelt, so Pendt, in wesentlichen Zügen der Struktur, die sich der Ravensburger Spieleverlag geschaffen hat (vgl. CW Nr. 35 vom 30. August 1996, Seite 51). Im Gegensatz zu den Ravensburgern werde Heinrich Schmid jedoch mit terrestrischen Kommunikationsleitungen vorliebnehmen. Die Satellitenkommunikation zahle sich nur aus, wenn die Online-Verbindung acht oder neun Stunden pro Tag aufrecht erhalten werden müsse. Für die Datenerfassung und -übermittlung im Rechnungswesen sei das aber keineswegs notwendig.

Innerhalb des vergangenen Jahres installierte das Projektteam auf der AS/400 die R/3-Module für Finanzwirtschaft (FI), Anlagenbuchhaltung (AM), Controlling (CO) und Projekt-Management (PS). Derzeit ist es damit beschäftigt, die Daten der Altsysteme in R/3 zu übertragen, um die deutschen Niederlassungen zentral in der SAP-Software abzubilden.

Hernach wollen sich Pendt und seine Mitarbeiter der Aufgabe widmen, den inländischen Filialen den Zugriff auf die zentral installierte Software zu ermöglichen. Ende dieses Jahres sollen rund 20 Betriebe auf diese Weise mit dem DV-Dienstleister Consulting & Controlling verbunden sein. Parallel will Pendt im Sommer mit der Anbindung der ausländischen Betriebe beginnen.

Die Löhne und Gehälter werden bis auf weiteres mit der Westernacher-Software abgerechnet - obschon die Branchenlösung für das Baugewerbe bereits fertig ist, die SAP gemeinsam mit der Hochtief AG entwickelt hat. Das Modul berücksichtigt bauspezifische Sonderregelungen wie Urlaubskassen und Schlechtwettergeld. Mit der Hilfe der Heinrich-Schmid-Mitarbeiter haben die SAP-Entwickler die Software jetzt auch für das Baunebengewerbe modifiziert. Wegen der begrenzten Manpower - im Durchschnitt drei Berater und vier Mitarbeiter - werden die Reutlinger aber erst im Laufe des Frühlings mit der Einführung der "HR"-Komponente beginnen.

Mit der Funktionalität der R/3-Software ist Pendt im großen und ganzen zufrieden. Ein wenig Kritik kann er sich aber doch nicht verkneifen. So hat er feststellen müssen, daß die neuen SAP-Releases für die AS/400 entweder mit Verspätung oder überhaupt nicht auf den Markt kommen. Außerdem muß sich der Projektleiter mit einem Mangel herumschlagen, der zu Akzeptanzproblemen führt: Die R/3-Eingabemasken sind laut Pendt weit weniger benutzerfreundlich als die der alten Lösung.

Bei der Erfassung von Massendaten, beispielsweise von Rechnungen oder Bankbelegen, sei der Mitarbeiter neuerdings gezwungen, zwei oder drei Masken statt einer einzigen aufzurufen. Während er diese Aufgabe früher "blind mit einer Hand" habe erledigen können, müsse er heute ständig zwischen unterschiedlichen Formularen (zum Beispiel zwischen Sach- und Personenkonto) hin und her wechseln. "Da spricht man immer von Business Re-Engineering, aber hier, wo wirklich Masse anfällt, können wir uns Produktiveres vorstellen", ärgert sich Pendt.

Auf einen Verbesserungsvorschlag habe die SAP "ziemlich restriktiv" reagiert. Eigenmächtig in die Software einzugreifen will Pendt jedoch nicht riskieren, weil er um die Konsequenzen weiß: "Damit fallen Sie aus dem Standard raus." Bei künftigen Release-Wechseln müßte Heinrich Schmid dann die eigene Anpassung immer aufs neue nachvollziehen.

Deshalb appelliert Pendt an den Softwarehersteller: "Wir sind nicht die einzigen, die Bankauszüge zu verbuchen haben. Hier könnte SAP ihren Kunden einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen und Pluspunkte einheimsen."

Die Firma

In puncto Leistungsumfang greift der Name Malerwerkstätten Heinrich Schmidt GmbH und Co. zu kurz: Die unter diesem Dach zusammengeschlossenen Betriebe widmen sich einem Aufgabenspektrum, das von Mal- und Tapezierarbeiten bis zu Betonsanierungen und Korrosions-Prophylaxe reicht. Insgesamt umfaßt die Unternehmensgruppe fast 160 selbständige Firmen mit jeweils 20 bis 200 Mitarbeitern. Etwa 70 dieser Firmen sind im Ausland ansässig: in Österreich und der Schweiz, in Frankreich, Ungarn und Schweden, ja sogar in den USA und in Thailand. Eine Holding oder Konzernzentrale gibt es nicht. Das IV-Management wird von den angeschlossenen Dienstleistern Heinrich Schmid Consulting & Controlling sowie EDV Systemhaus wahrgenommen.