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T-Systems kämpft gegen komplexe Strukturen

10.10.2002
Nach der Debis-Übernahme hat sich T-Systems zu einem hochkomplexen Konglomerat entwickelt. Um die Vorgaben der Telekom zu erfüllen, muss Unternehmenschef Christian Hufnagl den IT-Dienstleister radikal konsolidieren.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach der Debis-Übernahme hat sich T-Systems zu einem hochkomplexen Konglomerat unterschiedlicher Rechts- und Geschäftseinheiten entwickelt. Um die Sparvorgaben der Telekom zu erfüllen, muss Unternehmenschef Christian Hufnagl den IT-Dienstleister radikal konsolidieren.

"Wir sind mitgefangen im Telekom-Konzern", sagt ein ehemaliger Debis-Mitarbeiter. Bislang habe T-Systems ITS, die Nachfolgeorganisation des Debis Systemhauses, Konsolidierungseffekte stets mit Umsatzwachstum ausgleichen können. Nun aber verlange Telekom-Interimschef Helmut Sihler einen zusätzlichen Sparbeitrag, um den Schuldenberg des Konzerns abzutragen.

Belegschaft verunsichert

Tatsächlich verpflichtete sich Hufnagl schon gegenüber Sihlers Vorgänger Ron Sommer auf das Programm "TSI 500". Es sieht vor, dass der größte deutsche IT-Dienstleister bis Ende 2003 rund 500 Millionen Euro einsparen muss. Gleichzeitig stutzte Sommer T-Systems die Investitionen für die Jahre 2002 bis 2004 auf ein Drittel. Zwar distanzierte sich Hufnagl von Pressemeldungen, denen zufolge zehn bis 15 Prozent der rund 43.000 Stellen gestrichen werden sollen; doch in der Belegschaft wächst die Verunsicherung. "Schnellschüsse und Arbeitsplatzabbau in Wildwest-Manier wird es bei T-Systems mit Verdi nicht geben", verkündete die Dienstleistungsgewerkschaft vorsorglich per Pressemitteilung.

Dass der Sparkurs dem Frankfurter IT-Serviceanbieter nicht leicht fällt, liegt indes nicht nur an den harten Vorgaben der Konzernmutter. Nach der im Oktober 2000 begonnenen und Anfang dieses Jahres vollendeten Übernahme von Debis hat sich T-Systems zu einem hochkomplexen Konglomerat unterschiedlicher Rechts- und Geschäftseinheiten entwickelt. Zum Zeitpunkt des Mergers agierten etwa 200 rechtlich selbständige Einheiten unter dem Dach von T-Systems International. Heute sind es laut Pressesprecher Stefan König noch immer rund 100, darunter die T-Systems ITS GmbH (hervorgegangen aus der Debis Systemhaus GmbH), T-Systems CSM, T-Data Gesellschaft für Datenkommunikation mbH und der Beratungsarm Detecon, in dem wiederum die ebenfalls aufgekaufte IT-Beratung Diebold aufgegangen ist.

Aus den Unterschieden zwischen funktionaler Geschäftsstruktur und den vielen juristischen Einheiten erwächst ein ressourcenfressender Verwaltungsaufwand. Hufnagl drängt auf eine Vereinfachung, doch die Verschmelzung der alten Debis-Einheiten mit den T-Systems-Gesellschaften dauert. "Debis ist selbst ein Schmelztiegel", urteilt Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungsunternehmen Techconsult. Seit Anfang der 90er Jahre habe die damalige Daimler-Chrysler-Tochter rund 250 Firmen zugekauft und integriert.

Unübersichtliche Strukturen

Die Organisationsstrukturen des Serviceriesen sind selbst für Eingeweihte kaum noch durchschaubar. "Man hat den Eindruck, auch das Management überblickt das nicht mehr", sagt Michael Jaekel, Bereichsleiter IT bei Verdi. Ein Teil der Debis-Einheiten sei bereits integriert, andere dagegen noch selbständig. Auch wer im Management für welche Bereiche verantwortlich zeichne, sei vielerorts noch nicht klar. Mit dem Merger ändere sich zudem der gesamte Aufbau der Mitbestimmungsstruktur.

Nach außen hin präsentiert T-Systems sein Geschäftsmodell in einer Matrixstruktur. Dabei sollen nach Branchen orientierte Business Lines und Dienstleistungsfunktionen ("Service Lines") ineinander greifen. Für ein Kundenprojekt bilden die Frankfurter in der Regel ein mehrköpfiges Sales- und Serviceteam. Vom Zusammenspiel der Mitglieder hängt nicht selten der Projekterfolg ab, berichtet ein Mitarbeiter. "In der Praxis funktioniert das leider nicht immer."

Hufnagl will nun klarere Linien ziehen und stößt Konsolidierungsvorhaben auf allen Ebenen an. Auch der Firmenhauptsitz in Frankfurt am Main bleibt davon nicht verschont, denn der Chef wolle "dem Wasserkopf in der Zentrale" zu Leibe rücken, ist aus dem Unternehmen zu hören. Zentralfunktionen und Prozesse würden systematisch verschlankt. Als Kernstück der Sparbemühungen gilt die Zusammenlegung von Rechenzentren.

