3270 Mikrorechner werden zu dummen Terminals degradiert:

Tagesgesehäft verhindert sinnvollen PC-Einsatz

04.10.1985

Ein wenig Textverarbeitung, ähnlich wie auf der Schreibmaschine - mehr verlangen Endanwender in 3270-Umgebungen oft nicht meint Peter Söll. Dies seien Funktionen, die man auch mit intelligenten Terminallösungen realisieren könne. Es muß, so Söll, nicht immer ein PC sein.

Es gibt sie noch, die Götter in Weiß. Zwar haben sie keine weißen Kittel mehr an, aber an ihrem Anspruch auf uneingeschränkte Vormachtstellung in Sachen Daten- und Textverarbeitung hat sich nichts geändert. Gemeint sind die Fürsten, die der Abteilung Organisation und DV vorstehen. Sie haben nach wie vor das große Sagen, egal, ob es um die Beschaffung eines neuen Computers, eines Textverarbeitungssystems oder einer elektronischen Speicherschreibmaschine geht.

Es gibt sie noch, aber sie werden weniger. Vielen von ihnen ist die Mündigkeit der Anwender in den Fachabteilungen zum Verhängnis geworden. Der Endbenutzer hat ein Instrument entdeckt, mit dem er es den bornierten EDV-Gurus zeigen kann: den Mikrocomputer.

Auf diesem Feld setzt sich eine Entwicklung fort, die ihren Beginn in dem bereits als traditionell zu bezeichnenden Konflikt zwischen Datenverarbeitern (DV) und Textverarbeitern (TV) hatte. Jahrelang versuchte die DV, sich die TV einzuverleiben, weil ja alle Daten, zentral gespeichert, auch wieder allen Anwendern zur Verfügung gestellt werden konnten. Dabei wurde übersehen (oder ignoriert), daß die Mittel, mit denen der TV-Anwender ausgestattet wurde, unzureichend, ja häufig geradezu eine Zumutung waren: Textverarbeitung mit herkömmlichen DV-Bildschirmen.

Mangels geeigneter Alternativen war dies bislang der einzige Weg, die gesamten gespeicherten Informationen eines Unternehmens auf einer Maschine, unter einem einheitlichen Betriebssystem abzubilden. Die Anwender liefen Sturm gegen die aufgezwungene Lösung, und begannen sich selbst nach Alternativen umzusehen.

Textsysteme, die man aufgrund einer besseren Benutzeroberfläche auch als solche bezeichnen darf, wurden begutachtet. Die DV sah sich plötzlich mit einer unlösbaren Aufgabenstellung konfrontiert. Gefordert wurde eine TV-Lösung mit der Benutzeroberfläche eines guten Textsystems. Wo die Daten gespeichert sein würden, war der TV egal.

Wenn es sein muß, auch auf der großen EDV-Anlage.

Aus diesem Konflikt heraus resultieren zweierlei Entwicklungen. Zum einen sind da die Fürsten in Weiß (oder auch Blue), unter deren Patriarchat derartige Bestrebungen sofort im Keime erstickt wurden. Ihre Argumentation, konsequent, eine zentrale Datenintegrität bewahren zu müssen, ist schlüssig.

Auf der anderen Seite sind Organisationsformen der unterschiedlichsten Art entstanden. Nicht selten haben sich in den Unternehmen eigene Abteilungen gebildet, die sich allmählich ganz von der EDV abnabeln konnten und deren Vorsteher heute gleichrangig mit dem EDV-Management auf einer Hierarchiestufe im Unternehmen stehen.

Unter ihrer Regie wurden autonome TV-Systeme beschafft, die allen Anforderungen des Anwenders gerecht wurden. Die Probleme der nicht vorhandenen Datenintegrität wurden dabei zunächst ausgeklammert. Der Hersteller des TV-Systems hatte ja in Aussicht gestellt, Schnittstellen zu liefern, mittels derer ein problemloser Austausch von Daten der DV und TV ermöglicht wurde. Das Ziel war also erreicht, die Befreiung aus der Zwangsjacke Groß-EDV gelungen. Die TV konnte ihre eigenen Wege gehen.

Dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Computersysteme unterschiedlichster Herkunft wurden beschafft. Ein Sammelsurium an Hardware-Einrichtungen machte sich in den Abteilungen breit. Alle kamen natürlich mit ihrem eigenen Betriebssystem, wovon keines zum anderen kompatibel war, auch dann nicht, wenn man dem Lieferanten seines Mainframes treu geblieben war.

Neben der Systempflege des Groß-EDV-Systems entstand nun auch noch die Notwendigkeit, Support für andere Systeme zu leisten. Daß sich dieser Support personell aus der für das jeweilige Aufgabengebiet zuständigen Abteilung rekrutierte, lag natürlich in deren ureigenstem Interesse. Ernüchterung kehrte ein, als organisatorische Sachzwänge, deren Entstehung vorher nicht absehbar waren, die Zusammenführung von Informationen der Daten- und Textverarbeitung notwendig machten.

Die vom Lieferanten des TV-Systems in Aussicht gestellten Schnittstellen erwiesen sich als unzureichend. Der immense systemtechnische Aufwand, der notwendig gewesen wäre, die Daten zusammenzuführen und zu verarbeiten, verhinderte letztlich, die ursprünglich ins Auge gefaßte Lösung zu realisieren. Die gewünschten Ergebnisse wurden auf andere Weise produziert, vielfach umständlicher und mit hohem Aufwand.

Daß es zu einer derartigen Entwicklung kommen konnte, lag nicht etwa daran, daß von den Anwendern von Beginn an um jeden Preis der Bruch mit der Groß-EDV gesucht wurde. Nach Meinung des Autors gibt es im wesentlichen zwei Hauptgründe:

1. Unzureichende Kommunikation zwischen EDV-Stab und Anwender, um die vorhandenen Probleme zu erfassen und in praktikable Lösungen umzusetzen.

2. Mangelnde Eignung herkömmlicher DV-Hardware für Textverarbeitung.

Hinter dem ersten Punkt verbirgt sich uralter Konflikt, auf den hier

nicht weiter eingegangen werden soll.

Mangelnde Eignung für die Textverarbeitung

An der mangelnden Eignung von DV-Terminals für Textverarbeitung oder andere Aufgabenstellungen hat sich bis heute nichts geändert. Dies trifft insbesondere bei IBM-3270-Terminals zu und deren Kompatiblen. Daß es auf diesem Sektor in den letzten Jahren kaum gravierende Innovationen gegeben hat, liegt sicherlich nicht zuletzt daran, daß sich fast alle 3270-Kompatiblen bisher darauf beschränkt haben, IBM-Imitationen zu produzieren.

Gab es bis vor kurzem noch einige Hersteller von 3270-kompatiblen

Controllern, mit denen man intelligente Lösungen lokal in der Steuereinheit realisieren konnte, so muß man heute feststellen, daß auch diese voll und ganz auf die IBM-Linie eingeschwenkt sind. Steckerkompatibel zu IBM lautet die Devise, weil dies der IBM-User so will. Anschluß von kompatiblen Bildschirmen an IBM-Steuereinheiten und umgekehrt, das heißt Anschluß von IBM-Bildschirmen an kompatiblen Steuereinheiten.

Kaum ein 3270-kompatibler Anbieter setzt noch auf die eigene intelligente Lösung, indem er gewisse Funktionen lokal in der Steuereinheit anbietet. Einzige Ausnahme dürfte wohl Ericsson sein. Die Skandinavier verfolgen nach wie vor eigene Wege und setzen auf die Ergonomie ihrer Produkte. Eine sinnvolle Ergänzung der 3270-Standardfunktionen ist beispielsweise eine lokale TV in der Steuereinheit, nach eigener Machart. So kann es sich dieser Hersteller als einziger leisten, Keyboards anzubieten, die in ihrer Tastenanordnung vom Industrie-Standard abweichen.