Davon betroffen sei im Prinzip jeder Standort, erklärt Karl-Heinz Streibich, Geschäftsführer IT Services bei T-Systems International. Dies bedeute aber nicht automatisch Personalabbau an jedem Firmensitz. Einsparungen wolle man über Hardwarekonsolidierung und Steigerung der Personalproduktivität erreichen. Streibich: "Dezentrale IT-Funktionen bleiben erhalten, werden jedoch erheblich produktiver ausgerichtet." Die Steuerung der Anlagen werde im Wesentlichen über einige wenige Remote Control Center organisiert. Ob im Zuge dieser Maßnahmen auch Mitarbeiter in die Telekom-eigene Personalservice-Agentur ("Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit") überführt werden, sei noch nicht entschieden.

Die Überlegungen um die Konsolidierung der Rechenzentren (RZ) drehen sich im Wesentlichen um die Zusammenführung zweier Systemwelten: Dabei stehen die Mainframe-Standorte des ehemaligen Debis Systemhauses der Großrechnerlandschaft von T-Systems CSM gegenüber. Letztere besteht zum größten Teil aus den ehemaligen Rechenzentren der Telekom, die heute T-Systems betreibt. Mit fast 80.000 installierten Mainframe-MIPS verfügt der Dienstleister über eine Rechenkapazität, die mit der des Branchenführers IBM Global Services vergleichbar ist. Gleichzeitig sieht die Geschäftsleitung hier das größte Rationalisierungspotenzial.

Bei Rechenkapazitäten von teilweise bis zu 10.000 MIPS pro Standort sei es allerdings nur schwer vorstellbar, wie die Rechenboliden noch weiter zusammengefasst werden sollen, berichtet ein Mitarbeiter im RZ Eschborn. Auch Berater Zilch ist skeptisch: "Es ist sehr fraglich, wie hier nochmals Skaleneffekte erzielt werden können, da die einzelnen Rechenzentren schon 'kritische Masse’ haben." Noch wichtiger seien die personellen Konsequenzen: Gerade große Installationen in Magdeburg und Bamberg liegen in strukturschwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Telekom-Mitarbeiter sind allesamt mit guten Tarifverträgen und einem starken Betriebsrat ausgestattet. Zilch: "Da wird eine Konsolidierung nicht billig."

Seit Mittwoch dieser Woche verhandeln Arbeitnehmervertreter mit dem Management von T-Systems und des Telekom-Konzerns. Ihr Ziel ist ein Rationalisierungsschutzabkommen, wie es schon seit längerem für die Mitarbeiter der krisengeschüttelten Festnetzsparte T-Com besteht. Für einige Debis-Gesellschaften hat die Gewerkschaft IG Metall ähnliche Abkommen durchgesetzt. Solche Vereinbarungen schützen Beschäftigte vor betriebsbedingten Kündigungen, wenn der Arbeitsplatz wegfällt. Die Sozialpartner vereinbaren zugleich einen Weiterbeschäftigungsanspruch, der an festgelegte soziale, fachliche und räumliche Bedingungen geknüpft ist. Daneben erhalten die Arbeitnehmer einen begrenzten Einkommensschutz.

Ob sich das Telekom-Management auf eine konzernweite Regelung einlässt, ist fraglich. T-Systems-Chef Hufnagl jedenfalls steht vor einer schwer lösbaren Aufgabe: Einerseits ist er gezwungen, die Sparvorgaben der Muttergesellschaft zu erfüllen, andererseits muss er die internationale Präsenz vorantreiben, wenn er gegen weltweit tätige Konkurrenten wie IBM oder EDS bestehen will.

Kulturelle Unterschiede nach der Debis-Übernahme erschweren Hufnagl die Arbeit zusätzlich. In den ersten zwölf Monaten nach Ankündigung des Mergers verließen rund 15 Prozent der Debis-Mitarbeiter das Unternehmen, schätzt Christophe Chalons von der IT-Beratung PAC. Heute liegt die Fluktuationsquote laut offiziellen Angaben zwar unter dem Branchendurchschnitt. Allerdings dürfte das auch an den dramatisch verschlechterten Chancen am Arbeitsmarkt liegen.

"Kulturschock"

Ausgestanden ist die Integration der Daimler-Chrysler-Tochter noch lange nicht. "Die Debis-Leute wurden der Telekom immer als die Kreativen und Schnellen verkauft, die alles besser wissen", berichtet ein langjähriger Debis-Mitarbeiter, der anonym bleiben will. Während seine Kollegen stets das klassische Lösungsgeschäft im Auge hätten, orientierten sich die Telekom-Mitarbeiter stark an Produkten und Technologien. "Für viele ist das noch immer ein Kulturschock." So würden Beschäftigte weiter in Integrationskurse geschickt, in denen deutlich werde, dass die einstigen Telekom-Beamten, "eine ganz andere Denke" hätten.

Unterschiedliche Ansichten gibt es selbst unter Gewerkschaftern. Denn etliche Debis-Beschäftigte sind seit jeher bei der IG Metall organisiert, die Telekom-Fraktion hingegen in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Da wird mit harten Bandagen gekämpft", so der ehemalige Debis-Mann. "Die Integration ist noch lange nicht durch. Das dauert noch Jahre." (wh)