Allerdings ist eine solche Architektur mit gewissen Nachteilen verbunden. Der Anschluß bereits vorhandener IBM-Bildschirme an die fremde Steuereinheit ist bedingt durch das herstellereigene Protokoll zwischen Controller und Terminal nicht möglich.

Auch kann die lokal betriebene TV Probleme bereiten, nämlich dann wenn große Datenvolumina für viele Benutzer gleichzeitig im direkten Zugriff gehalten werden müssen. Sofern sich ein zentrales TV-System auf dem Host befindet, sind Schnittstellen zu schaffen, die den Austausch von Informationen zwischen diesem und der TV-Anwendung in der Steuereinheit gewährleisten. In wieweit man dem TV-Anwender das Handling für den damit zu bewerkstelligenden File-Transfer zumuten kann, bleibt im einzelnen zu untersuchen. Unmittelbar in diesem Zusammenhang steht die Problematik des Daten-Updates, um damit dem Anspruch des Anwenders auf absolute Aktualität der Informationen Rechnung zu tragen. Sofern ein permanenter Austausch von zentral und lokal aktualisierten Daten zwischen Host und Subsystem nicht gewährleistet ist, muß ein solches Verfahren als nicht befriedigend eingestuft werden.

Die 3270-Welt wird wieder homogen (oder monoton). Der Industriestandard setzt sich durch. Alle 3270- Bildschirme gleichen einander wie ein Ei dem anderen, im Aussehen und funktional. Mit allen Schwächen, die diese Architektur in sich birgt.

Folglich sind da nun auch wieder die Forderungen der mündigen Anwender nach mehr Flexibilität, mehr Eigenständigkeit und Komfort. Unterstützung erhalten diese von einem sehr potenten Meinungsmacher, nämlich von Big Blue selbst. Die Frage, ob der PC das 3270-Terminal ersetzen wird, scheint schon beantwortet. Über intelligente Terminallösungen denkt niemand mehr nach, der PC ist in aller Munde. Und die PC-Welle hat gerade erst zu rollen begonnen, unaufhaltsam, wie es scheint.

Dabei sind die Wünsche des Anwenders in der Fachabteilung oft sehr bescheiden. "Ein wenig Textverarbeitung, so ähnlich wie auf einer Schreibmaschine, ein paar lokale Abspeicherungsmöglichkeiten und mal eben etwas ausdrucken", sind häufig gestellte Forderungen. Funktionen, die man durchaus mit intelligenten Terminallösungen realisieren kann. Es handelt sich dabei um Lösungen, bei denen zwar eine gewisse Intelligenz in Form eines Mikroprozessors im Terminal untergebracht ist, jedoch wird dieser nicht etwa genutzt, um dem Anwender "offene" PC-Funktionen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr wird die lokale Intelligenz verwendet, um gewisse 3270-Standardfunktionen zu optimieren und so dem Anwender das tägliche Leben mit dem 3270-Bildschirm zu erleichtern.

Daß man mit einem PC umzugehen lernen muß, wird häufig unterschätzt. Die Zeit jedoch, die dem Anwender verbleibt, sich mit dem Betriebssystem und den Anwendungsprogrammen des PCs auseinanderzusetzen, geschweige denn mit den Problemen des File-Transfers zwischen Host und PC, ist gering. Zu sehr ist er mit seinem Tagesgeschäft belastet, als daß er die notwendige Muße findet, sich damit ausreichend zu beschäftigen. Und so werden sie zu dummen 3270-Terminals degradiert, die 3270-PCs und Konsorten oder stehen gar in der Ecke und verstauben.

Interessant wäre es, in verschiedenen Unternehmen einmal zu untersuchen, inwieweit die für einzelne Fachabteilungen beschafften Mikrocomputer tatsächlich für die ursprünglich vorgesehene Aufgabenstellung eingesetzt werden. Vielleicht würde das Ergebnis einer solchen Untersuchung einige unerwartete Überraschungen zu Tage bringen.

Peter Söll ist Vertriebsleiter der HOB Electronic, Zirndorf.